geschuldigte im Affekt gehandelt habe, die Strafe in ungemessener Weise ermäßigen könne. Endlich sei zu erwähnen, daß in der Rheinprovinz mit Rücksicht auf die dort eintretende Mitwirkung der Geschworenen die Bestimmung ganz unausführbar sei. z)
Diese Gründe siegten in der Staatsraths-Kommission, und die vor- geschlagene Bestimmung wurde aus dem Gesetzentwurf wieder entfernt, so daß gegenwärtig nur im Fall der mildernden Umstände und bei der Tödtung und der Körperverletzung namentlich wegen Anreizung zur That eine Ermäßigung der gesetzlichen Strafe eintritt (§. 177. 196.) -- Ueber das jugendliche Alter s. unten §. 42. 43.
§. 41.
Ein Verbrechen oder Vergehen ist nicht vorhanden, wenn die That durch die Nothwehr geboten war. Nothwehr ist diejenige Vertheidigung, welche erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich selbst oder Anderen abzuwenden. Der Nothwehr ist gleich zu achten, wenn der Thäter nur aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken über die Grenzen der Vertheidigung hinausgegangen ist.
In der Doktrin des gemeinen Deutschen Kriminalrechts ist die Lehre von der Nothwehr der Sitz vieler Streitfragen geworden, während die positiven Quellen durchaus vernünftige Bestimmungen darüber enthalten. Die Juristen trugen Bedenken, den einfachen Satz des Römischen Rechts: adversus periculum naturalis ratio permittit se defendere,a) nach seinem natürlichen Sinn zur Geltung zu bringen, und auch die sehr genau und umsichtig ausgearbeiteten Vorschriften der Peinlichen Gerichts- ordnung Karl V., die sich ausdrücklich als ein absolut gültiges Recht ankündigen, b) vermochten nicht sie von der Aufstellung willkührlicher Be- schränkungen zurückzuhalten. Man sieht es der gemeinrechtlichen Doktrin an, daß sie in einer Zeit der überwiegenden Polizeilichkeit ihre Aus- bildung erhalten hat. Erst in neuerer Zeit ist man zu einer unbefan- genen, quellenmäßigen Behandlung der Lehre gelangt. c)
Auch das Allgemeine Landrecht, welches die Nothwehr ganz un- geeigneter Weise bei den Privatverbrechen abhandelt, d) ist von den Einwirkungen der zur Zeit der Abfassung geltenden Theorie nicht frei
z)Verhandlungen der Staatsraths-Kommission von 1846. S. 42-44.
a)L. 4. pr. D. ad legem Aquil.
b) P. G. O. Art. 139-145. 150.
c) Vgl. im Allgemeinen Heffter, Lehrbuch des gemeinen Deutschen Kriminal- rechts §. 41-45., und über die Kontroversen Wächter, Lehrbuch I. §. 50.
d) A. L. R. Th. II. Tit. 20. §. 517-24.
§. 41. Die Nothwehr.
geſchuldigte im Affekt gehandelt habe, die Strafe in ungemeſſener Weiſe ermäßigen könne. Endlich ſei zu erwähnen, daß in der Rheinprovinz mit Rückſicht auf die dort eintretende Mitwirkung der Geſchworenen die Beſtimmung ganz unausführbar ſei. z)
Dieſe Gründe ſiegten in der Staatsraths-Kommiſſion, und die vor- geſchlagene Beſtimmung wurde aus dem Geſetzentwurf wieder entfernt, ſo daß gegenwärtig nur im Fall der mildernden Umſtände und bei der Tödtung und der Körperverletzung namentlich wegen Anreizung zur That eine Ermäßigung der geſetzlichen Strafe eintritt (§. 177. 196.) — Ueber das jugendliche Alter ſ. unten §. 42. 43.
§. 41.
Ein Verbrechen oder Vergehen iſt nicht vorhanden, wenn die That durch die Nothwehr geboten war. Nothwehr iſt diejenige Vertheidigung, welche erforderlich iſt, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von ſich ſelbſt oder Anderen abzuwenden. Der Nothwehr iſt gleich zu achten, wenn der Thäter nur aus Beſtürzung, Furcht oder Schrecken über die Grenzen der Vertheidigung hinausgegangen iſt.
In der Doktrin des gemeinen Deutſchen Kriminalrechts iſt die Lehre von der Nothwehr der Sitz vieler Streitfragen geworden, während die poſitiven Quellen durchaus vernünftige Beſtimmungen darüber enthalten. Die Juriſten trugen Bedenken, den einfachen Satz des Römiſchen Rechts: adversus periculum naturalis ratio permittit se defendere,a) nach ſeinem natürlichen Sinn zur Geltung zu bringen, und auch die ſehr genau und umſichtig ausgearbeiteten Vorſchriften der Peinlichen Gerichts- ordnung Karl V., die ſich ausdrücklich als ein abſolut gültiges Recht ankündigen, b) vermochten nicht ſie von der Aufſtellung willkührlicher Be- ſchränkungen zurückzuhalten. Man ſieht es der gemeinrechtlichen Doktrin an, daß ſie in einer Zeit der überwiegenden Polizeilichkeit ihre Aus- bildung erhalten hat. Erſt in neuerer Zeit iſt man zu einer unbefan- genen, quellenmäßigen Behandlung der Lehre gelangt. c)
Auch das Allgemeine Landrecht, welches die Nothwehr ganz un- geeigneter Weiſe bei den Privatverbrechen abhandelt, d) iſt von den Einwirkungen der zur Zeit der Abfaſſung geltenden Theorie nicht frei
z)Verhandlungen der Staatsraths-Kommiſſion von 1846. S. 42-44.
a)L. 4. pr. D. ad legem Aquil.
b) P. G. O. Art. 139-145. 150.
c) Vgl. im Allgemeinen Heffter, Lehrbuch des gemeinen Deutſchen Kriminal- rechts §. 41-45., und über die Kontroverſen Wächter, Lehrbuch I. §. 50.
d) A. L. R. Th. II. Tit. 20. §. 517-24.
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mit Rückſicht auf die dort eintretende Mitwirkung der Geſchworenen die
Beſtimmung ganz unausführbar ſei. z)
Dieſe Gründe ſiegten in der Staatsraths-Kommiſſion, und die vor-
geſchlagene Beſtimmung wurde aus dem Geſetzentwurf wieder entfernt, ſo
daß gegenwärtig nur im Fall der mildernden Umſtände und bei der
Tödtung und der Körperverletzung namentlich wegen Anreizung zur
That eine Ermäßigung der geſetzlichen Strafe eintritt (§. 177. 196.) —
Ueber das jugendliche Alter ſ. unten §. 42. 43.
§. 41.
Ein Verbrechen oder Vergehen iſt nicht vorhanden, wenn die That durch
die Nothwehr geboten war. Nothwehr iſt diejenige Vertheidigung, welche
erforderlich iſt, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von ſich ſelbſt
oder Anderen abzuwenden. Der Nothwehr iſt gleich zu achten, wenn der
Thäter nur aus Beſtürzung, Furcht oder Schrecken über die Grenzen der
Vertheidigung hinausgegangen iſt.
In der Doktrin des gemeinen Deutſchen Kriminalrechts iſt die Lehre
von der Nothwehr der Sitz vieler Streitfragen geworden, während die
poſitiven Quellen durchaus vernünftige Beſtimmungen darüber enthalten.
Die Juriſten trugen Bedenken, den einfachen Satz des Römiſchen Rechts:
adversus periculum naturalis ratio permittit se defendere, a) nach
ſeinem natürlichen Sinn zur Geltung zu bringen, und auch die ſehr
genau und umſichtig ausgearbeiteten Vorſchriften der Peinlichen Gerichts-
ordnung Karl V., die ſich ausdrücklich als ein abſolut gültiges Recht
ankündigen, b) vermochten nicht ſie von der Aufſtellung willkührlicher Be-
ſchränkungen zurückzuhalten. Man ſieht es der gemeinrechtlichen Doktrin
an, daß ſie in einer Zeit der überwiegenden Polizeilichkeit ihre Aus-
bildung erhalten hat. Erſt in neuerer Zeit iſt man zu einer unbefan-
genen, quellenmäßigen Behandlung der Lehre gelangt. c)
Auch das Allgemeine Landrecht, welches die Nothwehr ganz un-
geeigneter Weiſe bei den Privatverbrechen abhandelt, d) iſt von den
Einwirkungen der zur Zeit der Abfaſſung geltenden Theorie nicht frei
z) Verhandlungen der Staatsraths-Kommiſſion von 1846. S. 42-44.
a) L. 4. pr. D. ad legem Aquil.
b) P. G. O. Art. 139-145. 150.
c) Vgl. im Allgemeinen Heffter, Lehrbuch des gemeinen Deutſchen Kriminal-
rechts §. 41-45., und über die Kontroverſen Wächter, Lehrbuch I. §. 50.
d) A. L. R. Th. II. Tit. 20. §. 517-24.
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/195>, abgerufen am 22.02.2025.
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