Dieses merkwürdige Bein muß aus mehr als ei- ner Ursache einzeln abgehandelt werden. Denn die Knochen, welche in der obern Kinnlade bey dem Menschen zusammenstoßen, und alle und jede Ober- zähne fest in sich halten, sind bey den Thieren durch einen gewissen dritten vorwärtsgehenden Knochen, der wie ein Pfahl zwischen ihnen steht, von einander getrennt worden, welchen Haller deshalb, weil die obern Schneidezähne (wenn welche vorhanden sind) in ihm stehen, den Namen Schneideknochen gege- ben hat. Allein da man ihn auch in jenen Säug- thieren findet, welche diese Oberzähne nicht haben, wie die wiederkäuenden Thiere und der Elephant, und das afrikanische zweygehörnte Rhinozeros sind, oder in ganz zahnlosen, als dem Ameisenbär und Wall- fisch; so glaubte ich ihn eher den Zwischenkinnladen- knochen nennen zu müssen 21). Bey einigen ist es ein einziger ungetheilter Knochen, bey vielen hinge- gen ist er in zwey Stücken getheilt, bey andern aber durch eigne Näthe von den benachbarten Knochen des Hinterhauptes gesondert, deren eine bey sehr vielen im Gesicht auf beyden Seiten nach der Nase, zu den äußersten Höhlen der Schneidezähne, die an- dere im Gaumen von dieser Höhle gegen das vordere gewölbte Gaumenloch hinläuft. Da nun Kamper den Mangel dieses Knochens zu den Hauptmerkma- len gerechnet hat, wodurch der Mensch von andern
Säug-
21) Bey den sehr berühmten Zootomikern Vitet und Vicq d'Azvr heißt es das Unterkinnbackenbein, und bey Blair in der Osteographie des Elephanten, das Gaumenbein.
§. 15. Das Zwiſchenkinnladenbein.
Dieſes merkwuͤrdige Bein muß aus mehr als ei- ner Urſache einzeln abgehandelt werden. Denn die Knochen, welche in der obern Kinnlade bey dem Menſchen zuſammenſtoßen, und alle und jede Ober- zaͤhne feſt in ſich halten, ſind bey den Thieren durch einen gewiſſen dritten vorwaͤrtsgehenden Knochen, der wie ein Pfahl zwiſchen ihnen ſteht, von einander getrennt worden, welchen Haller deshalb, weil die obern Schneidezaͤhne (wenn welche vorhanden ſind) in ihm ſtehen, den Namen Schneideknochen gege- ben hat. Allein da man ihn auch in jenen Saͤug- thieren findet, welche dieſe Oberzaͤhne nicht haben, wie die wiederkaͤuenden Thiere und der Elephant, und das afrikaniſche zweygehoͤrnte Rhinozeros ſind, oder in ganz zahnloſen, als dem Ameiſenbaͤr und Wall- fiſch; ſo glaubte ich ihn eher den Zwiſchenkinnladen- knochen nennen zu muͤſſen 21). Bey einigen iſt es ein einziger ungetheilter Knochen, bey vielen hinge- gen iſt er in zwey Stuͤcken getheilt, bey andern aber durch eigne Naͤthe von den benachbarten Knochen des Hinterhauptes geſondert, deren eine bey ſehr vielen im Geſicht auf beyden Seiten nach der Naſe, zu den aͤußerſten Hoͤhlen der Schneidezaͤhne, die an- dere im Gaumen von dieſer Hoͤhle gegen das vordere gewoͤlbte Gaumenloch hinlaͤuft. Da nun Kamper den Mangel dieſes Knochens zu den Hauptmerkma- len gerechnet hat, wodurch der Menſch von andern
Saͤug-
21) Bey den ſehr beruͤhmten Zootomikern Vitet und Vicq d’Azvr heißt es das Unterkinnbackenbein, und bey Blair in der Oſteographie des Elephanten, das Gaumenbein.
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§. 15.
Das Zwiſchenkinnladenbein.
Dieſes merkwuͤrdige Bein muß aus mehr als ei-
ner Urſache einzeln abgehandelt werden. Denn die
Knochen, welche in der obern Kinnlade bey dem
Menſchen zuſammenſtoßen, und alle und jede Ober-
zaͤhne feſt in ſich halten, ſind bey den Thieren durch
einen gewiſſen dritten vorwaͤrtsgehenden Knochen,
der wie ein Pfahl zwiſchen ihnen ſteht, von einander
getrennt worden, welchen Haller deshalb, weil die
obern Schneidezaͤhne (wenn welche vorhanden ſind)
in ihm ſtehen, den Namen Schneideknochen gege-
ben hat. Allein da man ihn auch in jenen Saͤug-
thieren findet, welche dieſe Oberzaͤhne nicht haben,
wie die wiederkaͤuenden Thiere und der Elephant, und
das afrikaniſche zweygehoͤrnte Rhinozeros ſind, oder
in ganz zahnloſen, als dem Ameiſenbaͤr und Wall-
fiſch; ſo glaubte ich ihn eher den Zwiſchenkinnladen-
knochen nennen zu muͤſſen 21). Bey einigen iſt es
ein einziger ungetheilter Knochen, bey vielen hinge-
gen iſt er in zwey Stuͤcken getheilt, bey andern aber
durch eigne Naͤthe von den benachbarten Knochen
des Hinterhauptes geſondert, deren eine bey ſehr
vielen im Geſicht auf beyden Seiten nach der Naſe,
zu den aͤußerſten Hoͤhlen der Schneidezaͤhne, die an-
dere im Gaumen von dieſer Hoͤhle gegen das vordere
gewoͤlbte Gaumenloch hinlaͤuft. Da nun Kamper
den Mangel dieſes Knochens zu den Hauptmerkma-
len gerechnet hat, wodurch der Menſch von andern
Saͤug-
21) Bey den ſehr beruͤhmten Zootomikern Vitet und
Vicq d’Azvr heißt es das Unterkinnbackenbein,
und bey Blair in der Oſteographie des Elephanten,
das Gaumenbein.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
"Über die natürlichen Verschiedenheiten im Mensch… [mehr]
"Über die natürlichen Verschiedenheiten im Menschengeschlechte" ist die überarbeitete Fassung von Blumenbachs Dissertationsschrift "De generis humani varietate nativa" (1. Aufl. 1775 bei Friedrich Andreas Rosenbusch in Göttingen). Die Dissertation erschien in lateinischer Sprache; für das DTA wurde Johann Gottfried Grubers Übersetzung der dritten Auflage von Blumenbachs Dissertation (1795 bei Vandenhoek & Ruprecht) digitalisiert, die 1798 in Leipzig bei Breitkopf & Härtel erschien. Erstmals lag hiermit Blumenbachs Werk "De generis humani varietate nativa" in deutscher Sprache vor.
Blumenbach, Johann Friedrich: Über die natürlichen Verschiedenheiten im Menschengeschlechte. Leipzig, 1798, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_menschengeschlecht_1798/72>, abgerufen am 22.02.2025.
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