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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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Th. I. Bestrafung d. Verbr. u. Vergehen im Allg. Tit. I. Von d.
Strafen.
Rechtmäßigkeit des Krieges, und für sich auf die Lösung desselben ver-
zichten. Wer aber dem Staate unbedingt das Recht abspricht, über
das Leben seiner Bürger aus Gründen der strafenden Gerechtigkeit zu
verfügen, der wird den Beweis führen müssen, warum der Strafe gerade
hier eine Grenze gesetzt sein soll, und woher denn das Recht des Staa-
tes kommt, für öffentliche Zwecke die Aufopferung des Lebens zu er-
zwingen. Durch die Hinweisung auf das Unschätzbare, das Unersetzliche
des menschlichen Lebens wird dieser Beweis auch in seinem ersten Theile
nicht geführt, da vorher die Frage entschieden werden muß, bis zu wel-
chem Maaße dem Staate die Gewalt über den Einzelnen gegeben ist.
Auf der andern Seite wird freilich die Berufung auf alttestamentarische
Satzungen für die Nothwendigkeit der Todesstrafe nur den überzeugen,
der überhaupt jene Autorität als bindend für das moderne Rechtsbe-
wußtsein anerkennt.

Wer überhaupt gewohnt ist, das Verständniß über Staat und Recht
auf dem Wege der Geschichte zu suchen und die Gegenwart und deren
unmittelbare Anschauung zum Ausgangspunkt für die geschichtliche Be-
trachtung nimmt, der wird sich der Einsicht nicht verschließen, daß in
keiner Zeit, unter keiner Regierungsform der Staat sich des Rechtes
über Leben und Tod vollständig (z. B. auch bei Kriegsverrath, Meuterei)
entäußert hat, und daß auch jetzt noch für gewisse besonders schwere
Verbrechen das gemeine Rechtsgefühl des Volkes die Sühnung der
Schuld nur durch den Tod für möglich hält. Das sind die Momente,
welche der Gesetzgeber zu erfassen hat, wenn er, ohne den weiteren Ent-
wicklungen der Zukunft vorzugreifen, für sein Volk und seine Zeit thä-
tig sein will.

Läßt sich aber auch von diesem Standpunkte aus die Zulässigkeit
der Todesstrafe nicht in Abrede stellen, so ist doch ebenso gewiß, daß
die Ansichten über ihre Anwendung in den letzten Jahrhunderten sich
wesentlich geändert haben. Die Zahl der todeswürdigen Verbrechen hat
in den neueren Gesetzen, falls diese nicht den Charakter von Ausnahme-
gesetzen namentlich über den s. g. Belagerungszustand an sich tragen,
immer mehr abgenommen, und bei der Vollstreckung der Strafe werden
alle Verschärfungen immer mehr entfernt. In Beziehung auf die Frage,
welche Verbrechen für todeswürdig zu erklären sind, wird besonders häufig
die Aufhebung der Todesstrafe für die politischen Verbrechen verlangt,
und zwar hauptsächlich aus dem Grunde, weil die Strafbarkeit dieser
Verbrechen von dem Erfolge abhange, und der glückliche Ausgang
dem Sieger Vortheil und Ehre statt der Strafe zu bringen pflege. Dieß
Raisonnement, an sich hohl, beweist nur, daß wir uns in einer Zeit
befinden, in welcher die staatlichen Einrichtungen nicht durch die allge-

Th. I. Beſtrafung d. Verbr. u. Vergehen im Allg. Tit. I. Von d.
Strafen.
Rechtmäßigkeit des Krieges, und für ſich auf die Löſung deſſelben ver-
zichten. Wer aber dem Staate unbedingt das Recht abſpricht, über
das Leben ſeiner Bürger aus Gründen der ſtrafenden Gerechtigkeit zu
verfügen, der wird den Beweis führen müſſen, warum der Strafe gerade
hier eine Grenze geſetzt ſein ſoll, und woher denn das Recht des Staa-
tes kommt, für öffentliche Zwecke die Aufopferung des Lebens zu er-
zwingen. Durch die Hinweiſung auf das Unſchätzbare, das Unerſetzliche
des menſchlichen Lebens wird dieſer Beweis auch in ſeinem erſten Theile
nicht geführt, da vorher die Frage entſchieden werden muß, bis zu wel-
chem Maaße dem Staate die Gewalt über den Einzelnen gegeben iſt.
Auf der andern Seite wird freilich die Berufung auf altteſtamentariſche
Satzungen für die Nothwendigkeit der Todesſtrafe nur den überzeugen,
der überhaupt jene Autorität als bindend für das moderne Rechtsbe-
wußtſein anerkennt.

Wer überhaupt gewohnt iſt, das Verſtändniß über Staat und Recht
auf dem Wege der Geſchichte zu ſuchen und die Gegenwart und deren
unmittelbare Anſchauung zum Ausgangspunkt für die geſchichtliche Be-
trachtung nimmt, der wird ſich der Einſicht nicht verſchließen, daß in
keiner Zeit, unter keiner Regierungsform der Staat ſich des Rechtes
über Leben und Tod vollſtändig (z. B. auch bei Kriegsverrath, Meuterei)
entäußert hat, und daß auch jetzt noch für gewiſſe beſonders ſchwere
Verbrechen das gemeine Rechtsgefühl des Volkes die Sühnung der
Schuld nur durch den Tod für möglich hält. Das ſind die Momente,
welche der Geſetzgeber zu erfaſſen hat, wenn er, ohne den weiteren Ent-
wicklungen der Zukunft vorzugreifen, für ſein Volk und ſeine Zeit thä-
tig ſein will.

Läßt ſich aber auch von dieſem Standpunkte aus die Zuläſſigkeit
der Todesſtrafe nicht in Abrede ſtellen, ſo iſt doch ebenſo gewiß, daß
die Anſichten über ihre Anwendung in den letzten Jahrhunderten ſich
weſentlich geändert haben. Die Zahl der todeswürdigen Verbrechen hat
in den neueren Geſetzen, falls dieſe nicht den Charakter von Ausnahme-
geſetzen namentlich über den ſ. g. Belagerungszuſtand an ſich tragen,
immer mehr abgenommen, und bei der Vollſtreckung der Strafe werden
alle Verſchärfungen immer mehr entfernt. In Beziehung auf die Frage,
welche Verbrechen für todeswürdig zu erklären ſind, wird beſonders häufig
die Aufhebung der Todesſtrafe für die politiſchen Verbrechen verlangt,
und zwar hauptſächlich aus dem Grunde, weil die Strafbarkeit dieſer
Verbrechen von dem Erfolge abhange, und der glückliche Ausgang
dem Sieger Vortheil und Ehre ſtatt der Strafe zu bringen pflege. Dieß
Raiſonnement, an ſich hohl, beweiſt nur, daß wir uns in einer Zeit
befinden, in welcher die ſtaatlichen Einrichtungen nicht durch die allge-

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[92/0102] Th. I. Beſtrafung d. Verbr. u. Vergehen im Allg. Tit. I. Von d. Strafen. Rechtmäßigkeit des Krieges, und für ſich auf die Löſung deſſelben ver- zichten. Wer aber dem Staate unbedingt das Recht abſpricht, über das Leben ſeiner Bürger aus Gründen der ſtrafenden Gerechtigkeit zu verfügen, der wird den Beweis führen müſſen, warum der Strafe gerade hier eine Grenze geſetzt ſein ſoll, und woher denn das Recht des Staa- tes kommt, für öffentliche Zwecke die Aufopferung des Lebens zu er- zwingen. Durch die Hinweiſung auf das Unſchätzbare, das Unerſetzliche des menſchlichen Lebens wird dieſer Beweis auch in ſeinem erſten Theile nicht geführt, da vorher die Frage entſchieden werden muß, bis zu wel- chem Maaße dem Staate die Gewalt über den Einzelnen gegeben iſt. Auf der andern Seite wird freilich die Berufung auf altteſtamentariſche Satzungen für die Nothwendigkeit der Todesſtrafe nur den überzeugen, der überhaupt jene Autorität als bindend für das moderne Rechtsbe- wußtſein anerkennt. Wer überhaupt gewohnt iſt, das Verſtändniß über Staat und Recht auf dem Wege der Geſchichte zu ſuchen und die Gegenwart und deren unmittelbare Anſchauung zum Ausgangspunkt für die geſchichtliche Be- trachtung nimmt, der wird ſich der Einſicht nicht verſchließen, daß in keiner Zeit, unter keiner Regierungsform der Staat ſich des Rechtes über Leben und Tod vollſtändig (z. B. auch bei Kriegsverrath, Meuterei) entäußert hat, und daß auch jetzt noch für gewiſſe beſonders ſchwere Verbrechen das gemeine Rechtsgefühl des Volkes die Sühnung der Schuld nur durch den Tod für möglich hält. Das ſind die Momente, welche der Geſetzgeber zu erfaſſen hat, wenn er, ohne den weiteren Ent- wicklungen der Zukunft vorzugreifen, für ſein Volk und ſeine Zeit thä- tig ſein will. Läßt ſich aber auch von dieſem Standpunkte aus die Zuläſſigkeit der Todesſtrafe nicht in Abrede ſtellen, ſo iſt doch ebenſo gewiß, daß die Anſichten über ihre Anwendung in den letzten Jahrhunderten ſich weſentlich geändert haben. Die Zahl der todeswürdigen Verbrechen hat in den neueren Geſetzen, falls dieſe nicht den Charakter von Ausnahme- geſetzen namentlich über den ſ. g. Belagerungszuſtand an ſich tragen, immer mehr abgenommen, und bei der Vollſtreckung der Strafe werden alle Verſchärfungen immer mehr entfernt. In Beziehung auf die Frage, welche Verbrechen für todeswürdig zu erklären ſind, wird beſonders häufig die Aufhebung der Todesſtrafe für die politiſchen Verbrechen verlangt, und zwar hauptſächlich aus dem Grunde, weil die Strafbarkeit dieſer Verbrechen von dem Erfolge abhange, und der glückliche Ausgang dem Sieger Vortheil und Ehre ſtatt der Strafe zu bringen pflege. Dieß Raiſonnement, an ſich hohl, beweiſt nur, daß wir uns in einer Zeit befinden, in welcher die ſtaatlichen Einrichtungen nicht durch die allge-

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/102>, abgerufen am 27.04.2024.