Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Einundzwanzigstes Kapitel: Der Norddeutsche Bund.
während es mir nothwendig schien, den parlamentarischen Gegnern,
von denen doch höchstens diejenigen, die später die freisinnige
Partei bildeten, böswillig, die Andern aber nur verrannt waren,
sei es politisch, sei es sprachlich, eine goldne Brücke zu bauen,
um den innern Frieden Preußens herzustellen und von dieser festen
preußischen Basis aus die deutsche Politik des Königs fortzusetzen.
Die viele Stunden lange und für mich sehr angreifende Unter¬
redung, weil sie meinerseits stets in vorsichtigen Formen geführt
werden mußte, fand im Eisenbahncoupe zu Dreien Statt, mit dem
Könige und dem Kronprinzen. Der Letztre aber unterstützte mich
nicht, obschon er in dem leichtbeweglichen Ausdruck seines Mienen¬
spiels mich wenigstens durch Kundgebung seines vollen Einverständ¬
nisses seinem Herrn Vater gegenüber stärkte.

Durch eine Correspondenz, die ich von Nikolsburg aus mit
den übrigen Ministern geführt hatte, war der Entwurf der Thron¬
rede zu Stande gekommen und von Sr. Majestät genehmigt worden
mit Ausnahme des auf die Indemnität bezüglichen Satzes. Schlie߬
lich gab der König mit Widerstreben auch dazu seine Einwilligung,
so daß der Landtag am 5. August mit einer Thronrede eröffnet
werden konnte, die ankündigte, daß die Landesvertretung in Be¬
zug auf die ohne Staatshaushaltsgesetz geführte Verwaltung um
nachträgliche Verwilligung angegangen werden solle. In verbis
simus faciles
!

VI.

Das nächste Geschäft war die Regelung unsres Verhältnisses
zu den verschiedenen deutschen Staaten, mit denen wir im Kriege
gewesen waren. Wir hätten die Annexionen für Preußen ent¬
behren und Ersatz dafür in der Bundesverfassung suchen können.
Se. Majestät aber hatte an praktische Effecte von Verfassungs¬
paragraphen keinen bessern Glauben wie an den alten Bundestag
und bestand auf der territorialen Vergrößerung Preußens, um die

Einundzwanzigſtes Kapitel: Der Norddeutſche Bund.
während es mir nothwendig ſchien, den parlamentariſchen Gegnern,
von denen doch höchſtens diejenigen, die ſpäter die freiſinnige
Partei bildeten, böswillig, die Andern aber nur verrannt waren,
ſei es politiſch, ſei es ſprachlich, eine goldne Brücke zu bauen,
um den innern Frieden Preußens herzuſtellen und von dieſer feſten
preußiſchen Baſis aus die deutſche Politik des Königs fortzuſetzen.
Die viele Stunden lange und für mich ſehr angreifende Unter¬
redung, weil ſie meinerſeits ſtets in vorſichtigen Formen geführt
werden mußte, fand im Eiſenbahncoupé zu Dreien Statt, mit dem
Könige und dem Kronprinzen. Der Letztre aber unterſtützte mich
nicht, obſchon er in dem leichtbeweglichen Ausdruck ſeines Mienen¬
ſpiels mich wenigſtens durch Kundgebung ſeines vollen Einverſtänd¬
niſſes ſeinem Herrn Vater gegenüber ſtärkte.

Durch eine Correſpondenz, die ich von Nikolsburg aus mit
den übrigen Miniſtern geführt hatte, war der Entwurf der Thron¬
rede zu Stande gekommen und von Sr. Majeſtät genehmigt worden
mit Ausnahme des auf die Indemnität bezüglichen Satzes. Schlie߬
lich gab der König mit Widerſtreben auch dazu ſeine Einwilligung,
ſo daß der Landtag am 5. Auguſt mit einer Thronrede eröffnet
werden konnte, die ankündigte, daß die Landesvertretung in Be¬
zug auf die ohne Staatshaushaltsgeſetz geführte Verwaltung um
nachträgliche Verwilligung angegangen werden ſolle. In verbis
simus faciles
!

VI.

Das nächſte Geſchäft war die Regelung unſres Verhältniſſes
zu den verſchiedenen deutſchen Staaten, mit denen wir im Kriege
geweſen waren. Wir hätten die Annexionen für Preußen ent¬
behren und Erſatz dafür in der Bundesverfaſſung ſuchen können.
Se. Majeſtät aber hatte an praktiſche Effecte von Verfaſſungs¬
paragraphen keinen beſſern Glauben wie an den alten Bundestag
und beſtand auf der territorialen Vergrößerung Preußens, um die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0094" n="70"/><fw place="top" type="header">Einundzwanzig&#x017F;tes Kapitel: Der Norddeut&#x017F;che Bund.<lb/></fw> während es mir nothwendig &#x017F;chien, den parlamentari&#x017F;chen Gegnern,<lb/>
von denen doch höch&#x017F;tens diejenigen, die &#x017F;päter die frei&#x017F;innige<lb/>
Partei bildeten, böswillig, die Andern aber nur verrannt waren,<lb/>
&#x017F;ei es politi&#x017F;ch, &#x017F;ei es &#x017F;prachlich, eine goldne Brücke zu bauen,<lb/>
um den innern Frieden Preußens herzu&#x017F;tellen und von die&#x017F;er fe&#x017F;ten<lb/>
preußi&#x017F;chen Ba&#x017F;is aus die deut&#x017F;che Politik des Königs fortzu&#x017F;etzen.<lb/>
Die viele Stunden lange und für mich &#x017F;ehr angreifende Unter¬<lb/>
redung, weil &#x017F;ie meiner&#x017F;eits &#x017F;tets in vor&#x017F;ichtigen Formen geführt<lb/>
werden mußte, fand im Ei&#x017F;enbahncoup<hi rendition="#aq">é</hi> zu Dreien Statt, mit dem<lb/>
Könige und dem Kronprinzen. Der Letztre aber unter&#x017F;tützte mich<lb/>
nicht, ob&#x017F;chon er in dem leichtbeweglichen Ausdruck &#x017F;eines Mienen¬<lb/>
&#x017F;piels mich wenig&#x017F;tens durch Kundgebung &#x017F;eines vollen Einver&#x017F;tänd¬<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;es &#x017F;einem Herrn Vater gegenüber &#x017F;tärkte.</p><lb/>
          <p>Durch eine Corre&#x017F;pondenz, die ich von Nikolsburg aus mit<lb/>
den übrigen Mini&#x017F;tern geführt hatte, war der Entwurf der Thron¬<lb/>
rede zu Stande gekommen und von Sr. Maje&#x017F;tät genehmigt worden<lb/>
mit Ausnahme des auf die Indemnität bezüglichen Satzes. Schlie߬<lb/>
lich gab der König mit Wider&#x017F;treben auch dazu &#x017F;eine Einwilligung,<lb/>
&#x017F;o daß der Landtag am 5. Augu&#x017F;t mit einer Thronrede eröffnet<lb/>
werden konnte, die ankündigte, daß die Landesvertretung in Be¬<lb/>
zug auf die ohne Staatshaushaltsge&#x017F;etz geführte Verwaltung um<lb/>
nachträgliche Verwilligung angegangen werden &#x017F;olle. <hi rendition="#aq">In verbis<lb/>
simus faciles</hi>!</p><lb/>
        </div>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#aq">VI.</hi><lb/>
          </head>
          <p>Das näch&#x017F;te Ge&#x017F;chäft war die Regelung un&#x017F;res Verhältni&#x017F;&#x017F;es<lb/>
zu den ver&#x017F;chiedenen deut&#x017F;chen Staaten, mit denen wir im Kriege<lb/>
gewe&#x017F;en waren. Wir hätten die Annexionen für Preußen ent¬<lb/>
behren und Er&#x017F;atz dafür in der Bundesverfa&#x017F;&#x017F;ung &#x017F;uchen können.<lb/>
Se. Maje&#x017F;tät aber hatte an prakti&#x017F;che Effecte von Verfa&#x017F;&#x017F;ungs¬<lb/>
paragraphen keinen be&#x017F;&#x017F;ern Glauben wie an den alten Bundestag<lb/>
und be&#x017F;tand auf der territorialen Vergrößerung Preußens, um die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[70/0094] Einundzwanzigſtes Kapitel: Der Norddeutſche Bund. während es mir nothwendig ſchien, den parlamentariſchen Gegnern, von denen doch höchſtens diejenigen, die ſpäter die freiſinnige Partei bildeten, böswillig, die Andern aber nur verrannt waren, ſei es politiſch, ſei es ſprachlich, eine goldne Brücke zu bauen, um den innern Frieden Preußens herzuſtellen und von dieſer feſten preußiſchen Baſis aus die deutſche Politik des Königs fortzuſetzen. Die viele Stunden lange und für mich ſehr angreifende Unter¬ redung, weil ſie meinerſeits ſtets in vorſichtigen Formen geführt werden mußte, fand im Eiſenbahncoupé zu Dreien Statt, mit dem Könige und dem Kronprinzen. Der Letztre aber unterſtützte mich nicht, obſchon er in dem leichtbeweglichen Ausdruck ſeines Mienen¬ ſpiels mich wenigſtens durch Kundgebung ſeines vollen Einverſtänd¬ niſſes ſeinem Herrn Vater gegenüber ſtärkte. Durch eine Correſpondenz, die ich von Nikolsburg aus mit den übrigen Miniſtern geführt hatte, war der Entwurf der Thron¬ rede zu Stande gekommen und von Sr. Majeſtät genehmigt worden mit Ausnahme des auf die Indemnität bezüglichen Satzes. Schlie߬ lich gab der König mit Widerſtreben auch dazu ſeine Einwilligung, ſo daß der Landtag am 5. Auguſt mit einer Thronrede eröffnet werden konnte, die ankündigte, daß die Landesvertretung in Be¬ zug auf die ohne Staatshaushaltsgeſetz geführte Verwaltung um nachträgliche Verwilligung angegangen werden ſolle. In verbis simus faciles! VI. Das nächſte Geſchäft war die Regelung unſres Verhältniſſes zu den verſchiedenen deutſchen Staaten, mit denen wir im Kriege geweſen waren. Wir hätten die Annexionen für Preußen ent¬ behren und Erſatz dafür in der Bundesverfaſſung ſuchen können. Se. Majeſtät aber hatte an praktiſche Effecte von Verfaſſungs¬ paragraphen keinen beſſern Glauben wie an den alten Bundestag und beſtand auf der territorialen Vergrößerung Preußens, um die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/94
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/94>, abgerufen am 20.11.2024.