Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 175. Der Mord.
Bedürfniß vorhanden sein, die Strafe des Mordes zu mildern, so wird
dann am Zweckmäßigsten die Gnade des Landesherrn für diese völlig
ungewöhnlichen Fälle ausreichen."

Die Staatsraths-Kommission erklärte sich mit dieser Ansicht ein-
verstanden; r) dasselbe geschah

c. in Beziehung auf den Fall der Beihülfe zum Selbstmorde,
worauf der Entwurf von 1843. §. 311. ein- bis fünfjährige Straf-
arbeit gesetzt hatte. Auch hier trug das Ministerium für die Gesetz-
Revision a. a. O. auf Streichung des Paragraphen an. Die Bestim-
mung werde nur für sehr seltene Fälle zur Anwendung kommen können;
es lasse sich aber überhaupt nicht rechtfertigen, daß der Selbstmörder bei
nicht vollführter That straflos bleiben, der Gehülfe dagegen strafbar
sein solle. Dieser begehe eine irreligiöse und unsittliche Handlung, aber
ein Kriminalverbrechen liege in seiner Handlung nicht. Ganz anders
freilich verhalte es sich mit dem Fall, wenn Einer den Andern auf
dessen Verlangen tödte, um ihm den Selbstmord zu ersparen. Dieses
falle unter die gewöhnliche Regel des Mordes, indem die Einwilligung
und die nicht feindliche Absicht das Wesen der Handlung nicht ändere,
wie so eben ausgeführt worden.

Von derselben Ansicht, welche hier über die Beihülfe zum Selbst-
morde ausgesprochen worden, ist der Pariser Kassationshof in mehreren
Urtheilen ausgegangen; doch hat es in Beziehung auf den zweiten Fall,
namentlich bei der wechselseitigen verabredeten Tödtung, an Widerspruch
unter den Französischen Juristen nicht gefehlt. s) Vom Standpunkte
des Rechts aus betrachtet, hat die strengere Ansicht aber die Konse-
quenz für sich.

§. 176.

Wer vorsätzlich, jedoch nicht mit Ueberlegung, einen Menschen tödtet, begeht
einen Todtschlag, und soll mit lebenslänglichem Zuchthaus bestraft werden.

§. 177.

War der Todtschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm selbst oder seinen
Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem Ge-
tödteten zum Zorne gereizt und dadurch auf der Stelle zur That hingerissen
worden, so bleibt die lebenslängliche Zuchthausstrafe ausgeschlossen, und es soll
auf Gefängniß nicht unter zwei Jahren erkannt werden.


r) Verhandlungen der Staatsraths-Kommission von 1846.
S. 116.
s) cf. Chauveau et Helie Faustin, I. c. chap. XLIII. p. 73-80.

§. 175. Der Mord.
Bedürfniß vorhanden ſein, die Strafe des Mordes zu mildern, ſo wird
dann am Zweckmäßigſten die Gnade des Landesherrn für dieſe völlig
ungewöhnlichen Fälle ausreichen.“

Die Staatsraths-Kommiſſion erklärte ſich mit dieſer Anſicht ein-
verſtanden; r) daſſelbe geſchah

c. in Beziehung auf den Fall der Beihülfe zum Selbſtmorde,
worauf der Entwurf von 1843. §. 311. ein- bis fünfjährige Straf-
arbeit geſetzt hatte. Auch hier trug das Miniſterium für die Geſetz-
Reviſion a. a. O. auf Streichung des Paragraphen an. Die Beſtim-
mung werde nur für ſehr ſeltene Fälle zur Anwendung kommen können;
es laſſe ſich aber überhaupt nicht rechtfertigen, daß der Selbſtmörder bei
nicht vollführter That ſtraflos bleiben, der Gehülfe dagegen ſtrafbar
ſein ſolle. Dieſer begehe eine irreligiöſe und unſittliche Handlung, aber
ein Kriminalverbrechen liege in ſeiner Handlung nicht. Ganz anders
freilich verhalte es ſich mit dem Fall, wenn Einer den Andern auf
deſſen Verlangen tödte, um ihm den Selbſtmord zu erſparen. Dieſes
falle unter die gewöhnliche Regel des Mordes, indem die Einwilligung
und die nicht feindliche Abſicht das Weſen der Handlung nicht ändere,
wie ſo eben ausgeführt worden.

Von derſelben Anſicht, welche hier über die Beihülfe zum Selbſt-
morde ausgeſprochen worden, iſt der Pariſer Kaſſationshof in mehreren
Urtheilen ausgegangen; doch hat es in Beziehung auf den zweiten Fall,
namentlich bei der wechſelſeitigen verabredeten Tödtung, an Widerſpruch
unter den Franzöſiſchen Juriſten nicht gefehlt. s) Vom Standpunkte
des Rechts aus betrachtet, hat die ſtrengere Anſicht aber die Konſe-
quenz für ſich.

§. 176.

Wer vorſätzlich, jedoch nicht mit Ueberlegung, einen Menſchen tödtet, begeht
einen Todtſchlag, und ſoll mit lebenslänglichem Zuchthaus beſtraft werden.

§. 177.

War der Todtſchläger ohne eigene Schuld durch eine ihm ſelbſt oder ſeinen
Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder ſchwere Beleidigung von dem Ge-
tödteten zum Zorne gereizt und dadurch auf der Stelle zur That hingeriſſen
worden, ſo bleibt die lebenslängliche Zuchthausſtrafe ausgeſchloſſen, und es ſoll
auf Gefängniß nicht unter zwei Jahren erkannt werden.


r) Verhandlungen der Staatsraths-Kommiſſion von 1846.
S. 116.
s) cf. Chauveau et Hélie Faustin, I. c. chap. XLIII. p. 73-80.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0359" n="349"/><fw place="top" type="header">§. 175. Der Mord.</fw><lb/>
Bedürfniß vorhanden          &#x017F;ein, die Strafe des Mordes zu mildern, &#x017F;o wird<lb/>
dann am          Zweckmäßig&#x017F;ten die Gnade des Landesherrn für die&#x017F;e          völlig<lb/>
ungewöhnlichen Fälle ausreichen.&#x201C;</p><lb/>
                <p>Die Staatsraths-Kommi&#x017F;&#x017F;ion erklärte &#x017F;ich mit          die&#x017F;er An&#x017F;icht ein-<lb/>
ver&#x017F;tanden; <note place="foot" n="r)"><hi rendition="#g">Verhandlungen der Staatsraths-Kommi&#x017F;&#x017F;ion            von</hi> 1846.<lb/>
S. 116.</note> da&#x017F;&#x017F;elbe ge&#x017F;chah</p><lb/>
                <p><hi rendition="#aq">c.</hi> in Beziehung auf den Fall der Beihülfe zum          Selb&#x017F;tmorde,<lb/>
worauf der Entwurf von 1843. §. 311. ein- bis fünfjährige          Straf-<lb/>
arbeit ge&#x017F;etzt hatte. Auch hier trug das Mini&#x017F;terium für          die Ge&#x017F;etz-<lb/>
Revi&#x017F;ion a. a. O. auf Streichung des Paragraphen an.          Die Be&#x017F;tim-<lb/>
mung werde nur für &#x017F;ehr &#x017F;eltene Fälle zur          Anwendung kommen können;<lb/>
es la&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ich aber überhaupt          nicht rechtfertigen, daß der Selb&#x017F;tmörder bei<lb/>
nicht vollführter That          &#x017F;traflos bleiben, der Gehülfe dagegen &#x017F;trafbar<lb/>
&#x017F;ein          &#x017F;olle. Die&#x017F;er begehe eine irreligiö&#x017F;e und          un&#x017F;ittliche Handlung, aber<lb/>
ein Kriminalverbrechen liege in &#x017F;einer          Handlung nicht. Ganz anders<lb/>
freilich verhalte es &#x017F;ich mit dem Fall, wenn          Einer den Andern auf<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Verlangen tödte, um ihm den          Selb&#x017F;tmord zu er&#x017F;paren. Die&#x017F;es<lb/>
falle unter die          gewöhnliche Regel des Mordes, indem die Einwilligung<lb/>
und die nicht feindliche          Ab&#x017F;icht das We&#x017F;en der Handlung nicht ändere,<lb/>
wie &#x017F;o          eben ausgeführt worden.</p><lb/>
                <p>Von der&#x017F;elben An&#x017F;icht, welche hier über die Beihülfe zum          Selb&#x017F;t-<lb/>
morde ausge&#x017F;prochen worden, i&#x017F;t der          Pari&#x017F;er Ka&#x017F;&#x017F;ationshof in mehreren<lb/>
Urtheilen          ausgegangen; doch hat es in Beziehung auf den zweiten Fall,<lb/>
namentlich bei der          wech&#x017F;el&#x017F;eitigen verabredeten Tödtung, an          Wider&#x017F;pruch<lb/>
unter den Franzö&#x017F;i&#x017F;chen          Juri&#x017F;ten nicht gefehlt. <note place="foot" n="s)"><hi rendition="#aq">cf. <hi rendition="#g">Chauveau et Hélie Faustin</hi>, I.            c. chap. XLIII. p. 73-80.</hi></note> Vom Standpunkte<lb/>
des Rechts aus betrachtet, hat die &#x017F;trengere          An&#x017F;icht aber die Kon&#x017F;e-<lb/>
quenz für &#x017F;ich.</p>
              </div>
            </div>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 176.</head><lb/>
            <div n="4">
              <head/>
              <p>Wer vor&#x017F;ätzlich, jedoch nicht mit Ueberlegung, einen Men&#x017F;chen         tödtet, begeht<lb/>
einen Todt&#x017F;chlag, und &#x017F;oll mit lebenslänglichem         Zuchthaus be&#x017F;traft werden.</p>
            </div>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 177.</head><lb/>
            <div n="4">
              <head/>
              <p>War der Todt&#x017F;chläger ohne eigene Schuld durch eine ihm         &#x017F;elb&#x017F;t oder &#x017F;einen<lb/>
Angehörigen zugefügte Mißhandlung         oder &#x017F;chwere Beleidigung von dem Ge-<lb/>
tödteten zum Zorne gereizt und dadurch         auf der Stelle zur That hingeri&#x017F;&#x017F;en<lb/>
worden, &#x017F;o bleibt         die lebenslängliche Zuchthaus&#x017F;trafe         ausge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, und es &#x017F;oll<lb/>
auf Gefängniß         nicht unter zwei Jahren erkannt werden.</p>
            </div>
          </div><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[349/0359] §. 175. Der Mord. Bedürfniß vorhanden ſein, die Strafe des Mordes zu mildern, ſo wird dann am Zweckmäßigſten die Gnade des Landesherrn für dieſe völlig ungewöhnlichen Fälle ausreichen.“ Die Staatsraths-Kommiſſion erklärte ſich mit dieſer Anſicht ein- verſtanden; r) daſſelbe geſchah c. in Beziehung auf den Fall der Beihülfe zum Selbſtmorde, worauf der Entwurf von 1843. §. 311. ein- bis fünfjährige Straf- arbeit geſetzt hatte. Auch hier trug das Miniſterium für die Geſetz- Reviſion a. a. O. auf Streichung des Paragraphen an. Die Beſtim- mung werde nur für ſehr ſeltene Fälle zur Anwendung kommen können; es laſſe ſich aber überhaupt nicht rechtfertigen, daß der Selbſtmörder bei nicht vollführter That ſtraflos bleiben, der Gehülfe dagegen ſtrafbar ſein ſolle. Dieſer begehe eine irreligiöſe und unſittliche Handlung, aber ein Kriminalverbrechen liege in ſeiner Handlung nicht. Ganz anders freilich verhalte es ſich mit dem Fall, wenn Einer den Andern auf deſſen Verlangen tödte, um ihm den Selbſtmord zu erſparen. Dieſes falle unter die gewöhnliche Regel des Mordes, indem die Einwilligung und die nicht feindliche Abſicht das Weſen der Handlung nicht ändere, wie ſo eben ausgeführt worden. Von derſelben Anſicht, welche hier über die Beihülfe zum Selbſt- morde ausgeſprochen worden, iſt der Pariſer Kaſſationshof in mehreren Urtheilen ausgegangen; doch hat es in Beziehung auf den zweiten Fall, namentlich bei der wechſelſeitigen verabredeten Tödtung, an Widerſpruch unter den Franzöſiſchen Juriſten nicht gefehlt. s) Vom Standpunkte des Rechts aus betrachtet, hat die ſtrengere Anſicht aber die Konſe- quenz für ſich. §. 176. Wer vorſätzlich, jedoch nicht mit Ueberlegung, einen Menſchen tödtet, begeht einen Todtſchlag, und ſoll mit lebenslänglichem Zuchthaus beſtraft werden. §. 177. War der Todtſchläger ohne eigene Schuld durch eine ihm ſelbſt oder ſeinen Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder ſchwere Beleidigung von dem Ge- tödteten zum Zorne gereizt und dadurch auf der Stelle zur That hingeriſſen worden, ſo bleibt die lebenslängliche Zuchthausſtrafe ausgeſchloſſen, und es ſoll auf Gefängniß nicht unter zwei Jahren erkannt werden. r) Verhandlungen der Staatsraths-Kommiſſion von 1846. S. 116. s) cf. Chauveau et Hélie Faustin, I. c. chap. XLIII. p. 73-80.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/359
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/359>, abgerufen am 21.12.2024.