Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

Bild:
<< vorherige Seite
Th. I. Bestrafung etc. Tit. IV. Ausschließung oder Milderung d. Strafe.
§. 43.

Wird festgestellt, daß ein Angeschuldigter, welcher noch nicht das sechszehnte
Lebensjahr vollendet hat, ein Verbrechen oder Vergehen mit Unterscheidungs-
vermögen begangen hat, so kommen in Bezug auf denselben folgende Bestim-
mungen zur Anwendung:

1) auf Todesstrafe und Zuchthaus, auf Verlust der bürgerlichen Ehre und
zeitige Untersagung der Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte, inglei-
chen auf Stellung unter Polizei-Aufsicht soll nicht erkannt, und an
Stelle der Zuchthausstrafe Gefängnißstrafe ausgesprochen werden;
2) ist das Verbrechen mit der Todesstrafe oder mit lebenslänglichem Zucht-
haus bedroht, so wird auf Gefängniß von drei bis zu funfzehn Jahren
erkannt;
3) in den übrigen Fällen soll der Richter ermächtigt sein, unter das nie-
drigste Maaß der gesetzlichen Strafe herabzugehen; die Hälfte des
höchsten gesetzlichen Strafmaaßes darf niemals überschritten werden;
4) die Gefängnißstrafe soll entweder in ausschließlich für jugendliche Per-
sonen bestimmten Gefangenanstalten, oder zwar in der ordentlichen Ge-
fangenanstalt, jedoch in abgesonderten Räumen vollstreckt werden.


Eine Berücksichtigung des jugendlichen Alters bei der Bestrafung
von Verbrechen oder Vergehen kann in dreifacher Weise statt finden.
Entweder es wird überhaupt nur als gesetzlicher Milderungsgrund be-
trachtet, oder es schließt die Zurechnungsfähigkeit ganz aus, oder es
hängt vom Richter ab, ob er die eine oder die andere Wirkung eintreten
lassen will.

Das erste Princip ist in der Peinlichen Gerichtsordnung Karl V.
durchgeführt, n) und auch das Allgemeine Landrecht hat dasselbe noch
bewahrt, indem es bestimmt:

Th. II. Tit. 20. §. 17. "Unmündige und schwachsinnige Per-
sonen können zwar, zur Verhütung fernerer Vergehungen, gezüchtigt,
niemals aber nach der Strenge der Gesetze bestraft werden."

Dabei ist zu bemerken, daß nach Th. I. Tit. 1. §. 25. unter Un-
mündigen diejenigen Personen zu verstehen sind, welche das vierzehnte
Jahr noch nicht zurückgelegt haben.

Als ein Grund, die Zurechnungsfähigkeit auszuschließen, wird das
jugendliche Alter in den neueren Deutschen Strafgesetzbüchern behandelt.
Bis zum vollendeten zehnten oder zwölften Jahre sollen Kinder über-
haupt nicht bestraft werden, und nur die Ergreifung von Maaßregeln
der besseren Zucht und Aufsicht ist zulässig. o) Doch begnügen sich die

n) P. G. O. Art. 164. 179.
o) Sächs.Criminalgesetzb. Art. 66. -- Württemberg. Strafgesetzb.
Art. 95. -- Braunschweig. Criminalgesetzb. Art. 30. -- Hannov. Cri-
minalgesetzb.
Art. 83. -- Hess. Strafgesetzb. Art. 37. -- Badisch. Straf-
gesetzb.
Art. 78. -- Thüring. Strafgesetzb. Art. 61.
Th. I. Beſtrafung ꝛc. Tit. IV. Ausſchließung oder Milderung d. Strafe.
§. 43.

Wird feſtgeſtellt, daß ein Angeſchuldigter, welcher noch nicht das ſechszehnte
Lebensjahr vollendet hat, ein Verbrechen oder Vergehen mit Unterſcheidungs-
vermögen begangen hat, ſo kommen in Bezug auf denſelben folgende Beſtim-
mungen zur Anwendung:

1) auf Todesſtrafe und Zuchthaus, auf Verluſt der bürgerlichen Ehre und
zeitige Unterſagung der Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte, inglei-
chen auf Stellung unter Polizei-Aufſicht ſoll nicht erkannt, und an
Stelle der Zuchthausſtrafe Gefängnißſtrafe ausgeſprochen werden;
2) iſt das Verbrechen mit der Todesſtrafe oder mit lebenslänglichem Zucht-
haus bedroht, ſo wird auf Gefängniß von drei bis zu funfzehn Jahren
erkannt;
3) in den übrigen Fällen ſoll der Richter ermächtigt ſein, unter das nie-
drigſte Maaß der geſetzlichen Strafe herabzugehen; die Hälfte des
höchſten geſetzlichen Strafmaaßes darf niemals überſchritten werden;
4) die Gefängnißſtrafe ſoll entweder in ausſchließlich für jugendliche Per-
ſonen beſtimmten Gefangenanſtalten, oder zwar in der ordentlichen Ge-
fangenanſtalt, jedoch in abgeſonderten Räumen vollſtreckt werden.


Eine Berückſichtigung des jugendlichen Alters bei der Beſtrafung
von Verbrechen oder Vergehen kann in dreifacher Weiſe ſtatt finden.
Entweder es wird überhaupt nur als geſetzlicher Milderungsgrund be-
trachtet, oder es ſchließt die Zurechnungsfähigkeit ganz aus, oder es
hängt vom Richter ab, ob er die eine oder die andere Wirkung eintreten
laſſen will.

Das erſte Princip iſt in der Peinlichen Gerichtsordnung Karl V.
durchgeführt, n) und auch das Allgemeine Landrecht hat daſſelbe noch
bewahrt, indem es beſtimmt:

Th. II. Tit. 20. §. 17. „Unmündige und ſchwachſinnige Per-
ſonen können zwar, zur Verhütung fernerer Vergehungen, gezüchtigt,
niemals aber nach der Strenge der Geſetze beſtraft werden.“

Dabei iſt zu bemerken, daß nach Th. I. Tit. 1. §. 25. unter Un-
mündigen diejenigen Perſonen zu verſtehen ſind, welche das vierzehnte
Jahr noch nicht zurückgelegt haben.

Als ein Grund, die Zurechnungsfähigkeit auszuſchließen, wird das
jugendliche Alter in den neueren Deutſchen Strafgeſetzbüchern behandelt.
Bis zum vollendeten zehnten oder zwölften Jahre ſollen Kinder über-
haupt nicht beſtraft werden, und nur die Ergreifung von Maaßregeln
der beſſeren Zucht und Aufſicht iſt zuläſſig. o) Doch begnügen ſich die

n) P. G. O. Art. 164. 179.
o) Sächſ.Criminalgeſetzb. Art. 66. — Württemberg. Strafgeſetzb.
Art. 95. — Braunſchweig. Criminalgeſetzb. Art. 30. — Hannov. Cri-
minalgeſetzb.
Art. 83. — Heſſ. Strafgeſetzb. Art. 37. — Badiſch. Straf-
geſetzb.
Art. 78. — Thüring. Strafgeſetzb. Art. 61.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0200" n="190"/>
          <fw place="top" type="header">Th. I. Be&#x017F;trafung &#xA75B;c. Tit. IV.       Aus&#x017F;chließung oder Milderung d. Strafe.</fw><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 43.</head><lb/>
            <div n="4">
              <head/>
              <p>Wird fe&#x017F;tge&#x017F;tellt, daß ein Ange&#x017F;chuldigter, welcher noch         nicht das &#x017F;echszehnte<lb/>
Lebensjahr vollendet hat, ein Verbrechen oder Vergehen         mit Unter&#x017F;cheidungs-<lb/>
vermögen begangen hat, &#x017F;o kommen in Bezug auf         den&#x017F;elben folgende Be&#x017F;tim-<lb/>
mungen zur Anwendung:</p><lb/>
              <list>
                <item>1) auf Todes&#x017F;trafe und Zuchthaus, auf Verlu&#x017F;t der bürgerlichen          Ehre und<lb/>
zeitige Unter&#x017F;agung der Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte,          inglei-<lb/>
chen auf Stellung unter Polizei-Auf&#x017F;icht &#x017F;oll nicht          erkannt, und an<lb/>
Stelle der Zuchthaus&#x017F;trafe Gefängniß&#x017F;trafe          ausge&#x017F;prochen werden;</item><lb/>
                <item>2) i&#x017F;t das Verbrechen mit der Todes&#x017F;trafe oder mit          lebenslänglichem Zucht-<lb/>
haus bedroht, &#x017F;o wird auf Gefängniß von drei bis zu          funfzehn Jahren<lb/>
erkannt;</item><lb/>
                <item>3) in den übrigen Fällen &#x017F;oll der Richter ermächtigt &#x017F;ein, unter          das nie-<lb/>
drig&#x017F;te Maaß der ge&#x017F;etzlichen Strafe herabzugehen; die          Hälfte des<lb/>
höch&#x017F;ten ge&#x017F;etzlichen Strafmaaßes darf niemals          über&#x017F;chritten werden;</item><lb/>
                <item>4) die Gefängniß&#x017F;trafe &#x017F;oll entweder in          aus&#x017F;chließlich für jugendliche Per-<lb/>
&#x017F;onen be&#x017F;timmten          Gefangenan&#x017F;talten, oder zwar in der ordentlichen          Ge-<lb/>
fangenan&#x017F;talt, jedoch in abge&#x017F;onderten Räumen          voll&#x017F;treckt werden.</item>
              </list>
            </div><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <div n="4">
              <head/>
              <p>Eine Berück&#x017F;ichtigung des jugendlichen Alters bei der         Be&#x017F;trafung<lb/>
von Verbrechen oder Vergehen kann in dreifacher Wei&#x017F;e         &#x017F;tatt finden.<lb/>
Entweder es wird überhaupt nur als ge&#x017F;etzlicher         Milderungsgrund be-<lb/>
trachtet, oder es &#x017F;chließt die Zurechnungsfähigkeit ganz         aus, oder es<lb/>
hängt vom Richter ab, ob er die eine oder die andere Wirkung         eintreten<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en will.</p><lb/>
              <p>Das er&#x017F;te Princip i&#x017F;t in der Peinlichen Gerichtsordnung Karl         V.<lb/>
durchgeführt, <note place="foot" n="n)">P. G. O. <hi rendition="#g">Art</hi>. 164.          179.</note> und auch das Allgemeine Landrecht hat da&#x017F;&#x017F;elbe         noch<lb/>
bewahrt, indem es be&#x017F;timmt:</p><lb/>
              <p><hi rendition="#g">Th.</hi> II. <hi rendition="#g">Tit.</hi> 20. §. 17.         &#x201E;Unmündige und &#x017F;chwach&#x017F;innige Per-<lb/>
&#x017F;onen         können zwar, zur Verhütung fernerer Vergehungen, gezüchtigt,<lb/>
niemals aber nach der         Strenge der Ge&#x017F;etze be&#x017F;traft werden.&#x201C;</p><lb/>
              <p>Dabei i&#x017F;t zu bemerken, daß nach Th. I. Tit. 1. §. 25. unter Un-<lb/>
mündigen         diejenigen Per&#x017F;onen zu ver&#x017F;tehen &#x017F;ind, welche das         vierzehnte<lb/>
Jahr noch nicht zurückgelegt haben.</p><lb/>
              <p>Als ein Grund, die Zurechnungsfähigkeit auszu&#x017F;chließen, wird         das<lb/>
jugendliche Alter in den neueren Deut&#x017F;chen Strafge&#x017F;etzbüchern         behandelt.<lb/>
Bis zum vollendeten zehnten oder zwölften Jahre &#x017F;ollen Kinder         über-<lb/>
haupt nicht be&#x017F;traft werden, und nur die Ergreifung von         Maaßregeln<lb/>
der be&#x017F;&#x017F;eren Zucht und Auf&#x017F;icht         i&#x017F;t zulä&#x017F;&#x017F;ig. <note place="foot" n="o)"><hi rendition="#g">Säch&#x017F;</hi>.<hi rendition="#g">Criminalge&#x017F;etzb.</hi> Art. 66.          &#x2014; <hi rendition="#g">Württemberg. Strafge&#x017F;etzb.</hi><lb/>
Art. 95.          &#x2014; <hi rendition="#g">Braun&#x017F;chweig. Criminalge&#x017F;etzb.</hi> Art. 30. &#x2014; <hi rendition="#g">Hannov. Cri-<lb/>
minalge&#x017F;etzb.</hi> Art. 83. &#x2014; <hi rendition="#g">He&#x017F;&#x017F;.           Strafge&#x017F;etzb.</hi> Art. 37. &#x2014; <hi rendition="#g">Badi&#x017F;ch.           Straf-<lb/>
ge&#x017F;etzb.</hi> Art. 78. &#x2014; <hi rendition="#g">Thüring.           Strafge&#x017F;etzb. Art.</hi> 61.</note> Doch begnügen &#x017F;ich die<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[190/0200] Th. I. Beſtrafung ꝛc. Tit. IV. Ausſchließung oder Milderung d. Strafe. §. 43. Wird feſtgeſtellt, daß ein Angeſchuldigter, welcher noch nicht das ſechszehnte Lebensjahr vollendet hat, ein Verbrechen oder Vergehen mit Unterſcheidungs- vermögen begangen hat, ſo kommen in Bezug auf denſelben folgende Beſtim- mungen zur Anwendung: 1) auf Todesſtrafe und Zuchthaus, auf Verluſt der bürgerlichen Ehre und zeitige Unterſagung der Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte, inglei- chen auf Stellung unter Polizei-Aufſicht ſoll nicht erkannt, und an Stelle der Zuchthausſtrafe Gefängnißſtrafe ausgeſprochen werden; 2) iſt das Verbrechen mit der Todesſtrafe oder mit lebenslänglichem Zucht- haus bedroht, ſo wird auf Gefängniß von drei bis zu funfzehn Jahren erkannt; 3) in den übrigen Fällen ſoll der Richter ermächtigt ſein, unter das nie- drigſte Maaß der geſetzlichen Strafe herabzugehen; die Hälfte des höchſten geſetzlichen Strafmaaßes darf niemals überſchritten werden; 4) die Gefängnißſtrafe ſoll entweder in ausſchließlich für jugendliche Per- ſonen beſtimmten Gefangenanſtalten, oder zwar in der ordentlichen Ge- fangenanſtalt, jedoch in abgeſonderten Räumen vollſtreckt werden. Eine Berückſichtigung des jugendlichen Alters bei der Beſtrafung von Verbrechen oder Vergehen kann in dreifacher Weiſe ſtatt finden. Entweder es wird überhaupt nur als geſetzlicher Milderungsgrund be- trachtet, oder es ſchließt die Zurechnungsfähigkeit ganz aus, oder es hängt vom Richter ab, ob er die eine oder die andere Wirkung eintreten laſſen will. Das erſte Princip iſt in der Peinlichen Gerichtsordnung Karl V. durchgeführt, n) und auch das Allgemeine Landrecht hat daſſelbe noch bewahrt, indem es beſtimmt: Th. II. Tit. 20. §. 17. „Unmündige und ſchwachſinnige Per- ſonen können zwar, zur Verhütung fernerer Vergehungen, gezüchtigt, niemals aber nach der Strenge der Geſetze beſtraft werden.“ Dabei iſt zu bemerken, daß nach Th. I. Tit. 1. §. 25. unter Un- mündigen diejenigen Perſonen zu verſtehen ſind, welche das vierzehnte Jahr noch nicht zurückgelegt haben. Als ein Grund, die Zurechnungsfähigkeit auszuſchließen, wird das jugendliche Alter in den neueren Deutſchen Strafgeſetzbüchern behandelt. Bis zum vollendeten zehnten oder zwölften Jahre ſollen Kinder über- haupt nicht beſtraft werden, und nur die Ergreifung von Maaßregeln der beſſeren Zucht und Aufſicht iſt zuläſſig. o) Doch begnügen ſich die n) P. G. O. Art. 164. 179. o) Sächſ.Criminalgeſetzb. Art. 66. — Württemberg. Strafgeſetzb. Art. 95. — Braunſchweig. Criminalgeſetzb. Art. 30. — Hannov. Cri- minalgeſetzb. Art. 83. — Heſſ. Strafgeſetzb. Art. 37. — Badiſch. Straf- geſetzb. Art. 78. — Thüring. Strafgeſetzb. Art. 61.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/200
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/200>, abgerufen am 03.12.2024.