reiche Bemerkungen erweislich, wie z. B., daß die Hamster auch todten Vögeln doch zuerst die Flügel zerbrechen, ehe sie weiter anbeißen; daß junge Zugvögel, die man ganz einsam im Zim- mer erzogen hat, doch im Herbst den innern Ruf zum Fortzie- hen fühlen, und im Käfich bei allem guten Futter und Pflege unruhig werden.
§. 36.
Unter den mancherlei Arten dieser thierischen Triebe sind besonders die so genannten Kunsttriebe merkwürdig, da sich nähmlich so viele warmblütige Thiere und Insecten ohne alle Anweisung und ohne alle vorgängige Uebung*), (als welche bei so vielen gar nicht Statt finden kann; wie z. B. bei den Seidenwürmern etc., die nur Ein für alle Mahl in ihrem Leben davon Gebrauch machen können, und wo folglich schlechterdings erster Versuch und Meisterstück Eins seyn muß), so ungemein künstliche Wohnungen, Nester, Gewebe etc. zu ihrem Aufent- halte, zur Sicherheit für ihre Junge, zum Fang ihres Raubes, und zu vielfachen andern Zwecken zu verfertigen wissen.
§. 37.
Der Mensch zeigt außer den Sexualtrieben wenig andere Spuren von Instinct: angeborne Kunsttriebe aber hat er vol- lends ganz und gar nicht. Was ihn hingegen für diesen schein- baren Mangel entschädigt, ist der Gebrauch der Vernunft.
Diese mag nun entweder eine ausschließlich eigenthümliche Fähigkeit der menschlichen Seele, oder aber ein unendlich stär- kerer Grad einer Fähigkeit seyn, wovon manche Thiere**) auch einige schwache Spur hätten; oder eine eigene Richtung der gesammten menschlichen Seelenkräfte u. s. w., so liegt wenig- stens der hohe Vorzug, den der Mensch durch den Besitz dersel- ben erhält, das Vermögen sich selbst zu vervollkommnen, un- widerredlich am Tage.
Und da ihm die ganze bewohnbare Erde zum Aufenthalt offen steht, und fast die ganze organisirte Schöpfung zur Speise überlassen ist, so erzeugt freilich eben die große Verschiedenheit der Climate, die er bewohnen soll, und der Nahrung, die ihm der Ort seines Aufenthalts gestattet, eben so verschiedene Be- dürfnisse, die er durch keinen einförmigen Kunsttrieb, aber wohl durch den Gebrauch seiner sich nach den Umständen gleich-
*)"Nascitur ars ista, non discitur.?"Seneca.
**)Ch. G. le Roy.Lettres philosophiques sur l'intelligence et la perfectibilite des animaux.Par. 1802. 8.
reiche Bemerkungen erweislich, wie z. B., daß die Hamster auch todten Vögeln doch zuerst die Flügel zerbrechen, ehe sie weiter anbeißen; daß junge Zugvögel, die man ganz einsam im Zim- mer erzogen hat, doch im Herbst den innern Ruf zum Fortzie- hen fühlen, und im Käfich bei allem guten Futter und Pflege unruhig werden.
§. 36.
Unter den mancherlei Arten dieser thierischen Triebe sind besonders die so genannten Kunsttriebe merkwürdig, da sich nähmlich so viele warmblütige Thiere und Insecten ohne alle Anweisung und ohne alle vorgängige Uebung*), (als welche bei so vielen gar nicht Statt finden kann; wie z. B. bei den Seidenwürmern ꝛc., die nur Ein für alle Mahl in ihrem Leben davon Gebrauch machen können, und wo folglich schlechterdings erster Versuch und Meisterstück Eins seyn muß), so ungemein künstliche Wohnungen, Nester, Gewebe ꝛc. zu ihrem Aufent- halte, zur Sicherheit für ihre Junge, zum Fang ihres Raubes, und zu vielfachen andern Zwecken zu verfertigen wissen.
§. 37.
Der Mensch zeigt außer den Sexualtrieben wenig andere Spuren von Instinct: angeborne Kunsttriebe aber hat er vol- lends ganz und gar nicht. Was ihn hingegen für diesen schein- baren Mangel entschädigt, ist der Gebrauch der Vernunft.
Diese mag nun entweder eine ausschließlich eigenthümliche Fähigkeit der menschlichen Seele, oder aber ein unendlich stär- kerer Grad einer Fähigkeit seyn, wovon manche Thiere**) auch einige schwache Spur hätten; oder eine eigene Richtung der gesammten menschlichen Seelenkräfte u. s. w., so liegt wenig- stens der hohe Vorzug, den der Mensch durch den Besitz dersel- ben erhält, das Vermögen sich selbst zu vervollkommnen, un- widerredlich am Tage.
Und da ihm die ganze bewohnbare Erde zum Aufenthalt offen steht, und fast die ganze organisirte Schöpfung zur Speise überlassen ist, so erzeugt freilich eben die große Verschiedenheit der Climate, die er bewohnen soll, und der Nahrung, die ihm der Ort seines Aufenthalts gestattet, eben so verschiedene Be- dürfnisse, die er durch keinen einförmigen Kunsttrieb, aber wohl durch den Gebrauch seiner sich nach den Umständen gleich-
*)„Nascitur ars ista, non discitur.?"Seneca.
**)Ch. G. le Roy.Lettres philosophiques sur l'intelligence et la perfectibilité des animaux.Par. 1802. 8.
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mer erzogen hat, doch im Herbst den innern Ruf zum Fortzie-
hen fühlen, und im Käfich bei allem guten Futter und Pflege
unruhig werden.
§. 36.
Unter den mancherlei Arten dieser thierischen Triebe sind
besonders die so genannten Kunsttriebe merkwürdig, da sich
nähmlich so viele warmblütige Thiere und Insecten ohne alle
Anweisung und ohne alle vorgängige Uebung *), (als welche
bei so vielen gar nicht Statt finden kann; wie z. B. bei den
Seidenwürmern ꝛc., die nur Ein für alle Mahl in ihrem Leben
davon Gebrauch machen können, und wo folglich schlechterdings
erster Versuch und Meisterstück Eins seyn muß), so ungemein
künstliche Wohnungen, Nester, Gewebe ꝛc. zu ihrem Aufent-
halte, zur Sicherheit für ihre Junge, zum Fang ihres Raubes,
und zu vielfachen andern Zwecken zu verfertigen wissen.
§. 37.
Der Mensch zeigt außer den Sexualtrieben wenig andere
Spuren von Instinct: angeborne Kunsttriebe aber hat er vol-
lends ganz und gar nicht. Was ihn hingegen für diesen schein-
baren Mangel entschädigt, ist der Gebrauch der Vernunft.
Diese mag nun entweder eine ausschließlich eigenthümliche
Fähigkeit der menschlichen Seele, oder aber ein unendlich stär-
kerer Grad einer Fähigkeit seyn, wovon manche Thiere **)
auch einige schwache Spur hätten; oder eine eigene Richtung der
gesammten menschlichen Seelenkräfte u. s. w., so liegt wenig-
stens der hohe Vorzug, den der Mensch durch den Besitz dersel-
ben erhält, das Vermögen sich selbst zu vervollkommnen, un-
widerredlich am Tage.
Und da ihm die ganze bewohnbare Erde zum Aufenthalt
offen steht, und fast die ganze organisirte Schöpfung zur Speise
überlassen ist, so erzeugt freilich eben die große Verschiedenheit
der Climate, die er bewohnen soll, und der Nahrung, die ihm
der Ort seines Aufenthalts gestattet, eben so verschiedene Be-
dürfnisse, die er durch keinen einförmigen Kunsttrieb, aber
wohl durch den Gebrauch seiner sich nach den Umständen gleich-
*) „Nascitur ars ista, non discitur.?" Seneca.
**) Ch. G. le Roy. Lettres philosophiques sur l'intelligence
et la perfectibilité des animaux. Par. 1802. 8.
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Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. 12. Aufl. Wien, 1832, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_naturgeschichte_1832/36>, abgerufen am 21.12.2024.
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