bey solchem Zustande ihr furchtsames Fleisch und Blut bereden, und zu einem wahrscheinlichen, ja manchmahl nach gewissen Umständen, zu einem so vermeynten gantz gewissen Schluße bringen und verleiten lassen, als ob sie noch einmahl selbst Hand an sich legen würden.
§. 72.
Wie gehet es denn nun zu, daß sie endlich zu solcher That schreiten? Es ist eines der merckwürdigsten Dinge und Phaenomenon, so sich auf Erden bey den Menschen ereignen: daß die, so die gröste Furcht haben eine That zu be- gehen, und die gantze Welt drum gäben, daß sie sie nur nicht begiengen, darnach gleichwol solche thun. Wir Menschen thun das gerne, worzu wir Neigung und Lust, Willen und Vorsatz, nicht aber wovor wir die gröste Furcht haben. Und gleichwol lehrt die Erfahrung, daß ein gros- ser Theil von solchen Menschen, die selbst Hand an sich legen, vorher eine zeitlang mit solcher Furcht, daß sie es thun würden, geplaget wor- den. Sie entdecken diese Furcht vor der That zuweilen ihrem Prediger, oder auch einem an- dern guten Freunde, so daß man nach gesche- hener That schliessen kan, daß sie solche That nicht mit Willen, Wissen und Vorsatz, noch mit völli- gem Verstande müssen gethan haben. Der
große
einige aber doch zuweilen
bey ſolchem Zuſtande ihr furchtſames Fleiſch und Blut bereden, und zu einem wahrſcheinlichen, ja manchmahl nach gewiſſen Umſtaͤnden, zu einem ſo vermeynten gantz gewiſſen Schluße bringen und verleiten laſſen, als ob ſie noch einmahl ſelbſt Hand an ſich legen wuͤrden.
§. 72.
Wie gehet es denn nun zu, daß ſie endlich zu ſolcher That ſchreiten? Es iſt eines der merckwuͤrdigſten Dinge und Phænomenων, ſo ſich auf Erden bey den Menſchen ereignen: daß die, ſo die groͤſte Furcht haben eine That zu be- gehen, und die gantze Welt drum gaͤben, daß ſie ſie nur nicht begiengen, darnach gleichwol ſolche thun. Wir Menſchen thun das gerne, worzu wir Neigung und Luſt, Willen und Vorſatz, nicht aber wovor wir die groͤſte Furcht haben. Und gleichwol lehrt die Erfahrung, daß ein groſ- ſer Theil von ſolchen Menſchen, die ſelbſt Hand an ſich legen, vorher eine zeitlang mit ſolcher Furcht, daß ſie es thun wuͤrden, geplaget wor- den. Sie entdecken dieſe Furcht vor der That zuweilen ihrem Prediger, oder auch einem an- dern guten Freunde, ſo daß man nach geſche- hener That ſchlieſſen kan, daß ſie ſolche That nicht mit Willen, Wiſſen und Vorſatz, noch mit voͤlli- gem Verſtande muͤſſen gethan haben. Der
große
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einige aber doch zuweilen
bey ſolchem Zuſtande ihr furchtſames Fleiſch und
Blut bereden, und zu einem wahrſcheinlichen, ja
manchmahl nach gewiſſen Umſtaͤnden, zu einem
ſo vermeynten gantz gewiſſen Schluße bringen
und verleiten laſſen, als ob ſie noch einmahl ſelbſt
Hand an ſich legen wuͤrden.
§. 72.
Wie gehet es denn nun zu, daß ſie endlich
zu ſolcher That ſchreiten? Es iſt eines der
merckwuͤrdigſten Dinge und Phænomenων, ſo
ſich auf Erden bey den Menſchen ereignen: daß
die, ſo die groͤſte Furcht haben eine That zu be-
gehen, und die gantze Welt drum gaͤben, daß ſie
ſie nur nicht begiengen, darnach gleichwol ſolche
thun. Wir Menſchen thun das gerne, worzu
wir Neigung und Luſt, Willen und Vorſatz,
nicht aber wovor wir die groͤſte Furcht haben.
Und gleichwol lehrt die Erfahrung, daß ein groſ-
ſer Theil von ſolchen Menſchen, die ſelbſt Hand
an ſich legen, vorher eine zeitlang mit ſolcher
Furcht, daß ſie es thun wuͤrden, geplaget wor-
den. Sie entdecken dieſe Furcht vor der That
zuweilen ihrem Prediger, oder auch einem an-
dern guten Freunde, ſo daß man nach geſche-
hener That ſchlieſſen kan, daß ſie ſolche That nicht
mit Willen, Wiſſen und Vorſatz, noch mit voͤlli-
gem Verſtande muͤſſen gethan haben. Der
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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/374>, abgerufen am 21.11.2024.
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