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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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Politische Einrichtungen. XXII.
Klarheit darüber schwer zu gewinnen sein. Alles bis jetzt
Publicirte ist nur Stückwerk voll Widersprüche, die vielleicht mehr
in den Einrichtungen selbst, als in den Berichten darüber liegen,
denn offenbar beruhen die lose geordneten Verhältnisse auf
wandelbarem Herkommen, das der Willkür starker Charaktere
weicht. Nicht einmal von der Sonderung der Stände und der
Stellung der Fürsten zum Volke gewannen wir deutliche Begriffe.
Graf Eulenburg fragte bei jeder Gelegenheit den König und die
Grossen aus und erhielt ausführliche Antworten; auch von den
ansässigen Consuln, Missionaren und Kauflenten erfuhren wir Man-
cherlei; aber zu klarer Erkenntniss des Organismus gestalteten sich
diese Mittheilungen nicht. Sie mögen trotzdem, wie wir sie empfin-
gen und ohne eigene Gewähr, als Beitrag zur Kenntniss des
Landes hier wiedergegeben werden. Die Berichte anderer Reisen-
den beseitigen keineswegs die Widersprüche, ebensowenig das
Werk des Bischofs Pallegoix, aus welchem die meisten geschöpft
haben, und das trotz manchen Lücken immer noch als die beste
Beschreibung von Siam gelten muss. Die reichhaltigen französischen
Werke aus dem 17. Jahrhundert passen nur theilweise auf die
heutigen Einrichtungen; die Blütheperiode, welche sie behandeln,
erreichte ihr Ende mit der Zerstörung von Ayutia, und das neue
siamesische Reich, das Phaya-tak in Bankok gründete, ist von
jenem älteren wesentlich verschieden.

König Maha-monkut pflegte in komischen Zorn zu gerathen
über geographische Bücher, welche die Verfassung von Siam als
absolut monarchisch bezeichnen 71); und doch war er soweit abso-
luter Herr, als nicht die öffentliche Meinung, altes Herkommen,
der Einfluss der Bonzen und die materielle Macht der Grossen ihn
beschränkten. Ueber der letzteren Stellung findet sich nirgend ge-
nügende Auskunft; es scheint ein landbesitzender Adel zu sein, in
dessen Familien alle hohen Staatsämter unter königlicher Bestäti-
gung erblich sind. Die würdentragenden Häupter dieser Familien
bilden wahrscheinlich den grossen Staatsrath oder Senabodi, der
vorzüglich bei jedem Thronwechsel mitspricht. König Maha-
monkut
erklärte dem Gesandten in deutlichen Worten, dass thron-

71) "I have no power, I am not absolute. If I point the end of my walking-
stick at a man, whom, being my enemy, I wish to die, he does not die, but lives
on, in spite of my "absolute" will to the contrary. What does Geographies mean?
How can I be an absolute monarchy." S. Mrs. Leonowens.

Politische Einrichtungen. XXII.
Klarheit darüber schwer zu gewinnen sein. Alles bis jetzt
Publicirte ist nur Stückwerk voll Widersprüche, die vielleicht mehr
in den Einrichtungen selbst, als in den Berichten darüber liegen,
denn offenbar beruhen die lose geordneten Verhältnisse auf
wandelbarem Herkommen, das der Willkür starker Charaktere
weicht. Nicht einmal von der Sonderung der Stände und der
Stellung der Fürsten zum Volke gewannen wir deutliche Begriffe.
Graf Eulenburg fragte bei jeder Gelegenheit den König und die
Grossen aus und erhielt ausführliche Antworten; auch von den
ansässigen Consuln, Missionaren und Kauflenten erfuhren wir Man-
cherlei; aber zu klarer Erkenntniss des Organismus gestalteten sich
diese Mittheilungen nicht. Sie mögen trotzdem, wie wir sie empfin-
gen und ohne eigene Gewähr, als Beitrag zur Kenntniss des
Landes hier wiedergegeben werden. Die Berichte anderer Reisen-
den beseitigen keineswegs die Widersprüche, ebensowenig das
Werk des Bischofs Pallégoix, aus welchem die meisten geschöpft
haben, und das trotz manchen Lücken immer noch als die beste
Beschreibung von Siam gelten muss. Die reichhaltigen französischen
Werke aus dem 17. Jahrhundert passen nur theilweise auf die
heutigen Einrichtungen; die Blütheperiode, welche sie behandeln,
erreichte ihr Ende mit der Zerstörung von Ayutia, und das neue
siamesische Reich, das Phaya-tak in Baṅkok gründete, ist von
jenem älteren wesentlich verschieden.

König Maha-moṅkut pflegte in komischen Zorn zu gerathen
über geographische Bücher, welche die Verfassung von Siam als
absolut monarchisch bezeichnen 71); und doch war er soweit abso-
luter Herr, als nicht die öffentliche Meinung, altes Herkommen,
der Einfluss der Bonzen und die materielle Macht der Grossen ihn
beschränkten. Ueber der letzteren Stellung findet sich nirgend ge-
nügende Auskunft; es scheint ein landbesitzender Adel zu sein, in
dessen Familien alle hohen Staatsämter unter königlicher Bestäti-
gung erblich sind. Die würdentragenden Häupter dieser Familien
bilden wahrscheinlich den grossen Staatsrath oder Senabodi, der
vorzüglich bei jedem Thronwechsel mitspricht. König Maha-
moṅkut
erklärte dem Gesandten in deutlichen Worten, dass thron-

71) »I have no power, I am not absolute. If I point the end of my walking-
stick at a man, whom, being my enemy, I wish to die, he does not die, but lives
on, in spite of my »absolute« will to the contrary. What does Geographies mean?
How can I be an absolute monarchy.« S. Mrs. Leonowens.
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[322/0336] Politische Einrichtungen. XXII. Klarheit darüber schwer zu gewinnen sein. Alles bis jetzt Publicirte ist nur Stückwerk voll Widersprüche, die vielleicht mehr in den Einrichtungen selbst, als in den Berichten darüber liegen, denn offenbar beruhen die lose geordneten Verhältnisse auf wandelbarem Herkommen, das der Willkür starker Charaktere weicht. Nicht einmal von der Sonderung der Stände und der Stellung der Fürsten zum Volke gewannen wir deutliche Begriffe. Graf Eulenburg fragte bei jeder Gelegenheit den König und die Grossen aus und erhielt ausführliche Antworten; auch von den ansässigen Consuln, Missionaren und Kauflenten erfuhren wir Man- cherlei; aber zu klarer Erkenntniss des Organismus gestalteten sich diese Mittheilungen nicht. Sie mögen trotzdem, wie wir sie empfin- gen und ohne eigene Gewähr, als Beitrag zur Kenntniss des Landes hier wiedergegeben werden. Die Berichte anderer Reisen- den beseitigen keineswegs die Widersprüche, ebensowenig das Werk des Bischofs Pallégoix, aus welchem die meisten geschöpft haben, und das trotz manchen Lücken immer noch als die beste Beschreibung von Siam gelten muss. Die reichhaltigen französischen Werke aus dem 17. Jahrhundert passen nur theilweise auf die heutigen Einrichtungen; die Blütheperiode, welche sie behandeln, erreichte ihr Ende mit der Zerstörung von Ayutia, und das neue siamesische Reich, das Phaya-tak in Baṅkok gründete, ist von jenem älteren wesentlich verschieden. König Maha-moṅkut pflegte in komischen Zorn zu gerathen über geographische Bücher, welche die Verfassung von Siam als absolut monarchisch bezeichnen 71); und doch war er soweit abso- luter Herr, als nicht die öffentliche Meinung, altes Herkommen, der Einfluss der Bonzen und die materielle Macht der Grossen ihn beschränkten. Ueber der letzteren Stellung findet sich nirgend ge- nügende Auskunft; es scheint ein landbesitzender Adel zu sein, in dessen Familien alle hohen Staatsämter unter königlicher Bestäti- gung erblich sind. Die würdentragenden Häupter dieser Familien bilden wahrscheinlich den grossen Staatsrath oder Senabodi, der vorzüglich bei jedem Thronwechsel mitspricht. König Maha- moṅkut erklärte dem Gesandten in deutlichen Worten, dass thron- 71) »I have no power, I am not absolute. If I point the end of my walking- stick at a man, whom, being my enemy, I wish to die, he does not die, but lives on, in spite of my »absolute« will to the contrary. What does Geographies mean? How can I be an absolute monarchy.« S. Mrs. Leonowens.

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/336>, abgerufen am 27.04.2024.