in einer bestimmten Reihe von Lebensjahren; und dann einen besondern Theil an den Sexual-Organen, dessen Mangel oder Zerstörung als ein körperliches Kennzeichen der ver- letzten jungfräulichen Integrität anzusehen, und in der Form und Lage bei andern weiblichen Thieren nicht gefun- den ist.
Was aber die Seelenfähigkeiten des Menschen betrifft, so hat er außer dem Begattungstriebe wenig Spuren von In- stinct (§. 34. u. f.), Kunsttriebe aber (§. 36.) schlechter- dings gar nicht. Dagegen ist er ausschließlich im Besitz der Vernunft (§. 37.), und der dadurch von ihm selbst erfundenen Rede oder Sprache (loquela), die nicht mit der bloß thierischen Stimme (vox) verwechselt werden darf (§. 25.), als welche auch den ganz jungen und selbst den stummgebornen Kindern zukommt. Und so folgt aus jenen beiden ausschließlichen Vorzügen das große ausschließliche Ei- genthum der Menschenspecies, wodurch sie über die ganze übri- ge thierische Schöpfung erhoben wird, das Vermögen sich selbst zu vervollkommnen (§. 37.)
Der Mensch ist für sich ein wehrloses, hülfsbedürfti- ges Geschöpf. Kein anderes Thier außer ihm bleibt so lan- ge Kind, keins kriegt so sehr spät erst sein Gebiß, lernt so sehr spät erst auf seinen Füßen stehen, keins wird so sehr spät mannbar u. s. w. Selbst eine großen Vorzüge, Vernunft und Sprache, sind nur Keime, die sich nicht von selbst, son- dern erst durch fremde Hülfe, Cultur und Erziehung entwi- ckeln können; daher denn bei dieser Hülfsbedürftigkeit und bei diesen zahllosen dringenden Bedürfnissen die allgemeine na- türliche Bestimmung des Menschen zur gesellschaftlichen Verbindung. - Nicht ganz so allgemein läßt sich hinge- gen vor der Hand noch entscheiden, ob in allen Welttheilen die Proportion in der Anzahl der gebornen Knäbchen und Mädchen, und die Dauer der Zeit und der Fortpflanzungsfähig- keit bei beiden Geschlechtern so gleich sei, daß der Mensch über- all so wie in Europa zur Monogamie bestimmt werde*).
Sein Aufenthalt und seine Nahrung sind beide un- beschränkt; er bewohnt die ganze bewohnbare Erde, und nährt sich mit den vielartigsten Stoffen aus dem weitesten Umfang
*) Doch vergl. auch Hrn. Staatsrath Hufeland über die Gleichzahl beider Geschlechter im Menschengeschlecht. Berl. 1820. 8.
in einer bestimmten Reihe von Lebensjahren; und dann einen besondern Theil an den Sexual-Organen, dessen Mangel oder Zerstörung als ein körperliches Kennzeichen der ver- letzten jungfräulichen Integrität anzusehen, und in der Form und Lage bei andern weiblichen Thieren nicht gefun- den ist.
Was aber die Seelenfähigkeiten des Menschen betrifft, so hat er außer dem Begattungstriebe wenig Spuren von In- stinct (§. 34. u. f.), Kunsttriebe aber (§. 36.) schlechter- dings gar nicht. Dagegen ist er ausschließlich im Besitz der Vernunft (§. 37.), und der dadurch von ihm selbst erfundenen Rede oder Sprache (loquela), die nicht mit der bloß thierischen Stimme (vox) verwechselt werden darf (§. 25.), als welche auch den ganz jungen und selbst den stummgebornen Kindern zukommt. Und so folgt aus jenen beiden ausschließlichen Vorzügen das große ausschließliche Ei- genthum der Menschenspecies, wodurch sie über die ganze übri- ge thierische Schöpfung erhoben wird, das Vermögen sich selbst zu vervollkommnen (§. 37.)
Der Mensch ist für sich ein wehrloses, hülfsbedürfti- ges Geschöpf. Kein anderes Thier außer ihm bleibt so lan- ge Kind, keins kriegt so sehr spät erst sein Gebiß, lernt so sehr spät erst auf seinen Füßen stehen, keins wird so sehr spät mannbar u. s. w. Selbst eine großen Vorzüge, Vernunft und Sprache, sind nur Keime, die sich nicht von selbst, son- dern erst durch fremde Hülfe, Cultur und Erziehung entwi- ckeln können; daher denn bei dieser Hülfsbedürftigkeit und bei diesen zahllosen dringenden Bedürfnissen die allgemeine na- türliche Bestimmung des Menschen zur gesellschaftlichen Verbindung. – Nicht ganz so allgemein läßt sich hinge- gen vor der Hand noch entscheiden, ob in allen Welttheilen die Proportion in der Anzahl der gebornen Knäbchen und Mädchen, und die Dauer der Zeit und der Fortpflanzungsfähig- keit bei beiden Geschlechtern so gleich sei, daß der Mensch über- all so wie in Europa zur Monogamie bestimmt werde*).
Sein Aufenthalt und seine Nahrung sind beide un- beschränkt; er bewohnt die ganze bewohnbare Erde, und nährt sich mit den vielartigsten Stoffen aus dem weitesten Umfang
*) Doch vergl. auch Hrn. Staatsrath Hufeland über die Gleichzahl beider Geschlechter im Menschengeschlecht. Berl. 1820. 8.
<TEIxml:lang="de-DE"><textxmlns:xsi="http://www.w3.org/2001/XMLSchema-instance"xml:id="blume_hbnatur_000042"><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><prendition="#l1em"><pbfacs="#f0049"xml:id="pb039_0001"n="39"/>
in einer bestimmten Reihe von Lebensjahren; und dann einen<lb/>
besondern Theil an den Sexual-Organen, dessen Mangel<lb/>
oder Zerstörung als ein körperliches <hirendition="#g">Kennzeichen</hi> der ver-<lb/>
letzten <hirendition="#g">jungfräulichen</hi> Integrität anzusehen, und in der<lb/>
Form und Lage bei andern weiblichen Thieren nicht gefun-<lb/>
den ist.</p><prendition="#l1em">Was aber die Seelenfähigkeiten des Menschen betrifft, so<lb/>
hat er außer dem Begattungstriebe <hirendition="#g">wenig</hi> Spuren von <hirendition="#g">In-<lb/>
stinct</hi> (§. 34. u. f.), <hirendition="#g">Kunsttriebe</hi> aber (§. 36.) schlechter-<lb/>
dings <hirendition="#g">gar nicht</hi>. Dagegen ist er ausschließlich im Besitz<lb/>
der <hirendition="#g">Vernunft</hi> (§. 37.), und der dadurch von ihm selbst<lb/>
erfundenen <hirendition="#g">Rede</hi> oder <hirendition="#g">Sprache</hi> (<hirendition="#aq">loquela</hi>), die nicht mit<lb/>
der bloß thierischen <hirendition="#g">Stimme</hi> (<hirendition="#aq">vox</hi>) verwechselt werden darf<lb/>
(§. 25.), als welche auch den ganz jungen und selbst den<lb/>
stummgebornen Kindern zukommt. Und so folgt aus jenen<lb/>
beiden ausschließlichen Vorzügen das große ausschließliche Ei-<lb/>
genthum der Menschenspecies, wodurch sie über die ganze übri-<lb/>
ge thierische Schöpfung erhoben wird, <hirendition="#g">das Vermögen<lb/>
sich selbst zu vervollkommnen</hi> (§. 37.)</p><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><prendition="#l1em">Der Mensch ist für sich ein wehrloses, <hirendition="#g">hülfsbedürfti-<lb/>
ges</hi> Geschöpf. Kein anderes Thier außer ihm bleibt so lan-<lb/>
ge Kind, keins kriegt so sehr spät erst sein Gebiß, lernt so<lb/>
sehr spät erst auf seinen Füßen stehen, keins wird so sehr spät<lb/>
mannbar u. s. w. Selbst eine großen Vorzüge, Vernunft<lb/>
und Sprache, sind nur Keime, die sich nicht von selbst, son-<lb/>
dern erst durch fremde Hülfe, Cultur und Erziehung entwi-<lb/>
ckeln können; daher denn bei dieser Hülfsbedürftigkeit und<lb/>
bei diesen zahllosen dringenden Bedürfnissen die allgemeine na-<lb/>
türliche Bestimmung des Menschen zur <hirendition="#g">gesellschaftlichen<lb/>
Verbindung. –</hi> Nicht ganz so allgemein läßt sich hinge-<lb/>
gen vor der Hand noch entscheiden, ob in allen Welttheilen<lb/>
die Proportion in der Anzahl der gebornen Knäbchen und<lb/>
Mädchen, und die Dauer der Zeit und der Fortpflanzungsfähig-<lb/>
keit bei beiden Geschlechtern so gleich sei, daß der Mensch über-<lb/>
all <hirendition="#g">so wie in Europa</hi> zur <hirendition="#g">Monogamie</hi> bestimmt<lb/>
werde<noteanchored="true"place="foot"n="*)"><p>Doch vergl. auch Hrn. Staatsrath <hirendition="#g">Hufeland</hi> über die<lb/>
Gleichzahl beider Geschlechter im Menschengeschlecht. Berl. 1820. 8.</p></note>.</p><prendition="#l1em">Sein <hirendition="#g">Aufenthalt</hi> und seine <hirendition="#g">Nahrung</hi> sind beide un-<lb/>
beschränkt; er bewohnt die ganze bewohnbare Erde, und nährt<lb/>
sich mit den vielartigsten Stoffen aus dem weitesten Umfang<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[39/0049]
in einer bestimmten Reihe von Lebensjahren; und dann einen
besondern Theil an den Sexual-Organen, dessen Mangel
oder Zerstörung als ein körperliches Kennzeichen der ver-
letzten jungfräulichen Integrität anzusehen, und in der
Form und Lage bei andern weiblichen Thieren nicht gefun-
den ist.
Was aber die Seelenfähigkeiten des Menschen betrifft, so
hat er außer dem Begattungstriebe wenig Spuren von In-
stinct (§. 34. u. f.), Kunsttriebe aber (§. 36.) schlechter-
dings gar nicht. Dagegen ist er ausschließlich im Besitz
der Vernunft (§. 37.), und der dadurch von ihm selbst
erfundenen Rede oder Sprache (loquela), die nicht mit
der bloß thierischen Stimme (vox) verwechselt werden darf
(§. 25.), als welche auch den ganz jungen und selbst den
stummgebornen Kindern zukommt. Und so folgt aus jenen
beiden ausschließlichen Vorzügen das große ausschließliche Ei-
genthum der Menschenspecies, wodurch sie über die ganze übri-
ge thierische Schöpfung erhoben wird, das Vermögen
sich selbst zu vervollkommnen (§. 37.)
Der Mensch ist für sich ein wehrloses, hülfsbedürfti-
ges Geschöpf. Kein anderes Thier außer ihm bleibt so lan-
ge Kind, keins kriegt so sehr spät erst sein Gebiß, lernt so
sehr spät erst auf seinen Füßen stehen, keins wird so sehr spät
mannbar u. s. w. Selbst eine großen Vorzüge, Vernunft
und Sprache, sind nur Keime, die sich nicht von selbst, son-
dern erst durch fremde Hülfe, Cultur und Erziehung entwi-
ckeln können; daher denn bei dieser Hülfsbedürftigkeit und
bei diesen zahllosen dringenden Bedürfnissen die allgemeine na-
türliche Bestimmung des Menschen zur gesellschaftlichen
Verbindung. – Nicht ganz so allgemein läßt sich hinge-
gen vor der Hand noch entscheiden, ob in allen Welttheilen
die Proportion in der Anzahl der gebornen Knäbchen und
Mädchen, und die Dauer der Zeit und der Fortpflanzungsfähig-
keit bei beiden Geschlechtern so gleich sei, daß der Mensch über-
all so wie in Europa zur Monogamie bestimmt
werde *).
Sein Aufenthalt und seine Nahrung sind beide un-
beschränkt; er bewohnt die ganze bewohnbare Erde, und nährt
sich mit den vielartigsten Stoffen aus dem weitesten Umfang
*) Doch vergl. auch Hrn. Staatsrath Hufeland über die
Gleichzahl beider Geschlechter im Menschengeschlecht. Berl. 1820. 8.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. 12. Aufl. Wien, 1832, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_naturgeschichte_1832/49>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.