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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Lord Napier's Rückzug und Tod.
zu vertreiben. Er sperrte den Handel, entzog Lord Napier seine
chinesische Dienerschaft, schnitt ihm die Lebensmittel ab und liess
seine Wohnung mit Soldaten umstellen. Nun ersuchte der Ober-
Commissar den commandirenden Flotten-Officier, mit den Kriegs-
schiffen nach Wam-poa zu kommen. -- Am Morgen des 7. September
gingen Andromache und Imogen, gegen den Nordwind kreuzend,
an den Batterieen der Bocca Tigris vorbei und brachten deren Feuer
leicht zum Schweigen, mussten aber der Ebbe wegen unterhalb der
Tiger-Insel ankern. Erst am 9. September wurde der Wind günstig.
Die Werke der Insel liessen alle Geschütze auf die Fregatten spielen,
jede hatte einen Todten und mehrere Verwundete. Sie fuhren,
volle Breitseiten feuernd, auf Pistolenschussweite an den Werken
vorüber, deren Trümmer der Besatzung um die Köpfe flogen. Wind-
stillen verzögerten die Ankunft der Schiffe bei Wam-poa noch bis
zum 11. September; die Chinesen hatten jeden Verkehr der dort
ankernden Kauffahrer mit Kan-ton abgeschnitten.

Nun forderte der Vice-König als Bedingung für Aufhebung
des Handelsverbotes die Entfernung der Kriegsschiffe aus dem Perl-
Fluss
und die Abreise des Lord Napier aus Kan-ton. Letzterer
theilte der englischen Gemeinde mit, dass er alle ihm zu Gebote
stehenden Mittel erschöpft habe, der Commission die ihr zukom-
mende Stellung zu bereiten, und sich nicht für befugt halte, durch
unfruchtbares Beharren auf seinen Ansprüchen die Interessen des
Handels zu schädigen. -- Die Kriegsschiffe gingen nach Lin-tin.
Lord Napier reiste krank auf einem Proviantboot durch die süd-
liche Flussmündung nach Macao und starb dort nach wenigen
Wochen. Nach seiner Abreise wurden in Kan-ton die Handels-
geschäfte wieder aufgenommen.

Nach Davis' öffentlich ausgesprochenem Urtheil wäre diesen
Verwicklungen durch eine an den Hof von Pe-kin gerichtete, den
Behörden in Kan-ton zur Beförderung übergebene Mittheilung der
englischen Regierung von der Ernennung und amtlichen Stellung
der Commissare vorzubeugen gewesen. Auf solche Meldung hatte
die kaiserliche Regierung wohl ein Recht; sie erklärte später
unumwunden, dass sie dieselbe erwarten müsse und sich die Be-
fugniss wahre, die Beziehungen fremder Bevollmächtigten zu den
einheimischen Behörden zu sanctioniren. -- Das wäre auch nur dem
Exequatur europäischer Souveräne entsprechend. -- Die Unterlassung
dieses Schrittes brachte Lord Napier von Anfang an in eine falsche

Lord Napier’s Rückzug und Tod.
zu vertreiben. Er sperrte den Handel, entzog Lord Napier seine
chinesische Dienerschaft, schnitt ihm die Lebensmittel ab und liess
seine Wohnung mit Soldaten umstellen. Nun ersuchte der Ober-
Commissar den commandirenden Flotten-Officier, mit den Kriegs-
schiffen nach Wam-poa zu kommen. — Am Morgen des 7. September
gingen Andromache und Imogen, gegen den Nordwind kreuzend,
an den Batterieen der Bocca Tigris vorbei und brachten deren Feuer
leicht zum Schweigen, mussten aber der Ebbe wegen unterhalb der
Tiger-Insel ankern. Erst am 9. September wurde der Wind günstig.
Die Werke der Insel liessen alle Geschütze auf die Fregatten spielen,
jede hatte einen Todten und mehrere Verwundete. Sie fuhren,
volle Breitseiten feuernd, auf Pistolenschussweite an den Werken
vorüber, deren Trümmer der Besatzung um die Köpfe flogen. Wind-
stillen verzögerten die Ankunft der Schiffe bei Wam-poa noch bis
zum 11. September; die Chinesen hatten jeden Verkehr der dort
ankernden Kauffahrer mit Kan-ton abgeschnitten.

Nun forderte der Vice-König als Bedingung für Aufhebung
des Handelsverbotes die Entfernung der Kriegsschiffe aus dem Perl-
Fluss
und die Abreise des Lord Napier aus Kan-ton. Letzterer
theilte der englischen Gemeinde mit, dass er alle ihm zu Gebote
stehenden Mittel erschöpft habe, der Commission die ihr zukom-
mende Stellung zu bereiten, und sich nicht für befugt halte, durch
unfruchtbares Beharren auf seinen Ansprüchen die Interessen des
Handels zu schädigen. — Die Kriegsschiffe gingen nach Lin-tin.
Lord Napier reiste krank auf einem Proviantboot durch die süd-
liche Flussmündung nach Macao und starb dort nach wenigen
Wochen. Nach seiner Abreise wurden in Kan-ton die Handels-
geschäfte wieder aufgenommen.

Nach Davis’ öffentlich ausgesprochenem Urtheil wäre diesen
Verwicklungen durch eine an den Hof von Pe-kiṅ gerichtete, den
Behörden in Kan-ton zur Beförderung übergebene Mittheilung der
englischen Regierung von der Ernennung und amtlichen Stellung
der Commissare vorzubeugen gewesen. Auf solche Meldung hatte
die kaiserliche Regierung wohl ein Recht; sie erklärte später
unumwunden, dass sie dieselbe erwarten müsse und sich die Be-
fugniss wahre, die Beziehungen fremder Bevollmächtigten zu den
einheimischen Behörden zu sanctioniren. — Das wäre auch nur dem
Exequatur europäischer Souveräne entsprechend. — Die Unterlassung
dieses Schrittes brachte Lord Napier von Anfang an in eine falsche

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[61/0083] Lord Napier’s Rückzug und Tod. zu vertreiben. Er sperrte den Handel, entzog Lord Napier seine chinesische Dienerschaft, schnitt ihm die Lebensmittel ab und liess seine Wohnung mit Soldaten umstellen. Nun ersuchte der Ober- Commissar den commandirenden Flotten-Officier, mit den Kriegs- schiffen nach Wam-poa zu kommen. — Am Morgen des 7. September gingen Andromache und Imogen, gegen den Nordwind kreuzend, an den Batterieen der Bocca Tigris vorbei und brachten deren Feuer leicht zum Schweigen, mussten aber der Ebbe wegen unterhalb der Tiger-Insel ankern. Erst am 9. September wurde der Wind günstig. Die Werke der Insel liessen alle Geschütze auf die Fregatten spielen, jede hatte einen Todten und mehrere Verwundete. Sie fuhren, volle Breitseiten feuernd, auf Pistolenschussweite an den Werken vorüber, deren Trümmer der Besatzung um die Köpfe flogen. Wind- stillen verzögerten die Ankunft der Schiffe bei Wam-poa noch bis zum 11. September; die Chinesen hatten jeden Verkehr der dort ankernden Kauffahrer mit Kan-ton abgeschnitten. Nun forderte der Vice-König als Bedingung für Aufhebung des Handelsverbotes die Entfernung der Kriegsschiffe aus dem Perl- Fluss und die Abreise des Lord Napier aus Kan-ton. Letzterer theilte der englischen Gemeinde mit, dass er alle ihm zu Gebote stehenden Mittel erschöpft habe, der Commission die ihr zukom- mende Stellung zu bereiten, und sich nicht für befugt halte, durch unfruchtbares Beharren auf seinen Ansprüchen die Interessen des Handels zu schädigen. — Die Kriegsschiffe gingen nach Lin-tin. Lord Napier reiste krank auf einem Proviantboot durch die süd- liche Flussmündung nach Macao und starb dort nach wenigen Wochen. Nach seiner Abreise wurden in Kan-ton die Handels- geschäfte wieder aufgenommen. Nach Davis’ öffentlich ausgesprochenem Urtheil wäre diesen Verwicklungen durch eine an den Hof von Pe-kiṅ gerichtete, den Behörden in Kan-ton zur Beförderung übergebene Mittheilung der englischen Regierung von der Ernennung und amtlichen Stellung der Commissare vorzubeugen gewesen. Auf solche Meldung hatte die kaiserliche Regierung wohl ein Recht; sie erklärte später unumwunden, dass sie dieselbe erwarten müsse und sich die Be- fugniss wahre, die Beziehungen fremder Bevollmächtigten zu den einheimischen Behörden zu sanctioniren. — Das wäre auch nur dem Exequatur europäischer Souveräne entsprechend. — Die Unterlassung dieses Schrittes brachte Lord Napier von Anfang an in eine falsche

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/83>, abgerufen am 26.04.2024.