Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

Bild:
<< vorherige Seite

Eine deutliche Demonstration,
werde. Der alte Herr D. Drechseler gab die-
ses vor die Ursache an. Denn da ich ihm einst
diese Plage vieler, wenn sie Caffee träncken, er-
zehlete, meynte er, sie träncken zu wenig, und
müsten den Kalck und die Säure im Leibe mit
recht vielem Caffee löschen. Bey mir aber hat
es niemahlen eintreffen wollen. Denn wo ich
vollends Caffees zu viel trincke, so werden mir nicht
nur alle Finger matt, daß sie sich contrahiren
wollen, sondern die Lebens-Geister werden auch
höchst flüchtig, und fangen an im Kopffe zu ga-
loppi
ren, und als ob sie mit sechsen führen, so
daß es im Haupte alsdenn wie Kraut und Rü-
ben unter einander gehet, und mir bald dieß,
bald jenes in der höchsten Schnelligkeit einfället,
und mich einer Verwirrung der Lebens-Geister
besorgen muß. Da ich noch im Predigt-Amte
stund, durffte ich den Tag zuvor, ehe ich pre-
digte, keinen Caffee trincken, wenn ich auf der
Cantzel langsam reden wolte. Denn weil meine Le-
bens-Geister alsdenn, dafern ich dessen tranck, samt
den Gedancken zu flüchtig und zu schnelle waren, so
muste ich auch im Reden eilen, was ich kunte, als
wenn mich iemand jagte, wolte ich anders nicht beym
langsamen Reden aus dem Concepte kommen.

§. 71.

Ob nun schon, wie bisher gezeiget, es nicht
Wunder ist, daß das Bild und die Idee des

Selbst-

Eine deutliche Demonſtration,
werde. Der alte Herr D. Drechſeler gab die-
ſes vor die Urſache an. Denn da ich ihm einſt
dieſe Plage vieler, wenn ſie Caffée traͤncken, er-
zehlete, meynte er, ſie traͤncken zu wenig, und
muͤſten den Kalck und die Saͤure im Leibe mit
recht vielem Caffée loͤſchen. Bey mir aber hat
es niemahlen eintreffen wollen. Denn wo ich
vollends Caffées zu viel trincke, ſo werden mir nicht
nur alle Finger matt, daß ſie ſich contrahiren
wollen, ſondern die Lebens-Geiſter werden auch
hoͤchſt fluͤchtig, und fangen an im Kopffe zu ga-
loppi
ren, und als ob ſie mit ſechſen fuͤhren, ſo
daß es im Haupte alsdenn wie Kraut und Ruͤ-
ben unter einander gehet, und mir bald dieß,
bald jenes in der hoͤchſten Schnelligkeit einfaͤllet,
und mich einer Verwirrung der Lebens-Geiſter
beſorgen muß. Da ich noch im Predigt-Amte
ſtund, durffte ich den Tag zuvor, ehe ich pre-
digte, keinen Caffée trincken, wenn ich auf der
Cantzel langſam reden wolte. Denn weil meine Le-
bens-Geiſter alsdenn, dafern ich deſſen tranck, ſamt
den Gedancken zu fluͤchtig und zu ſchnelle waren, ſo
muſte ich auch im Reden eilen, was ich kunte, als
weñ mich iemand jagte, wolte ich anders nicht beym
langſamen Reden aus dem Concepte kommen.

§. 71.

Ob nun ſchon, wie bisher gezeiget, es nicht
Wunder iſt, daß das Bild und die Idée des

Selbſt-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0360" n="314"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Eine deutliche <hi rendition="#aq">Demon&#x017F;tration,</hi></hi></fw><lb/>
werde. Der alte Herr <hi rendition="#aq">D.</hi> Drech&#x017F;eler gab die-<lb/>
&#x017F;es vor die Ur&#x017F;ache an. Denn da ich ihm ein&#x017F;t<lb/>
die&#x017F;e Plage vieler, wenn &#x017F;ie <hi rendition="#aq">Caffée</hi> tra&#x0364;ncken, er-<lb/>
zehlete, meynte er, &#x017F;ie tra&#x0364;ncken zu wenig, und<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;ten den Kalck und die Sa&#x0364;ure im Leibe mit<lb/>
recht vielem <hi rendition="#aq">Caffée</hi> lo&#x0364;&#x017F;chen. Bey mir aber hat<lb/>
es niemahlen eintreffen wollen. Denn wo ich<lb/>
vollends <hi rendition="#aq">Caffées</hi> zu viel trincke, &#x017F;o werden mir nicht<lb/>
nur alle Finger matt, daß &#x017F;ie &#x017F;ich <hi rendition="#aq">contrahi</hi>ren<lb/>
wollen, &#x017F;ondern die Lebens-Gei&#x017F;ter werden auch<lb/>
ho&#x0364;ch&#x017F;t flu&#x0364;chtig, und fangen an im Kopffe zu <hi rendition="#aq">ga-<lb/>
loppi</hi>ren, und als ob &#x017F;ie mit &#x017F;ech&#x017F;en fu&#x0364;hren, &#x017F;o<lb/>
daß es im Haupte alsdenn wie Kraut und Ru&#x0364;-<lb/>
ben unter einander gehet, und mir bald dieß,<lb/>
bald jenes in der ho&#x0364;ch&#x017F;ten Schnelligkeit einfa&#x0364;llet,<lb/>
und mich einer Verwirrung der Lebens-Gei&#x017F;ter<lb/>
be&#x017F;orgen muß. Da ich noch im Predigt-Amte<lb/>
&#x017F;tund, durffte ich den Tag zuvor, ehe ich pre-<lb/>
digte, keinen <hi rendition="#aq">Caffée</hi> trincken, wenn ich auf der<lb/>
Cantzel lang&#x017F;am reden wolte. Denn weil meine Le-<lb/>
bens-Gei&#x017F;ter alsdenn, dafern ich de&#x017F;&#x017F;en tranck, &#x017F;amt<lb/>
den Gedancken zu flu&#x0364;chtig und zu &#x017F;chnelle waren, &#x017F;o<lb/>
mu&#x017F;te ich auch im Reden eilen, was ich kunte, als<lb/>
wen&#x0303; mich iemand jagte, wolte ich anders nicht beym<lb/>
lang&#x017F;amen Reden aus dem <hi rendition="#aq">Concept</hi>e kommen.</p>
      </div><lb/>
      <div n="1">
        <head>§. 71.</head><lb/>
        <p>Ob nun &#x017F;chon, wie bisher gezeiget, es nicht<lb/>
Wunder i&#x017F;t, daß das Bild und die <hi rendition="#aq">Idée</hi> des<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Selb&#x017F;t-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[314/0360] Eine deutliche Demonſtration, werde. Der alte Herr D. Drechſeler gab die- ſes vor die Urſache an. Denn da ich ihm einſt dieſe Plage vieler, wenn ſie Caffée traͤncken, er- zehlete, meynte er, ſie traͤncken zu wenig, und muͤſten den Kalck und die Saͤure im Leibe mit recht vielem Caffée loͤſchen. Bey mir aber hat es niemahlen eintreffen wollen. Denn wo ich vollends Caffées zu viel trincke, ſo werden mir nicht nur alle Finger matt, daß ſie ſich contrahiren wollen, ſondern die Lebens-Geiſter werden auch hoͤchſt fluͤchtig, und fangen an im Kopffe zu ga- loppiren, und als ob ſie mit ſechſen fuͤhren, ſo daß es im Haupte alsdenn wie Kraut und Ruͤ- ben unter einander gehet, und mir bald dieß, bald jenes in der hoͤchſten Schnelligkeit einfaͤllet, und mich einer Verwirrung der Lebens-Geiſter beſorgen muß. Da ich noch im Predigt-Amte ſtund, durffte ich den Tag zuvor, ehe ich pre- digte, keinen Caffée trincken, wenn ich auf der Cantzel langſam reden wolte. Denn weil meine Le- bens-Geiſter alsdenn, dafern ich deſſen tranck, ſamt den Gedancken zu fluͤchtig und zu ſchnelle waren, ſo muſte ich auch im Reden eilen, was ich kunte, als weñ mich iemand jagte, wolte ich anders nicht beym langſamen Reden aus dem Concepte kommen. §. 71. Ob nun ſchon, wie bisher gezeiget, es nicht Wunder iſt, daß das Bild und die Idée des Selbſt-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/360
Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/360>, abgerufen am 21.12.2024.