Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite
Elftes Kapitel: Zwischenzustand.
II.

Der Fürst von Hohenzollern, der sich überzeugte, daß die Prin¬
zessin und Schleinitz durch sie stärker waren als er, zog sich bald
nachher von den Geschäften thatsächlich zurück, wenn er auch dem
Namen nach bis zum September 1862 Ministerpräsident blieb. Die
Leitung ging damit auch äußerlich auf Auerswald über, mit dem
ich während der Zeit, die ich noch in Berlin zubrachte, in freund¬
lichem Verkehr blieb. Er war von besonders liebenswürdigen Formen
und hervorragender politischer Begabung; und nachdem ich zwei
Jahr später Ministerpräsident geworden war, leistete er mir einen
wohlwollenden Beistand, namentlich dadurch, daß er bei dem Kron¬
prinzen die Bedenken und Besorgnisse über die Zukunft unsres
Landes bekämpfte, die ihm von England aus gegen mich als
Russenfreund beigebracht worden waren und die später zu dem
Danziger Pronunciamiento führten. Auf seinem Sterbebette 1)ließ
er den Kronprinzen zu sich bitten, warnte eindringlich vor den Ge¬
fahren, welche seine Opposition der Monarchie bereiten könnte, und
bat den Prinzen, an mir festzuhalten2).

Im Sommer 1861 war es innerhalb des Ministeriums zu
einem Kampfe gekommen, der in dem nachstehenden Brief des
Kriegsministers von Roon vom 27. Juni 3)geschildert ist:

"Berlin, den 27. Juni 1861.

Sie sind wohl im Allgemeinen über die jetzt kritische Huldi¬
gungsfrage orientirt. Sie ist zum Brechen scharf zugespitzt. Der
König kann nicht nachgeben, ohne sich und die Krone für immer
zu ruiniren. Die Mehrzahl der Minister kann es ebenso wenig;
sie würden sich die unmoralischen Bäuche aufschlitzen, sich politisch

1) R. v. Auerswald starb am 15. Januar 1866.
2) Vgl. Aus dem Leben Theodor von Bernhardis VI 227 f. 234.
3) Bismarck-Jahrbuch VI 194 ff.
Elftes Kapitel: Zwiſchenzuſtand.
II.

Der Fürſt von Hohenzollern, der ſich überzeugte, daß die Prin¬
zeſſin und Schleinitz durch ſie ſtärker waren als er, zog ſich bald
nachher von den Geſchäften thatſächlich zurück, wenn er auch dem
Namen nach bis zum September 1862 Miniſterpräſident blieb. Die
Leitung ging damit auch äußerlich auf Auerswald über, mit dem
ich während der Zeit, die ich noch in Berlin zubrachte, in freund¬
lichem Verkehr blieb. Er war von beſonders liebenswürdigen Formen
und hervorragender politiſcher Begabung; und nachdem ich zwei
Jahr ſpäter Miniſterpräſident geworden war, leiſtete er mir einen
wohlwollenden Beiſtand, namentlich dadurch, daß er bei dem Kron¬
prinzen die Bedenken und Beſorgniſſe über die Zukunft unſres
Landes bekämpfte, die ihm von England aus gegen mich als
Ruſſenfreund beigebracht worden waren und die ſpäter zu dem
Danziger Pronunciamiento führten. Auf ſeinem Sterbebette 1)ließ
er den Kronprinzen zu ſich bitten, warnte eindringlich vor den Ge¬
fahren, welche ſeine Oppoſition der Monarchie bereiten könnte, und
bat den Prinzen, an mir feſtzuhalten2).

Im Sommer 1861 war es innerhalb des Miniſteriums zu
einem Kampfe gekommen, der in dem nachſtehenden Brief des
Kriegsminiſters von Roon vom 27. Juni 3)geſchildert iſt:

„Berlin, den 27. Juni 1861.

Sie ſind wohl im Allgemeinen über die jetzt kritiſche Huldi¬
gungsfrage orientirt. Sie iſt zum Brechen ſcharf zugeſpitzt. Der
König kann nicht nachgeben, ohne ſich und die Krone für immer
zu ruiniren. Die Mehrzahl der Miniſter kann es ebenſo wenig;
ſie würden ſich die unmoraliſchen Bäuche aufſchlitzen, ſich politiſch

1) R. v. Auerswald ſtarb am 15. Januar 1866.
2) Vgl. Aus dem Leben Theodor von Bernhardis VI 227 f. 234.
3) Bismarck-Jahrbuch VI 194 ff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0267" n="240"/>
          <fw place="top" type="header">Elftes Kapitel: Zwi&#x017F;chenzu&#x017F;tand.<lb/></fw>
        </div>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#aq">II.</hi><lb/>
          </head>
          <p>Der Für&#x017F;t von Hohenzollern, der &#x017F;ich überzeugte, daß die Prin¬<lb/>
ze&#x017F;&#x017F;in und Schleinitz durch &#x017F;ie &#x017F;tärker waren als er, zog &#x017F;ich bald<lb/>
nachher von den Ge&#x017F;chäften that&#x017F;ächlich zurück, wenn er auch dem<lb/>
Namen nach bis zum September 1862 Mini&#x017F;terprä&#x017F;ident blieb. Die<lb/>
Leitung ging damit auch äußerlich auf Auerswald über, mit dem<lb/>
ich während der Zeit, die ich noch in Berlin zubrachte, in freund¬<lb/>
lichem Verkehr blieb. Er war von be&#x017F;onders liebenswürdigen Formen<lb/>
und hervorragender politi&#x017F;cher Begabung; und nachdem ich zwei<lb/>
Jahr &#x017F;päter Mini&#x017F;terprä&#x017F;ident geworden war, lei&#x017F;tete er mir einen<lb/>
wohlwollenden Bei&#x017F;tand, namentlich dadurch, daß er bei dem Kron¬<lb/>
prinzen die Bedenken und Be&#x017F;orgni&#x017F;&#x017F;e über die Zukunft un&#x017F;res<lb/>
Landes bekämpfte, die ihm von England aus gegen mich als<lb/>
Ru&#x017F;&#x017F;enfreund beigebracht worden waren und die &#x017F;päter zu dem<lb/>
Danziger Pronunciamiento führten. Auf &#x017F;einem Sterbebette <note place="foot" n="1)"><lb/>
R. v. Auerswald &#x017F;tarb am 15. Januar 1866.</note>ließ<lb/>
er den Kronprinzen zu &#x017F;ich bitten, warnte eindringlich vor den Ge¬<lb/>
fahren, welche &#x017F;eine Oppo&#x017F;ition der Monarchie bereiten könnte, und<lb/>
bat den Prinzen, an mir fe&#x017F;tzuhalten<note place="foot" n="2)"><lb/>
Vgl. Aus dem Leben Theodor von Bernhardis <hi rendition="#aq">VI</hi> 227 f. 234.</note>.</p><lb/>
          <p>Im Sommer 1861 war es innerhalb des Mini&#x017F;teriums zu<lb/>
einem Kampfe gekommen, der in dem nach&#x017F;tehenden Brief des<lb/>
Kriegsmini&#x017F;ters von Roon vom 27. Juni <note place="foot" n="3)"><lb/>
Bismarck-Jahrbuch <hi rendition="#aq">VI</hi> 194 ff.</note>ge&#x017F;childert i&#x017F;t:</p><lb/>
          <p> <hi rendition="#right">&#x201E;Berlin, den 27. Juni 1861.</hi> </p><lb/>
          <p>Sie &#x017F;ind wohl im Allgemeinen über die jetzt kriti&#x017F;che Huldi¬<lb/>
gungsfrage orientirt. Sie i&#x017F;t zum Brechen &#x017F;charf zuge&#x017F;pitzt. Der<lb/>
König kann nicht nachgeben, ohne &#x017F;ich und die Krone für immer<lb/>
zu ruiniren. Die Mehrzahl der Mini&#x017F;ter kann es eben&#x017F;o wenig;<lb/>
&#x017F;ie würden &#x017F;ich die unmorali&#x017F;chen Bäuche auf&#x017F;chlitzen, &#x017F;ich politi&#x017F;ch<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[240/0267] Elftes Kapitel: Zwiſchenzuſtand. II. Der Fürſt von Hohenzollern, der ſich überzeugte, daß die Prin¬ zeſſin und Schleinitz durch ſie ſtärker waren als er, zog ſich bald nachher von den Geſchäften thatſächlich zurück, wenn er auch dem Namen nach bis zum September 1862 Miniſterpräſident blieb. Die Leitung ging damit auch äußerlich auf Auerswald über, mit dem ich während der Zeit, die ich noch in Berlin zubrachte, in freund¬ lichem Verkehr blieb. Er war von beſonders liebenswürdigen Formen und hervorragender politiſcher Begabung; und nachdem ich zwei Jahr ſpäter Miniſterpräſident geworden war, leiſtete er mir einen wohlwollenden Beiſtand, namentlich dadurch, daß er bei dem Kron¬ prinzen die Bedenken und Beſorgniſſe über die Zukunft unſres Landes bekämpfte, die ihm von England aus gegen mich als Ruſſenfreund beigebracht worden waren und die ſpäter zu dem Danziger Pronunciamiento führten. Auf ſeinem Sterbebette 1)ließ er den Kronprinzen zu ſich bitten, warnte eindringlich vor den Ge¬ fahren, welche ſeine Oppoſition der Monarchie bereiten könnte, und bat den Prinzen, an mir feſtzuhalten 2). Im Sommer 1861 war es innerhalb des Miniſteriums zu einem Kampfe gekommen, der in dem nachſtehenden Brief des Kriegsminiſters von Roon vom 27. Juni 3)geſchildert iſt: „Berlin, den 27. Juni 1861. Sie ſind wohl im Allgemeinen über die jetzt kritiſche Huldi¬ gungsfrage orientirt. Sie iſt zum Brechen ſcharf zugeſpitzt. Der König kann nicht nachgeben, ohne ſich und die Krone für immer zu ruiniren. Die Mehrzahl der Miniſter kann es ebenſo wenig; ſie würden ſich die unmoraliſchen Bäuche aufſchlitzen, ſich politiſch 1) R. v. Auerswald ſtarb am 15. Januar 1866. 2) Vgl. Aus dem Leben Theodor von Bernhardis VI 227 f. 234. 3) Bismarck-Jahrbuch VI 194 ff.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/267
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/267>, abgerufen am 22.12.2024.