Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Kapitel. Allgemeine Erörterungen.
bei welcher eine Tödtung oder schwere Körperverletzung stattgefunden
habe, schon wegen dieser Theilnahme mit einer Gefängnißstrafe nicht
unter drei Monaten zu belegen. Man hob hervor, daß es den allge-
meinen Grundsätzen des Strafrechts widerspreche, jemanden für etwas
Anderes verantwortlich zu machen, als was ihm als Erfolg seiner
Handlung nachgewiesen werden könne, und wenn dem auch entgegen-
gesetzt ward, daß eben die Bestrafung einer solchen qualificirten Schlä-
gerei als eines selbständigen Vergehens (homicidium in turba com-
missum
) sich wohl rechtfertigen lasse, so entschied doch zuletzt haupt-
sächlich das von dem Regierungskommissar nach amtlichen Ausweisen
als dringend dargethane Bedürfniß für die Annahme der Bestimmung.
Man war aber darin einverstanden, daß hier von einer Theilnahme an
einer Tödtung oder schweren Körperverletzung nicht die Rede sein dürfe,
wenn nicht die allgemeinen Grundsätze des Strafrechts und das System
dieses Gesetzbuchs verletzt werden sollten, und in diesem Sinne ist auch
der §. 195 gefaßt worden. s)

Im Allgemeinen unterscheidet nun das Strafgesetzbuch bei den
Verbrechen und Vergehen (von den Uebertretungen wird später in
der Einleitung zum dritten Theile besonders gehandelt werden), ob sie
mit Vorsatz oder aus Fahrlässigkeit begangen sind, was bestimmt
bei denjenigen hervortritt, welche je nachdem das Eine oder das Andere
der Fall ist, mit einer verschiedenen Strafe bedroht sind, wie die Töd-
tung, die Körperverletzung, die Brandstiftung, Ueberschwemmung u. s. w.
Doch reicht die Entwicklung dieses Gegensatzes nicht aus, um alle
Momente, welche hierbei in Betracht kommen, gehörig zu bezeichnen,
wenn auch ein näheres Eingehen in die Grundsätze des Strafgesetzbuchs
über die Verschuldung und deren verschiedene Grade an die Untersuchung
jener Begriffe sich anknüpfen läßt.

I. Der Vorsatz.

Mit dem Ausdruck: vorsätzlich bezeichnet das Strafgesetz diejenige
Willensbestimmung, welche auf die Verübung einer als Verbrechen oder
Vergehen unter Strafe gestellten Handlung gerichtet ist, t) und hebt da-
durch den Unterschied von derjenigen Handlungsweise hervor, welche
möglicher Weise auch unter eine Strafbestimmung fallen kann, aber nur
weil die vom Gesetze geforderte Vorsicht (die obligatio ad diligentiam)

s) a. a. O. S. 142, 143.
t) S. §. 71, 85, 94, 95, 106, 107, 111, 113, 131, 138, 171, 180, 181,
183, 187, 189, 191, 192, 194, 197, 203, 246, 272, 285-87, 290-92, 294,
296, 297, 301-4, 308, 314, 316, 320, 322, 330.

Zweites Kapitel. Allgemeine Erörterungen.
bei welcher eine Tödtung oder ſchwere Körperverletzung ſtattgefunden
habe, ſchon wegen dieſer Theilnahme mit einer Gefängnißſtrafe nicht
unter drei Monaten zu belegen. Man hob hervor, daß es den allge-
meinen Grundſätzen des Strafrechts widerſpreche, jemanden für etwas
Anderes verantwortlich zu machen, als was ihm als Erfolg ſeiner
Handlung nachgewieſen werden könne, und wenn dem auch entgegen-
geſetzt ward, daß eben die Beſtrafung einer ſolchen qualificirten Schlä-
gerei als eines ſelbſtändigen Vergehens (homicidium in turba com-
missum
) ſich wohl rechtfertigen laſſe, ſo entſchied doch zuletzt haupt-
ſächlich das von dem Regierungskommiſſar nach amtlichen Ausweiſen
als dringend dargethane Bedürfniß für die Annahme der Beſtimmung.
Man war aber darin einverſtanden, daß hier von einer Theilnahme an
einer Tödtung oder ſchweren Körperverletzung nicht die Rede ſein dürfe,
wenn nicht die allgemeinen Grundſätze des Strafrechts und das Syſtem
dieſes Geſetzbuchs verletzt werden ſollten, und in dieſem Sinne iſt auch
der §. 195 gefaßt worden. s)

Im Allgemeinen unterſcheidet nun das Strafgeſetzbuch bei den
Verbrechen und Vergehen (von den Uebertretungen wird ſpäter in
der Einleitung zum dritten Theile beſonders gehandelt werden), ob ſie
mit Vorſatz oder aus Fahrläſſigkeit begangen ſind, was beſtimmt
bei denjenigen hervortritt, welche je nachdem das Eine oder das Andere
der Fall iſt, mit einer verſchiedenen Strafe bedroht ſind, wie die Töd-
tung, die Körperverletzung, die Brandſtiftung, Ueberſchwemmung u. ſ. w.
Doch reicht die Entwicklung dieſes Gegenſatzes nicht aus, um alle
Momente, welche hierbei in Betracht kommen, gehörig zu bezeichnen,
wenn auch ein näheres Eingehen in die Grundſätze des Strafgeſetzbuchs
über die Verſchuldung und deren verſchiedene Grade an die Unterſuchung
jener Begriffe ſich anknüpfen läßt.

I. Der Vorſatz.

Mit dem Ausdruck: vorſätzlich bezeichnet das Strafgeſetz diejenige
Willensbeſtimmung, welche auf die Verübung einer als Verbrechen oder
Vergehen unter Strafe geſtellten Handlung gerichtet iſt, t) und hebt da-
durch den Unterſchied von derjenigen Handlungsweiſe hervor, welche
möglicher Weiſe auch unter eine Strafbeſtimmung fallen kann, aber nur
weil die vom Geſetze geforderte Vorſicht (die obligatio ad diligentiam)

s) a. a. O. S. 142, 143.
t) S. §. 71, 85, 94, 95, 106, 107, 111, 113, 131, 138, 171, 180, 181,
183, 187, 189, 191, 192, 194, 197, 203, 246, 272, 285-87, 290-92, 294,
296, 297, 301-4, 308, 314, 316, 320, 322, 330.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0054" n="44"/><fw place="top" type="header">Zweites Kapitel. Allgemeine Erörterungen.</fw><lb/>
bei welcher        eine Tödtung oder &#x017F;chwere Körperverletzung &#x017F;tattgefunden<lb/>
habe,        &#x017F;chon wegen die&#x017F;er Theilnahme mit einer Gefängniß&#x017F;trafe        nicht<lb/>
unter drei Monaten zu belegen. Man hob hervor, daß es den allge-<lb/>
meinen        Grund&#x017F;ätzen des Strafrechts wider&#x017F;preche, jemanden für        etwas<lb/>
Anderes verantwortlich zu machen, als was ihm als Erfolg        &#x017F;einer<lb/>
Handlung nachgewie&#x017F;en werden könne, und wenn dem auch        entgegen-<lb/>
ge&#x017F;etzt ward, daß eben die Be&#x017F;trafung einer        &#x017F;olchen qualificirten Schlä-<lb/>
gerei als eines        &#x017F;elb&#x017F;tändigen Vergehens (<hi rendition="#aq">homicidium in turba         com-<lb/>
missum</hi>) &#x017F;ich wohl rechtfertigen la&#x017F;&#x017F;e,        &#x017F;o ent&#x017F;chied doch zuletzt haupt-<lb/>
&#x017F;ächlich das von dem        Regierungskommi&#x017F;&#x017F;ar nach amtlichen Auswei&#x017F;en<lb/>
als        dringend dargethane Bedürfniß für die Annahme der Be&#x017F;timmung.<lb/>
Man war aber        darin einver&#x017F;tanden, daß hier von einer Theilnahme an<lb/>
einer Tödtung oder        &#x017F;chweren Körperverletzung nicht die Rede &#x017F;ein dürfe,<lb/>
wenn nicht die        allgemeinen Grund&#x017F;ätze des Strafrechts und das        Sy&#x017F;tem<lb/>
die&#x017F;es Ge&#x017F;etzbuchs verletzt werden        &#x017F;ollten, und in die&#x017F;em Sinne i&#x017F;t auch<lb/>
der §. 195 gefaßt        worden. <note place="foot" n="s)">a. a. O. S. 142, 143.</note>       </p><lb/>
            <p>Im Allgemeinen unter&#x017F;cheidet nun das Strafge&#x017F;etzbuch bei        den<lb/>
Verbrechen und Vergehen (von den <hi rendition="#g">Uebertretungen</hi> wird        &#x017F;päter in<lb/>
der Einleitung zum dritten Theile be&#x017F;onders gehandelt        werden), ob &#x017F;ie<lb/>
mit <hi rendition="#g">Vor&#x017F;atz</hi> oder <hi rendition="#g">aus Fahrlä&#x017F;&#x017F;igkeit</hi> begangen &#x017F;ind, was        be&#x017F;timmt<lb/>
bei denjenigen hervortritt, welche je nachdem das Eine oder das        Andere<lb/>
der Fall i&#x017F;t, mit einer ver&#x017F;chiedenen Strafe bedroht        &#x017F;ind, wie die Töd-<lb/>
tung, die Körperverletzung, die Brand&#x017F;tiftung,        Ueber&#x017F;chwemmung u. &#x017F;. w.<lb/>
Doch reicht die Entwicklung        die&#x017F;es Gegen&#x017F;atzes nicht aus, um alle<lb/>
Momente, welche hierbei in        Betracht kommen, gehörig zu bezeichnen,<lb/>
wenn auch ein näheres Eingehen in die        Grund&#x017F;ätze des Strafge&#x017F;etzbuchs<lb/>
über die Ver&#x017F;chuldung        und deren ver&#x017F;chiedene Grade an die Unter&#x017F;uchung<lb/>
jener Begriffe        &#x017F;ich anknüpfen läßt.</p><lb/>
            <div n="4">
              <head>I. <hi rendition="#g">Der Vor&#x017F;atz</hi>.</head><lb/>
              <p>Mit dem Ausdruck: <hi rendition="#g">vor&#x017F;ätzlich</hi> bezeichnet das         Strafge&#x017F;etz diejenige<lb/>
Willensbe&#x017F;timmung, welche auf die Verübung         einer als Verbrechen oder<lb/>
Vergehen unter Strafe ge&#x017F;tellten Handlung gerichtet         i&#x017F;t, <note place="foot" n="t)">S. §. 71, 85, 94, 95, 106, 107, 111, 113, 131,          138, 171, 180, 181,<lb/>
183, 187, 189, 191, 192, 194, 197, 203, 246, 272, 285-87, 290-92,          294,<lb/>
296, 297, 301-4, 308, 314, 316, 320, 322, 330.</note> und hebt da-<lb/>
durch den         Unter&#x017F;chied von derjenigen Handlungswei&#x017F;e hervor, welche<lb/>
möglicher         Wei&#x017F;e auch unter eine Strafbe&#x017F;timmung fallen kann, aber nur<lb/>
weil         die vom Ge&#x017F;etze geforderte Vor&#x017F;icht (die <hi rendition="#aq">obligatio          ad diligentiam</hi>)<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[44/0054] Zweites Kapitel. Allgemeine Erörterungen. bei welcher eine Tödtung oder ſchwere Körperverletzung ſtattgefunden habe, ſchon wegen dieſer Theilnahme mit einer Gefängnißſtrafe nicht unter drei Monaten zu belegen. Man hob hervor, daß es den allge- meinen Grundſätzen des Strafrechts widerſpreche, jemanden für etwas Anderes verantwortlich zu machen, als was ihm als Erfolg ſeiner Handlung nachgewieſen werden könne, und wenn dem auch entgegen- geſetzt ward, daß eben die Beſtrafung einer ſolchen qualificirten Schlä- gerei als eines ſelbſtändigen Vergehens (homicidium in turba com- missum) ſich wohl rechtfertigen laſſe, ſo entſchied doch zuletzt haupt- ſächlich das von dem Regierungskommiſſar nach amtlichen Ausweiſen als dringend dargethane Bedürfniß für die Annahme der Beſtimmung. Man war aber darin einverſtanden, daß hier von einer Theilnahme an einer Tödtung oder ſchweren Körperverletzung nicht die Rede ſein dürfe, wenn nicht die allgemeinen Grundſätze des Strafrechts und das Syſtem dieſes Geſetzbuchs verletzt werden ſollten, und in dieſem Sinne iſt auch der §. 195 gefaßt worden. s) Im Allgemeinen unterſcheidet nun das Strafgeſetzbuch bei den Verbrechen und Vergehen (von den Uebertretungen wird ſpäter in der Einleitung zum dritten Theile beſonders gehandelt werden), ob ſie mit Vorſatz oder aus Fahrläſſigkeit begangen ſind, was beſtimmt bei denjenigen hervortritt, welche je nachdem das Eine oder das Andere der Fall iſt, mit einer verſchiedenen Strafe bedroht ſind, wie die Töd- tung, die Körperverletzung, die Brandſtiftung, Ueberſchwemmung u. ſ. w. Doch reicht die Entwicklung dieſes Gegenſatzes nicht aus, um alle Momente, welche hierbei in Betracht kommen, gehörig zu bezeichnen, wenn auch ein näheres Eingehen in die Grundſätze des Strafgeſetzbuchs über die Verſchuldung und deren verſchiedene Grade an die Unterſuchung jener Begriffe ſich anknüpfen läßt. I. Der Vorſatz. Mit dem Ausdruck: vorſätzlich bezeichnet das Strafgeſetz diejenige Willensbeſtimmung, welche auf die Verübung einer als Verbrechen oder Vergehen unter Strafe geſtellten Handlung gerichtet iſt, t) und hebt da- durch den Unterſchied von derjenigen Handlungsweiſe hervor, welche möglicher Weiſe auch unter eine Strafbeſtimmung fallen kann, aber nur weil die vom Geſetze geforderte Vorſicht (die obligatio ad diligentiam) s) a. a. O. S. 142, 143. t) S. §. 71, 85, 94, 95, 106, 107, 111, 113, 131, 138, 171, 180, 181, 183, 187, 189, 191, 192, 194, 197, 203, 246, 272, 285-87, 290-92, 294, 296, 297, 301-4, 308, 314, 316, 320, 322, 330.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/54
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/54>, abgerufen am 21.11.2024.