Nachdem ich nun, geliebter Leser, dir diese seltsame Trübsaal, Kranckheit, oder Anfech- tung, wie ich sie nennen soll, oder wie du sie nennen wilst, die ich in diesem 1704. Jahre aus- gestanden, weitläufftig beschrieben habe; so bitte ich dich hoch und theuer, setze mich nicht in die Classe böser Buben, und gottloser Menschen, und vermenge mich nicht mit solchen Leuten, die entweder aus Uberdruß ihres Lebens, oder we- gen großer Armuth, und schmertzhafften Kranck- heit, oder wegen großer Schmach, Schimpff und Schande, und Verlust ihrer Ehre, Krafft ihrer Atheisterey und Unglaubens, oder Krafft ihres Vorurtheils, und daß sie nicht würden verdammt werden, einen freywilligen Tod, und die Hand-Anlegung an sich selbst bey gutem Verstand, und Vorsatz zum Mittel machen, aller ihrer Noth und Plagen auf einmahl los zu werden: den Tod und Selbst-Mord als ein kleines Ubel erwehlen, ihrer größern Ubeln, so sie drücken, entlediget zu werden: Anfangs eine Lust, Neigung, und Reitzung zu einem solchen Tode bey sich verspühren, und darnach der na- türlichen Furcht und Abscheu, so ihnen einigen Widerstand thun mag, ungeachtet, zu dem end- lich schreiten, wozu sie Neigung und Begierde
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Der Autor faͤngt an
§. 61.
Nachdem ich nun, geliebter Leſer, dir dieſe ſeltſame Truͤbſaal, Kranckheit, oder Anfech- tung, wie ich ſie nennen ſoll, oder wie du ſie nennen wilſt, die ich in dieſem 1704. Jahre aus- geſtanden, weitlaͤufftig beſchrieben habe; ſo bitte ich dich hoch und theuer, ſetze mich nicht in die Claſſe boͤſer Buben, und gottloſer Menſchen, und vermenge mich nicht mit ſolchen Leuten, die entweder aus Uberdruß ihres Lebens, oder we- gen großer Armuth, und ſchmertzhafften Kranck- heit, oder wegen großer Schmach, Schimpff und Schande, und Verluſt ihrer Ehre, Krafft ihrer Atheiſterey und Unglaubens, oder Krafft ihres Vorurtheils, und daß ſie nicht wuͤrden verdammt werden, einen freywilligen Tod, und die Hand-Anlegung an ſich ſelbſt bey gutem Verſtand, und Vorſatz zum Mittel machen, aller ihrer Noth und Plagen auf einmahl los zu werden: den Tod und Selbſt-Mord als ein kleines Ubel erwehlen, ihrer groͤßern Ubeln, ſo ſie druͤcken, entlediget zu werden: Anfangs eine Luſt, Neigung, und Reitzung zu einem ſolchen Tode bey ſich verſpuͤhren, und darnach der na- tuͤrlichen Furcht und Abſcheu, ſo ihnen einigen Widerſtand thun mag, ungeachtet, zu dem end- lich ſchreiten, wozu ſie Neigung und Begierde
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Der Autor faͤngt an
§. 61.
Nachdem ich nun, geliebter Leſer, dir
dieſe ſeltſame Truͤbſaal, Kranckheit, oder Anfech-
tung, wie ich ſie nennen ſoll, oder wie du ſie
nennen wilſt, die ich in dieſem 1704. Jahre aus-
geſtanden, weitlaͤufftig beſchrieben habe; ſo
bitte ich dich hoch und theuer, ſetze mich nicht in
die Claſſe boͤſer Buben, und gottloſer Menſchen,
und vermenge mich nicht mit ſolchen Leuten, die
entweder aus Uberdruß ihres Lebens, oder we-
gen großer Armuth, und ſchmertzhafften Kranck-
heit, oder wegen großer Schmach, Schimpff
und Schande, und Verluſt ihrer Ehre, Krafft
ihrer Atheiſterey und Unglaubens, oder Krafft
ihres Vorurtheils, und daß ſie nicht wuͤrden
verdammt werden, einen freywilligen Tod, und
die Hand-Anlegung an ſich ſelbſt bey gutem
Verſtand, und Vorſatz zum Mittel machen,
aller ihrer Noth und Plagen auf einmahl los zu
werden: den Tod und Selbſt-Mord als ein
kleines Ubel erwehlen, ihrer groͤßern Ubeln, ſo
ſie druͤcken, entlediget zu werden: Anfangs eine
Luſt, Neigung, und Reitzung zu einem ſolchen
Tode bey ſich verſpuͤhren, und darnach der na-
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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/303>, abgerufen am 21.11.2024.
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