Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Einunddreißigstes Kapitel: Der Staatsrath. zu streichen, hatte aber offenbar den zu verbessernden Artikel nichtzu Ende gelesen und das "endlich" stehn lassen. Sein Antrag wurde angenommen und in allen Stadien der Berathung beibehalten, und so hat denn der Artikel (jetzt 74) die sonderbare Fassung: Jedes Unternehmen gegen die Existenz, die Integrität, die Vor 1848 war man beflissen, das Richtige und Vernünftige Die ersten Staatsrathssitzungen, denen ich nach seiner Wieder¬ Einunddreißigſtes Kapitel: Der Staatsrath. zu ſtreichen, hatte aber offenbar den zu verbeſſernden Artikel nichtzu Ende geleſen und das „endlich“ ſtehn laſſen. Sein Antrag wurde angenommen und in allen Stadien der Berathung beibehalten, und ſo hat denn der Artikel (jetzt 74) die ſonderbare Faſſung: Jedes Unternehmen gegen die Exiſtenz, die Integrität, die Vor 1848 war man befliſſen, das Richtige und Vernünftige Die erſten Staatsrathsſitzungen, denen ich nach ſeiner Wieder¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0298" n="274"/><fw place="top" type="header">Einunddreißigſtes Kapitel: Der Staatsrath.<lb/></fw> zu ſtreichen, hatte aber offenbar den zu verbeſſernden Artikel nicht<lb/> zu Ende geleſen und das „endlich“ ſtehn laſſen. Sein Antrag<lb/> wurde angenommen und in allen Stadien der Berathung beibehalten,<lb/> und ſo hat denn der Artikel (jetzt 74) die ſonderbare Faſſung:</p><lb/> <floatingText rendition="#et"> <body> <div> <p>Jedes Unternehmen gegen die Exiſtenz, die Integrität, die<lb/> Sicherheit oder die Verfaſſung des Deutſchen Reichs, <hi rendition="#g">endlich</hi><lb/> die Beleidigung des Bundesraths, des Reichstags u. ſ. w.</p><lb/> </div> </body> </floatingText> <p>Vor 1848 war man befliſſen, das Richtige und Vernünftige<lb/> zu finden, heut genügt die Majorität und die königliche Unter¬<lb/> ſchrift. Ich kann nur bedauern, daß die Mitwirkung weitrer Kreiſe<lb/> zur Vorbereitung der Geſetze, wie ſie im Staatsrath und im Volks¬<lb/> wirthſchaftsrath gegeben war, gegenüber miniſterieller oder monarchi¬<lb/> ſcher Ungeduld nicht hinreichend hat zur Geltung gebracht werden<lb/> können. Ich habe, wenn ich Muße fand, mich mit dieſen Problemen<lb/> zu beſchäftigen, zu meinen Collegen gelegentlich den Wunſch ge¬<lb/> äußert, daß ſie ihre legislatoriſche Thätigkeit damit beginnen möchten,<lb/> die Entwürfe zu veröffentlichen, der publiciſtiſchen Kritik preis zu<lb/> geben, möglichſt viele ſachkundige und an der Frage intereſſirte<lb/> Kreiſe, alſo Staatsrath, Volkswirthſchaftsrath, nach Umſtänden die<lb/> Provinziallandtage zu hören, und alsdann erſt die Berathung im<lb/> Staatsminiſterium möchten eintreten laſſen. Das Zurückdrängen des<lb/> Staatsraths und ähnlicher Berathungskörper ſchreibe ich hauptſächlich<lb/> der Eiferſucht zu, mit der dieſe unzünftigen Rathgeber in öffent¬<lb/> lichen Angelegenheiten von den zünftigen Räthen und von den<lb/> Parlamenten betrachtet werden, zugleich aber auch dem Unbehagen,<lb/> mit dem die miniſterielle Machtvollkommenheit innerhalb des eignen<lb/> Reſſorts auf das Mitreden Andrer blickt.</p><lb/> <p>Die erſten Staatsrathsſitzungen, denen ich nach ſeiner Wieder¬<lb/> einberufung 1884 unter dem Vorſitz des Kronprinzen Friedrich Wil¬<lb/> helm beiwohnte, machten nicht nur mir, ſondern, wie ich glaube,<lb/> allen Theilnehmern einen geſchäftlich günſtigen Eindruck. Der Prinz<lb/> hörte die Vorträge an, ohne ein Bedürfniß, die Vortragenden zu<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [274/0298]
Einunddreißigſtes Kapitel: Der Staatsrath.
zu ſtreichen, hatte aber offenbar den zu verbeſſernden Artikel nicht
zu Ende geleſen und das „endlich“ ſtehn laſſen. Sein Antrag
wurde angenommen und in allen Stadien der Berathung beibehalten,
und ſo hat denn der Artikel (jetzt 74) die ſonderbare Faſſung:
Jedes Unternehmen gegen die Exiſtenz, die Integrität, die
Sicherheit oder die Verfaſſung des Deutſchen Reichs, endlich
die Beleidigung des Bundesraths, des Reichstags u. ſ. w.
Vor 1848 war man befliſſen, das Richtige und Vernünftige
zu finden, heut genügt die Majorität und die königliche Unter¬
ſchrift. Ich kann nur bedauern, daß die Mitwirkung weitrer Kreiſe
zur Vorbereitung der Geſetze, wie ſie im Staatsrath und im Volks¬
wirthſchaftsrath gegeben war, gegenüber miniſterieller oder monarchi¬
ſcher Ungeduld nicht hinreichend hat zur Geltung gebracht werden
können. Ich habe, wenn ich Muße fand, mich mit dieſen Problemen
zu beſchäftigen, zu meinen Collegen gelegentlich den Wunſch ge¬
äußert, daß ſie ihre legislatoriſche Thätigkeit damit beginnen möchten,
die Entwürfe zu veröffentlichen, der publiciſtiſchen Kritik preis zu
geben, möglichſt viele ſachkundige und an der Frage intereſſirte
Kreiſe, alſo Staatsrath, Volkswirthſchaftsrath, nach Umſtänden die
Provinziallandtage zu hören, und alsdann erſt die Berathung im
Staatsminiſterium möchten eintreten laſſen. Das Zurückdrängen des
Staatsraths und ähnlicher Berathungskörper ſchreibe ich hauptſächlich
der Eiferſucht zu, mit der dieſe unzünftigen Rathgeber in öffent¬
lichen Angelegenheiten von den zünftigen Räthen und von den
Parlamenten betrachtet werden, zugleich aber auch dem Unbehagen,
mit dem die miniſterielle Machtvollkommenheit innerhalb des eignen
Reſſorts auf das Mitreden Andrer blickt.
Die erſten Staatsrathsſitzungen, denen ich nach ſeiner Wieder¬
einberufung 1884 unter dem Vorſitz des Kronprinzen Friedrich Wil¬
helm beiwohnte, machten nicht nur mir, ſondern, wie ich glaube,
allen Theilnehmern einen geſchäftlich günſtigen Eindruck. Der Prinz
hörte die Vorträge an, ohne ein Bedürfniß, die Vortragenden zu
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