Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

Bild:
<< vorherige Seite

Geburt, und erste Kindheit.
den 31. Mart. auf diese Welt gebohren worden
Es wird dem Leser wenig daran gelegen seyn, daß
er wisse, wer mein Vater und meine Mutter ge-
sen: es waren ehrliche Leute, die in der Vorstadt
bey Breßlau wohnten, ihr eigen Haus und einige
Morgen Acker hatten, dergleichen Leute und Vor-
städter man daselbst Kräuter nennet, die aber
eben das sind, was hier die Kohl-Gärtner.

§. 3.

Mein Vater kunte zwar weder schreiben
noch lesen; doch, so einfältig er war, so war er
gleichwol in der Religion ein guter, oder doch viel-
mehr ein vollkommener Indifferentiste. Die Mut-
ter hingegen war eine eiferige Lutheranerin, und
dem Leben nach eine rechte Pietistin, obwol dieser
Name damals noch nicht bekannt war. Jch
durffte in ihrer Gegenwart weder als ein Knabe,
noch als ein Jüngling Schertz und Narrenthei-
dung treiben, sie straffte mich deswegen allemal
mit Nachdruck: und wenn ich mit meinem Ge-
schwister in die Schencke gehen wolte, tantzen zu
sehen, oder einer Dorff-Comoedie beyzuwohnen,
so konten wir selten, oder nur mit großer Mühe
sie dazu erbitten. Jch besinne mich, daß es mehr
denn einmal geschehen, daß sie bey Tische auf die
Jüden und Papisten zu reden kam, und zu uns
Kindern sagte, daß diese Leute alle einst würden

ver-
A 4

Geburt, und erſte Kindheit.
den 31. Mart. auf dieſe Welt gebohren worden
Es wird dem Leſer wenig daran gelegen ſeyn, daß
er wiſſe, wer mein Vater und meine Mutter ge-
ſen: es waren ehrliche Leute, die in der Vorſtadt
bey Breßlau wohnten, ihr eigen Haus und einige
Morgen Acker hatten, dergleichen Leute und Vor-
ſtaͤdter man daſelbſt Kraͤuter nennet, die aber
eben das ſind, was hier die Kohl-Gaͤrtner.

§. 3.

Mein Vater kunte zwar weder ſchreiben
noch leſen; doch, ſo einfaͤltig er war, ſo war er
gleichwol in der Religion ein guter, oder doch viel-
mehr ein vollkommener Indifferentiſte. Die Mut-
ter hingegen war eine eiferige Lutheranerin, und
dem Leben nach eine rechte Pietiſtin, obwol dieſer
Name damals noch nicht bekannt war. Jch
durffte in ihrer Gegenwart weder als ein Knabe,
noch als ein Juͤngling Schertz und Narrenthei-
dung treiben, ſie ſtraffte mich deswegen allemal
mit Nachdruck: und wenn ich mit meinem Ge-
ſchwiſter in die Schencke gehen wolte, tantzen zu
ſehen, oder einer Dorff-Comœdie beyzuwohnen,
ſo konten wir ſelten, oder nur mit großer Muͤhe
ſie dazu erbitten. Jch beſinne mich, daß es mehr
denn einmal geſchehen, daß ſie bey Tiſche auf die
Juͤden und Papiſten zu reden kam, und zu uns
Kindern ſagte, daß dieſe Leute alle einſt wuͤrden

ver-
A 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0053" n="7"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Geburt, und er&#x017F;te Kindheit.</hi></fw><lb/>
den 31. <hi rendition="#aq">Mart.</hi> auf die&#x017F;e Welt gebohren worden<lb/>
Es wird dem Le&#x017F;er wenig daran gelegen &#x017F;eyn, daß<lb/>
er wi&#x017F;&#x017F;e, wer mein Vater und meine Mutter ge-<lb/>
&#x017F;en: es waren ehrliche Leute, die in der Vor&#x017F;tadt<lb/>
bey Breßlau wohnten, ihr eigen Haus und einige<lb/>
Morgen Acker hatten, dergleichen Leute und Vor-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;dter man da&#x017F;elb&#x017F;t <hi rendition="#fr">Kra&#x0364;uter</hi> nennet, die aber<lb/>
eben das &#x017F;ind, was hier die Kohl-Ga&#x0364;rtner.</p>
      </div><lb/>
      <div n="1">
        <head>§. 3.</head><lb/>
        <p>Mein Vater kunte zwar weder &#x017F;chreiben<lb/>
noch le&#x017F;en; doch, &#x017F;o einfa&#x0364;ltig er war, &#x017F;o war er<lb/>
gleichwol in der Religion ein guter, oder doch viel-<lb/>
mehr ein vollkommener <hi rendition="#aq">Indifferenti&#x017F;t</hi>e. Die Mut-<lb/>
ter hingegen war eine eiferige Lutheranerin, und<lb/>
dem Leben nach eine rechte Pieti&#x017F;tin, obwol die&#x017F;er<lb/>
Name damals noch nicht bekannt war. Jch<lb/>
durffte in ihrer Gegenwart weder als ein Knabe,<lb/>
noch als ein Ju&#x0364;ngling Schertz und Narrenthei-<lb/>
dung treiben, &#x017F;ie &#x017F;traffte mich deswegen allemal<lb/>
mit Nachdruck: und wenn ich mit meinem Ge-<lb/>
&#x017F;chwi&#x017F;ter in die Schencke gehen wolte, tantzen zu<lb/>
&#x017F;ehen, oder einer Dorff-<hi rendition="#aq">Com&#x0153;die</hi> beyzuwohnen,<lb/>
&#x017F;o konten wir &#x017F;elten, oder nur mit großer Mu&#x0364;he<lb/>
&#x017F;ie dazu erbitten. Jch be&#x017F;inne mich, daß es mehr<lb/>
denn einmal ge&#x017F;chehen, daß &#x017F;ie bey Ti&#x017F;che auf die<lb/>
Ju&#x0364;den und Papi&#x017F;ten zu reden kam, und zu uns<lb/>
Kindern &#x017F;agte, daß die&#x017F;e Leute alle ein&#x017F;t wu&#x0364;rden<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A 4</fw><fw place="bottom" type="catch">ver-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0053] Geburt, und erſte Kindheit. den 31. Mart. auf dieſe Welt gebohren worden Es wird dem Leſer wenig daran gelegen ſeyn, daß er wiſſe, wer mein Vater und meine Mutter ge- ſen: es waren ehrliche Leute, die in der Vorſtadt bey Breßlau wohnten, ihr eigen Haus und einige Morgen Acker hatten, dergleichen Leute und Vor- ſtaͤdter man daſelbſt Kraͤuter nennet, die aber eben das ſind, was hier die Kohl-Gaͤrtner. §. 3. Mein Vater kunte zwar weder ſchreiben noch leſen; doch, ſo einfaͤltig er war, ſo war er gleichwol in der Religion ein guter, oder doch viel- mehr ein vollkommener Indifferentiſte. Die Mut- ter hingegen war eine eiferige Lutheranerin, und dem Leben nach eine rechte Pietiſtin, obwol dieſer Name damals noch nicht bekannt war. Jch durffte in ihrer Gegenwart weder als ein Knabe, noch als ein Juͤngling Schertz und Narrenthei- dung treiben, ſie ſtraffte mich deswegen allemal mit Nachdruck: und wenn ich mit meinem Ge- ſchwiſter in die Schencke gehen wolte, tantzen zu ſehen, oder einer Dorff-Comœdie beyzuwohnen, ſo konten wir ſelten, oder nur mit großer Muͤhe ſie dazu erbitten. Jch beſinne mich, daß es mehr denn einmal geſchehen, daß ſie bey Tiſche auf die Juͤden und Papiſten zu reden kam, und zu uns Kindern ſagte, daß dieſe Leute alle einſt wuͤrden ver- A 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/53
Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/53>, abgerufen am 21.12.2024.