Vertheidigung des Hausrechts bezogen. -- Daß aber die Nothwehr auch bei der einem Anderen geleisteten Hülfe anerkannt worden, ist nur eine Rückkehr zu einem schon in der Karolina ausgesprochenen gesun- den Rechtsgrundsatze.
IV. Die Nothwehr darf nicht den Charakter der Rache annehmen; sie soll sich auf die Vertheidigung und Abwehr beschränken. Aber da sie, unter den allgemeinen gesetzlichen Voraussetzungen, nicht bloß zu entschuldigen, sondern an und für sich rechtmäßig ist, so kann eine Ueberschreitung der Vertheidigung, wenn keine böse Absicht dabei vorlag und die etwaige Fahrlässigkeit durch Bestürzung, Furcht oder Schrecken entschuldigt ist, dem Thäter nicht angerechnet werden. In diesem Sinn muß das s. g. moderamen deculpatae tutelae nach der Fassung des letzten Satzes in §. 41. verstanden werden. Namentlich kommt es nicht darauf an, ob möglicherweise die Abwehr auch durch die Behörden hätte erfolgen, ob man durch Flucht der Gefahr hätte entgehen können. So wie aber der Angegriffene selbst zum Angreifer wird und Handlungen begeht, welche nicht bloß ein Uebermaaß in der Vertheidigung darstellen, sondern einen außerhalb derselben liegenden Zweck verfolgen, so wird, wenn sie an sich strafbar sind, auch die Strafe nicht ausbleiben dür- fen. m) Dabei ist zu bemerken, daß das Gesetzbuch auch in diesem Fall nur die volle Strafe oder Straflosigkeit setzt, eine Strafermäßigung we- gen Exceß in der Nothwehr aber nicht kennt.
V. Die rein polizeiliche Vorschrift im Entwurf von 1847. §. 57. konnte wohl um so eher aus dem Strafgesetzbuch weggelassen werden, da die Anzeige einer Tödtung oder erheblichen Verwundung des An- greifers durch den, welcher sich in der Nothwehr befand, schon in dessen eigenem Interesse liegt.
§. 42.
Wenn ein Angeschuldigter noch nicht das sechszehnte Lebensjahr vollendet hat, und festgestellt wird, daß er ohne Unterscheidungsvermögen gehandelt hat, so soll er freigesprochen, und in dem Urtheile bestimmt werden, ob er seiner Familie überwiesen oder in eine Besserungsanstalt gebracht werden soll.
In der Besserungsanstalt ist derselbe so lange zu behalten, als die der Strafanstalt vorgesetzte Verwaltungsbehörde solches für erforderlich erachtet, jedoch nicht über das zurückgelegte zwanzigste Lebensjahr hinaus.
m) Ein Dieb wird verscheucht und entflicht; der Bestohlene, um ihn zu fangen oder um das Gut wieder zu bekommen, was er mitnimmt, oder aus Rache, schießt hinter ihm drein und tödtet ihn.
§§. 42. 43. Das jugendliche Alter.
Vertheidigung des Hausrechts bezogen. — Daß aber die Nothwehr auch bei der einem Anderen geleiſteten Hülfe anerkannt worden, iſt nur eine Rückkehr zu einem ſchon in der Karolina ausgeſprochenen geſun- den Rechtsgrundſatze.
IV. Die Nothwehr darf nicht den Charakter der Rache annehmen; ſie ſoll ſich auf die Vertheidigung und Abwehr beſchränken. Aber da ſie, unter den allgemeinen geſetzlichen Vorausſetzungen, nicht bloß zu entſchuldigen, ſondern an und für ſich rechtmäßig iſt, ſo kann eine Ueberſchreitung der Vertheidigung, wenn keine böſe Abſicht dabei vorlag und die etwaige Fahrläſſigkeit durch Beſtürzung, Furcht oder Schrecken entſchuldigt iſt, dem Thäter nicht angerechnet werden. In dieſem Sinn muß das ſ. g. moderamen deculpatae tutelae nach der Faſſung des letzten Satzes in §. 41. verſtanden werden. Namentlich kommt es nicht darauf an, ob möglicherweiſe die Abwehr auch durch die Behörden hätte erfolgen, ob man durch Flucht der Gefahr hätte entgehen können. So wie aber der Angegriffene ſelbſt zum Angreifer wird und Handlungen begeht, welche nicht bloß ein Uebermaaß in der Vertheidigung darſtellen, ſondern einen außerhalb derſelben liegenden Zweck verfolgen, ſo wird, wenn ſie an ſich ſtrafbar ſind, auch die Strafe nicht ausbleiben dür- fen. m) Dabei iſt zu bemerken, daß das Geſetzbuch auch in dieſem Fall nur die volle Strafe oder Strafloſigkeit ſetzt, eine Strafermäßigung we- gen Exceß in der Nothwehr aber nicht kennt.
V. Die rein polizeiliche Vorſchrift im Entwurf von 1847. §. 57. konnte wohl um ſo eher aus dem Strafgeſetzbuch weggelaſſen werden, da die Anzeige einer Tödtung oder erheblichen Verwundung des An- greifers durch den, welcher ſich in der Nothwehr befand, ſchon in deſſen eigenem Intereſſe liegt.
§. 42.
Wenn ein Angeſchuldigter noch nicht das ſechszehnte Lebensjahr vollendet hat, und feſtgeſtellt wird, daß er ohne Unterſcheidungsvermögen gehandelt hat, ſo ſoll er freigeſprochen, und in dem Urtheile beſtimmt werden, ob er ſeiner Familie überwieſen oder in eine Beſſerungsanſtalt gebracht werden ſoll.
In der Beſſerungsanſtalt iſt derſelbe ſo lange zu behalten, als die der Strafanſtalt vorgeſetzte Verwaltungsbehörde ſolches für erforderlich erachtet, jedoch nicht über das zurückgelegte zwanzigſte Lebensjahr hinaus.
m) Ein Dieb wird verſcheucht und entflicht; der Beſtohlene, um ihn zu fangen oder um das Gut wieder zu bekommen, was er mitnimmt, oder aus Rache, ſchießt hinter ihm drein und tödtet ihn.
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§§. 42. 43. Das jugendliche Alter.
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auch bei der einem Anderen geleiſteten Hülfe anerkannt worden, iſt
nur eine Rückkehr zu einem ſchon in der Karolina ausgeſprochenen geſun-
den Rechtsgrundſatze.
IV. Die Nothwehr darf nicht den Charakter der Rache annehmen;
ſie ſoll ſich auf die Vertheidigung und Abwehr beſchränken. Aber da
ſie, unter den allgemeinen geſetzlichen Vorausſetzungen, nicht bloß zu
entſchuldigen, ſondern an und für ſich rechtmäßig iſt, ſo kann eine
Ueberſchreitung der Vertheidigung, wenn keine böſe Abſicht dabei vorlag
und die etwaige Fahrläſſigkeit durch Beſtürzung, Furcht oder Schrecken
entſchuldigt iſt, dem Thäter nicht angerechnet werden. In dieſem Sinn
muß das ſ. g. moderamen deculpatae tutelae nach der Faſſung des
letzten Satzes in §. 41. verſtanden werden. Namentlich kommt es nicht
darauf an, ob möglicherweiſe die Abwehr auch durch die Behörden hätte
erfolgen, ob man durch Flucht der Gefahr hätte entgehen können. So
wie aber der Angegriffene ſelbſt zum Angreifer wird und Handlungen
begeht, welche nicht bloß ein Uebermaaß in der Vertheidigung darſtellen,
ſondern einen außerhalb derſelben liegenden Zweck verfolgen, ſo wird,
wenn ſie an ſich ſtrafbar ſind, auch die Strafe nicht ausbleiben dür-
fen. m) Dabei iſt zu bemerken, daß das Geſetzbuch auch in dieſem Fall
nur die volle Strafe oder Strafloſigkeit ſetzt, eine Strafermäßigung we-
gen Exceß in der Nothwehr aber nicht kennt.
V. Die rein polizeiliche Vorſchrift im Entwurf von 1847. §. 57.
konnte wohl um ſo eher aus dem Strafgeſetzbuch weggelaſſen werden,
da die Anzeige einer Tödtung oder erheblichen Verwundung des An-
greifers durch den, welcher ſich in der Nothwehr befand, ſchon in deſſen
eigenem Intereſſe liegt.
§. 42.
Wenn ein Angeſchuldigter noch nicht das ſechszehnte Lebensjahr vollendet
hat, und feſtgeſtellt wird, daß er ohne Unterſcheidungsvermögen gehandelt hat,
ſo ſoll er freigeſprochen, und in dem Urtheile beſtimmt werden, ob er ſeiner
Familie überwieſen oder in eine Beſſerungsanſtalt gebracht werden ſoll.
In der Beſſerungsanſtalt iſt derſelbe ſo lange zu behalten, als die der
Strafanſtalt vorgeſetzte Verwaltungsbehörde ſolches für erforderlich erachtet,
jedoch nicht über das zurückgelegte zwanzigſte Lebensjahr hinaus.
m) Ein Dieb wird verſcheucht und entflicht; der Beſtohlene, um ihn zu fangen
oder um das Gut wieder zu bekommen, was er mitnimmt, oder aus Rache, ſchießt
hinter ihm drein und tödtet ihn.
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/199>, abgerufen am 21.11.2024.
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