Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 185. Thatbestand d. Tödtung im Allg. §. 186. Heimliche Beerdigung.
Anfang der Revision aufgestellt c) und später beibehalten worden ist, so
erklärt sich das aus dem Bedürfniß, der früheren Gesetzgebung mit einer
bestimmten Satzung entgegenzutreten, und die Kontinuität der Praxis
in dieser Beziehung zu verhindern. -- Das Nähere über die Lethalität
der Verletzungen gehört dem Strafprozeß und der Wissenschaft an.

§. 186.

Wer ohne Vorwissen der Behörde einen Leichnam beerdigt oder bei Seite
schafft, wird mit Geldbuße bis zu zweihundert Thalern oder mit Gefängniß
bis zu sechs Monaten bestraft.

Die Strafe ist Gefängniß bis zu zwei Jahren, wenn eine Mutter den
Leichnam ihres unehelichen neugeborenen Kindes ohne Vorwissen der Behörde
beerdigt oder bei Seite schafft.



Unter den Uebertretungen ist es mit Strafe bedroht, wenn jemand
den polizeilichen Vorschriften über voreilige Beerdigung entgegen han-
delt (§. 345. Nr. 1.); hier ist der Fall vorgesehen, wenn jemand ohne
Vorwissen der Behörde einen Leichnam beerdigt oder bei Seite schafft.
Meistens wird eine solche Handlung heimlich geschehen, d. h. allein
durch den Thäter oder nur mit Zuziehung einzelner, vertrauter Perso-
nen; aber nothwendig ist dieß zum Thatbestand des Vergehens nicht.
Es kommt nur darauf an, ob die Behörde Kenntniß von der beabsich-
tigten Beerdigung oder Beseitigung der Leiche erhalten hat. Daß dieß
gerade durch eine Anzeige der Betheiligten geschehen muß, ist nicht vor-
geschrieben worden, wenn besondere polizeiliche Anordnungen sie auch
wohl fast allenthalben erheischen, und deren Uebertretung daher beson-
ders geahndet werden kann; jedenfalls wird eine solche Anzeige regel-
mäßig allein davor sicher stellen, daß nicht die Absicht angenommen
wird, die Handlung habe vor der Behörde verheimlicht werden sollen.
In dem Ausdruck "bei Seite schaffen" ist übrigens eine solche beabsich-
tigte Verheimlichung schon ausgedrückt, so daß die Worte "ohne Vor-
wissen der Behörde" kaum darauf bezogen zu werden brauchen.

Eine allgemeine Bestimmung, wie sie §. 186. Abs. 1. enthält, ist
übrigens im Interesse der Rechtssicherheit unerläßlich; von besonderer
Bedeutung wird sie aber für den Fall, wenn die Mutter die Handlung
an dem Leichnam ihres unehelichen neugeborenen Kindes verübt. Die
Erfahrung lehrt es, daß mit dem Kindesmord meistens die Beseitigung
der Leiche (partus abolitio) verbunden ist, und wenn in dieser Hand-
lung bei dem jetzigen Strafverfahren auch nicht mehr ein gesetzliches

c) Motive a. a. O. S. 94-101.

§. 185. Thatbeſtand d. Tödtung im Allg. §. 186. Heimliche Beerdigung.
Anfang der Reviſion aufgeſtellt c) und ſpäter beibehalten worden iſt, ſo
erklärt ſich das aus dem Bedürfniß, der früheren Geſetzgebung mit einer
beſtimmten Satzung entgegenzutreten, und die Kontinuität der Praxis
in dieſer Beziehung zu verhindern. — Das Nähere über die Lethalität
der Verletzungen gehört dem Strafprozeß und der Wiſſenſchaft an.

§. 186.

Wer ohne Vorwiſſen der Behörde einen Leichnam beerdigt oder bei Seite
ſchafft, wird mit Geldbuße bis zu zweihundert Thalern oder mit Gefängniß
bis zu ſechs Monaten beſtraft.

Die Strafe iſt Gefängniß bis zu zwei Jahren, wenn eine Mutter den
Leichnam ihres unehelichen neugeborenen Kindes ohne Vorwiſſen der Behörde
beerdigt oder bei Seite ſchafft.



Unter den Uebertretungen iſt es mit Strafe bedroht, wenn jemand
den polizeilichen Vorſchriften über voreilige Beerdigung entgegen han-
delt (§. 345. Nr. 1.); hier iſt der Fall vorgeſehen, wenn jemand ohne
Vorwiſſen der Behörde einen Leichnam beerdigt oder bei Seite ſchafft.
Meiſtens wird eine ſolche Handlung heimlich geſchehen, d. h. allein
durch den Thäter oder nur mit Zuziehung einzelner, vertrauter Perſo-
nen; aber nothwendig iſt dieß zum Thatbeſtand des Vergehens nicht.
Es kommt nur darauf an, ob die Behörde Kenntniß von der beabſich-
tigten Beerdigung oder Beſeitigung der Leiche erhalten hat. Daß dieß
gerade durch eine Anzeige der Betheiligten geſchehen muß, iſt nicht vor-
geſchrieben worden, wenn beſondere polizeiliche Anordnungen ſie auch
wohl faſt allenthalben erheiſchen, und deren Uebertretung daher beſon-
ders geahndet werden kann; jedenfalls wird eine ſolche Anzeige regel-
mäßig allein davor ſicher ſtellen, daß nicht die Abſicht angenommen
wird, die Handlung habe vor der Behörde verheimlicht werden ſollen.
In dem Ausdruck „bei Seite ſchaffen“ iſt übrigens eine ſolche beabſich-
tigte Verheimlichung ſchon ausgedrückt, ſo daß die Worte „ohne Vor-
wiſſen der Behörde“ kaum darauf bezogen zu werden brauchen.

Eine allgemeine Beſtimmung, wie ſie §. 186. Abſ. 1. enthält, iſt
übrigens im Intereſſe der Rechtsſicherheit unerläßlich; von beſonderer
Bedeutung wird ſie aber für den Fall, wenn die Mutter die Handlung
an dem Leichnam ihres unehelichen neugeborenen Kindes verübt. Die
Erfahrung lehrt es, daß mit dem Kindesmord meiſtens die Beſeitigung
der Leiche (partus abolitio) verbunden iſt, und wenn in dieſer Hand-
lung bei dem jetzigen Strafverfahren auch nicht mehr ein geſetzliches

c) Motive a. a. O. S. 94-101.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0375" n="365"/><fw place="top" type="header">§. 185. Thatbe&#x017F;tand d. Tödtung im Allg. §. 186.           Heimliche Beerdigung.</fw><lb/>
Anfang der Revi&#x017F;ion aufge&#x017F;tellt <note place="foot" n="c)"><hi rendition="#g">Motive</hi> a. a. O. S. 94-101.</note> und          &#x017F;päter beibehalten worden i&#x017F;t, &#x017F;o<lb/>
erklärt          &#x017F;ich das aus dem Bedürfniß, der früheren Ge&#x017F;etzgebung mit          einer<lb/>
be&#x017F;timmten Satzung entgegenzutreten, und die Kontinuität der          Praxis<lb/>
in die&#x017F;er Beziehung zu verhindern. &#x2014; Das Nähere über die          Lethalität<lb/>
der Verletzungen gehört dem Strafprozeß und der          Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft an.</p>
              </div>
            </div>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 186.</head><lb/>
            <div n="4">
              <head/>
              <p>Wer ohne Vorwi&#x017F;&#x017F;en der Behörde einen Leichnam beerdigt oder bei         Seite<lb/>
&#x017F;chafft, wird mit Geldbuße bis zu zweihundert Thalern oder mit         Gefängniß<lb/>
bis zu &#x017F;echs Monaten be&#x017F;traft.</p><lb/>
              <p>Die Strafe i&#x017F;t Gefängniß bis zu zwei Jahren, wenn eine Mutter den<lb/>
Leichnam         ihres unehelichen neugeborenen Kindes ohne Vorwi&#x017F;&#x017F;en der         Behörde<lb/>
beerdigt oder bei Seite &#x017F;chafft.</p><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
              <div n="5">
                <head/>
                <p>Unter den Uebertretungen i&#x017F;t es mit Strafe bedroht, wenn jemand<lb/>
den          polizeilichen Vor&#x017F;chriften über voreilige Beerdigung entgegen han-<lb/>
delt (§.          345. Nr. 1.); hier i&#x017F;t der Fall vorge&#x017F;ehen, wenn jemand          ohne<lb/>
Vorwi&#x017F;&#x017F;en der Behörde einen Leichnam beerdigt oder bei Seite          &#x017F;chafft.<lb/>
Mei&#x017F;tens wird eine &#x017F;olche Handlung <hi rendition="#g">heimlich</hi> ge&#x017F;chehen, d. h. allein<lb/>
durch den Thäter oder          nur mit Zuziehung einzelner, vertrauter Per&#x017F;o-<lb/>
nen; aber nothwendig          i&#x017F;t dieß zum Thatbe&#x017F;tand des Vergehens nicht.<lb/>
Es kommt nur darauf          an, ob die Behörde Kenntniß von der beab&#x017F;ich-<lb/>
tigten Beerdigung oder          Be&#x017F;eitigung der Leiche erhalten hat. Daß dieß<lb/>
gerade durch eine Anzeige der          Betheiligten ge&#x017F;chehen muß, i&#x017F;t nicht vor-<lb/>
ge&#x017F;chrieben          worden, wenn be&#x017F;ondere polizeiliche Anordnungen &#x017F;ie auch<lb/>
wohl          fa&#x017F;t allenthalben erhei&#x017F;chen, und deren Uebertretung daher          be&#x017F;on-<lb/>
ders geahndet werden kann; jedenfalls wird eine &#x017F;olche          Anzeige regel-<lb/>
mäßig allein davor &#x017F;icher &#x017F;tellen, daß nicht die          Ab&#x017F;icht angenommen<lb/>
wird, die Handlung habe vor der Behörde verheimlicht          werden &#x017F;ollen.<lb/>
In dem Ausdruck &#x201E;bei Seite          &#x017F;chaffen&#x201C; i&#x017F;t übrigens eine &#x017F;olche          beab&#x017F;ich-<lb/>
tigte Verheimlichung &#x017F;chon ausgedrückt, &#x017F;o          daß die Worte &#x201E;ohne Vor-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en der          Behörde&#x201C; kaum darauf bezogen zu werden brauchen.</p><lb/>
                <p>Eine allgemeine Be&#x017F;timmung, wie &#x017F;ie §. 186. Ab&#x017F;. 1.          enthält, i&#x017F;t<lb/>
übrigens im Intere&#x017F;&#x017F;e der          Rechts&#x017F;icherheit unerläßlich; von be&#x017F;onderer<lb/>
Bedeutung wird          &#x017F;ie aber für den Fall, wenn die Mutter die Handlung<lb/>
an dem Leichnam ihres          unehelichen neugeborenen Kindes verübt. Die<lb/>
Erfahrung lehrt es, daß mit dem Kindesmord          mei&#x017F;tens die Be&#x017F;eitigung<lb/>
der Leiche (<hi rendition="#aq">partus           abolitio</hi>) verbunden i&#x017F;t, und wenn in die&#x017F;er Hand-<lb/>
lung bei          dem jetzigen Strafverfahren auch nicht mehr ein ge&#x017F;etzliches<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[365/0375] §. 185. Thatbeſtand d. Tödtung im Allg. §. 186. Heimliche Beerdigung. Anfang der Reviſion aufgeſtellt c) und ſpäter beibehalten worden iſt, ſo erklärt ſich das aus dem Bedürfniß, der früheren Geſetzgebung mit einer beſtimmten Satzung entgegenzutreten, und die Kontinuität der Praxis in dieſer Beziehung zu verhindern. — Das Nähere über die Lethalität der Verletzungen gehört dem Strafprozeß und der Wiſſenſchaft an. §. 186. Wer ohne Vorwiſſen der Behörde einen Leichnam beerdigt oder bei Seite ſchafft, wird mit Geldbuße bis zu zweihundert Thalern oder mit Gefängniß bis zu ſechs Monaten beſtraft. Die Strafe iſt Gefängniß bis zu zwei Jahren, wenn eine Mutter den Leichnam ihres unehelichen neugeborenen Kindes ohne Vorwiſſen der Behörde beerdigt oder bei Seite ſchafft. Unter den Uebertretungen iſt es mit Strafe bedroht, wenn jemand den polizeilichen Vorſchriften über voreilige Beerdigung entgegen han- delt (§. 345. Nr. 1.); hier iſt der Fall vorgeſehen, wenn jemand ohne Vorwiſſen der Behörde einen Leichnam beerdigt oder bei Seite ſchafft. Meiſtens wird eine ſolche Handlung heimlich geſchehen, d. h. allein durch den Thäter oder nur mit Zuziehung einzelner, vertrauter Perſo- nen; aber nothwendig iſt dieß zum Thatbeſtand des Vergehens nicht. Es kommt nur darauf an, ob die Behörde Kenntniß von der beabſich- tigten Beerdigung oder Beſeitigung der Leiche erhalten hat. Daß dieß gerade durch eine Anzeige der Betheiligten geſchehen muß, iſt nicht vor- geſchrieben worden, wenn beſondere polizeiliche Anordnungen ſie auch wohl faſt allenthalben erheiſchen, und deren Uebertretung daher beſon- ders geahndet werden kann; jedenfalls wird eine ſolche Anzeige regel- mäßig allein davor ſicher ſtellen, daß nicht die Abſicht angenommen wird, die Handlung habe vor der Behörde verheimlicht werden ſollen. In dem Ausdruck „bei Seite ſchaffen“ iſt übrigens eine ſolche beabſich- tigte Verheimlichung ſchon ausgedrückt, ſo daß die Worte „ohne Vor- wiſſen der Behörde“ kaum darauf bezogen zu werden brauchen. Eine allgemeine Beſtimmung, wie ſie §. 186. Abſ. 1. enthält, iſt übrigens im Intereſſe der Rechtsſicherheit unerläßlich; von beſonderer Bedeutung wird ſie aber für den Fall, wenn die Mutter die Handlung an dem Leichnam ihres unehelichen neugeborenen Kindes verübt. Die Erfahrung lehrt es, daß mit dem Kindesmord meiſtens die Beſeitigung der Leiche (partus abolitio) verbunden iſt, und wenn in dieſer Hand- lung bei dem jetzigen Strafverfahren auch nicht mehr ein geſetzliches c) Motive a. a. O. S. 94-101.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/375
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/375>, abgerufen am 21.12.2024.