Aus dem, was über des Menschen Stellung bisher gesagt worden ist, ergiebt sich der größte Vor- zug seiner äußern Bildung, nämlich: der freyste Gebrauch zweyer sehr vollkommener Hände; durch deren Bildung er so weit über den übrigen Thieren steht, daß dadurch des Anaxagoras abgedroschenes, von Helvetius in unsern Zeiten wieder aufgewärmtes Sophisma entstanden ist: "Der Mensch scheine des- halb am weisesten zu seyn, weil er mit Händen aus- gestattet ist." Dies ist wirklich zu paradox; weni- ger scheint sich im Gegentheile die Behauptung des Aristoteles von der Wahrheit der Natur zu entfernen, "daß bloß der Mensch wirklich Hände habe, welche wirkliche Hände seyen;" da selbst bey den Menschen- ähnlichen Affen ein Haupttheil der Hände, ich meine der Daumen, nach Verhältniß kurz, fast abgekippt, und, um mich eines Ausdrucks des großen Enstachins zu bedienen, sehr lächerlich ist; daß mithin wirklich keine Hand, außer die menschliche, die Benennung eines Organs der Organe verdient, womit derselbe Stagirite sie beehrt hat.
§. 10. Die Affen und verwandten Thiere hingegen sind vier- händig.
Die Affen und andere Thiere, welche man ins- gemein Menschenähnliche nennt, von der Gattung der Paviane, Meerkatzen und Faulthieraffen (Le- mur) sind in der That weder zwey noch vierfüßig, sondern vierhändig zu nennen. Denn ihre Hinter-
füße
§. 9. C) Der Menſch, ein zweyhaͤndiges Thier.
Aus dem, was uͤber des Menſchen Stellung bisher geſagt worden iſt, ergiebt ſich der groͤßte Vor- zug ſeiner aͤußern Bildung, naͤmlich: der freyſte Gebrauch zweyer ſehr vollkommener Haͤnde; durch deren Bildung er ſo weit uͤber den uͤbrigen Thieren ſteht, daß dadurch des Anaxagoras abgedroſchenes, von Helvetius in unſern Zeiten wieder aufgewaͤrmtes Sophiſma entſtanden iſt: „Der Menſch ſcheine des- halb am weiſeſten zu ſeyn, weil er mit Haͤnden aus- geſtattet iſt.“ Dies iſt wirklich zu paradox; weni- ger ſcheint ſich im Gegentheile die Behauptung des Ariſtoteles von der Wahrheit der Natur zu entfernen, „daß bloß der Menſch wirklich Haͤnde habe, welche wirkliche Haͤnde ſeyen;“ da ſelbſt bey den Menſchen- aͤhnlichen Affen ein Haupttheil der Haͤnde, ich meine der Daumen, nach Verhaͤltniß kurz, faſt abgekippt, und, um mich eines Ausdrucks des großen Enſtachins zu bedienen, ſehr laͤcherlich iſt; daß mithin wirklich keine Hand, außer die menſchliche, die Benennung eines Organs der Organe verdient, womit derſelbe Stagirite ſie beehrt hat.
§. 10. Die Affen und verwandten Thiere hingegen ſind vier- haͤndig.
Die Affen und andere Thiere, welche man ins- gemein Menſchenaͤhnliche nennt, von der Gattung der Paviane, Meerkatzen und Faulthieraffen (Le- mur) ſind in der That weder zwey noch vierfuͤßig, ſondern vierhaͤndig zu nennen. Denn ihre Hinter-
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§. 9.
C) Der Menſch, ein zweyhaͤndiges Thier.
Aus dem, was uͤber des Menſchen Stellung
bisher geſagt worden iſt, ergiebt ſich der groͤßte Vor-
zug ſeiner aͤußern Bildung, naͤmlich: der freyſte
Gebrauch zweyer ſehr vollkommener Haͤnde; durch
deren Bildung er ſo weit uͤber den uͤbrigen Thieren
ſteht, daß dadurch des Anaxagoras abgedroſchenes,
von Helvetius in unſern Zeiten wieder aufgewaͤrmtes
Sophiſma entſtanden iſt: „Der Menſch ſcheine des-
halb am weiſeſten zu ſeyn, weil er mit Haͤnden aus-
geſtattet iſt.“ Dies iſt wirklich zu paradox; weni-
ger ſcheint ſich im Gegentheile die Behauptung des
Ariſtoteles von der Wahrheit der Natur zu entfernen,
„daß bloß der Menſch wirklich Haͤnde habe, welche
wirkliche Haͤnde ſeyen;“ da ſelbſt bey den Menſchen-
aͤhnlichen Affen ein Haupttheil der Haͤnde, ich meine
der Daumen, nach Verhaͤltniß kurz, faſt abgekippt,
und, um mich eines Ausdrucks des großen Enſtachins
zu bedienen, ſehr laͤcherlich iſt; daß mithin wirklich
keine Hand, außer die menſchliche, die Benennung
eines Organs der Organe verdient, womit derſelbe
Stagirite ſie beehrt hat.
§. 10.
Die Affen und verwandten Thiere hingegen ſind vier-
haͤndig.
Die Affen und andere Thiere, welche man ins-
gemein Menſchenaͤhnliche nennt, von der Gattung
der Paviane, Meerkatzen und Faulthieraffen (Le-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
"Über die natürlichen Verschiedenheiten im Mensch… [mehr]
"Über die natürlichen Verschiedenheiten im Menschengeschlechte" ist die überarbeitete Fassung von Blumenbachs Dissertationsschrift "De generis humani varietate nativa" (1. Aufl. 1775 bei Friedrich Andreas Rosenbusch in Göttingen). Die Dissertation erschien in lateinischer Sprache; für das DTA wurde Johann Gottfried Grubers Übersetzung der dritten Auflage von Blumenbachs Dissertation (1795 bei Vandenhoek & Ruprecht) digitalisiert, die 1798 in Leipzig bei Breitkopf & Härtel erschien. Erstmals lag hiermit Blumenbachs Werk "De generis humani varietate nativa" in deutscher Sprache vor.
Blumenbach, Johann Friedrich: Über die natürlichen Verschiedenheiten im Menschengeschlechte. Leipzig, 1798, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_menschengeschlecht_1798/64>, abgerufen am 22.02.2025.
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