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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Yan-sin-tsin, der Ost-König.
seine Unterschrift unter allen Proclamationen; seine Thätigkeit
erstreckte sich auf die kleinsten Einzelnheiten der Verwaltung. 86)
Die Vermuthung, dass er nach der Herrscherwürde strebte, liegt
sehr nahe; aber jeder Versuch, den zweiten Sohn Gottes zu stür-
zen, musste zu hoffnungslosem Kampf mit dem Kern der Armee,
dem gläubigen Häuflein der "Gottesverehrer" führen. Als Organ
des "himmlischen Vaters" mochte er hoffen, den Tien-wan allmälich
zu überflügeln, und brauchte diese Eigenschaft zunächst zu dessen
Demüthigung. Die Erzählung davon ist psychologisch zu merk-
würdig, zu bezeichnend für die Sinnesart der Betheiligten und die
Verhältnisse des Tae-pin-Hofes, um nicht hier in einiger Breite
wiedergegeben zu werden. Eine 1854 in Nan-kin gedruckte amt-
liche Schrift berichtet den ganzen Hergang.

Am Morgen des 25. December, der ein Sabbath war, begab
sich der Nord-König mit Gefolge zu Besprechung von Staats-
geschäften in den Palast des Yan-sin-tsin; bald nach seinem Fort-
gehen fiel dieser in Verzückung. Als "himmlischer Vater" liess der
Ost-König einige Frauen seines Haushaltes rufen, hielt ihnen einen
Sermon über ihre Fehler und befahl, dem Nord-König zu melden,
dass der himmlische Vater ihn in seine Gegenwart entbiete. Unter-
dessen theilte er den Anwesenden einige Aufträge an sich selbst,
den Ost-König mit, -- denn in der Verzückung hatte Yan kein
Bewusstsein von seiner Person --: er solle sich an den Hof be-
geben und dem Tien-wan die gegen seine Umgebung geübte Hef-
tigkeit und Strenge verweisen; auch solle er dessen Aufmerksam-
keit auf die Erziehung des Thronerben lenken, dass er demselben
nicht zu viel Freiheit lasse und ihn seiner Bestimmung gemäss
unterweise, dem Reiche als Beispiel und der ganzen Welt als
Muster zu dienen. Nach einigen weiteren Aufträgen sagt der himm-
lische Vater: "Nun werde ich in den Himmel zurückkehren."

Dem Nord-König wurde bei seiner Ankunft mitgetheilt, der
himmlische Vater habe sich entfernt, aber den Befehl hinterlassen,
dass er und sein Gefolge den Ost-König zum Tien-wan begleiten
müssten. Auf dem Wege fiel Yan in seiner Sänfte wieder in Ver-
zückung: als "himmlischer Vater" befahl er dem Nord-König, ihn
in die Audienzhalle tragen zu lassen. Der Tien-wan, der unter-

86) So fanden die Fremden alle die Vertheilung von Kleidungsstücken und Me-
dicamenten, die Erhaltung der Reinlichkeit, Beobachtung von Anstandsregeln und
Förmlichkeiten betreffenden Verfügungen mit seinem Namen unterzeichnet.

Yaṅ-sin-tsiṅ, der Ost-König.
seine Unterschrift unter allen Proclamationen; seine Thätigkeit
erstreckte sich auf die kleinsten Einzelnheiten der Verwaltung. 86)
Die Vermuthung, dass er nach der Herrscherwürde strebte, liegt
sehr nahe; aber jeder Versuch, den zweiten Sohn Gottes zu stür-
zen, musste zu hoffnungslosem Kampf mit dem Kern der Armee,
dem gläubigen Häuflein der »Gottesverehrer« führen. Als Organ
des »himmlischen Vaters« mochte er hoffen, den Tien-waṅ allmälich
zu überflügeln, und brauchte diese Eigenschaft zunächst zu dessen
Demüthigung. Die Erzählung davon ist psychologisch zu merk-
würdig, zu bezeichnend für die Sinnesart der Betheiligten und die
Verhältnisse des Tae-piṅ-Hofes, um nicht hier in einiger Breite
wiedergegeben zu werden. Eine 1854 in Nan-kiṅ gedruckte amt-
liche Schrift berichtet den ganzen Hergang.

Am Morgen des 25. December, der ein Sabbath war, begab
sich der Nord-König mit Gefolge zu Besprechung von Staats-
geschäften in den Palast des Yaṅ-sin-tsiṅ; bald nach seinem Fort-
gehen fiel dieser in Verzückung. Als »himmlischer Vater« liess der
Ost-König einige Frauen seines Haushaltes rufen, hielt ihnen einen
Sermon über ihre Fehler und befahl, dem Nord-König zu melden,
dass der himmlische Vater ihn in seine Gegenwart entbiete. Unter-
dessen theilte er den Anwesenden einige Aufträge an sich selbst,
den Ost-König mit, — denn in der Verzückung hatte Yaṅ kein
Bewusstsein von seiner Person —: er solle sich an den Hof be-
geben und dem Tien-waṅ die gegen seine Umgebung geübte Hef-
tigkeit und Strenge verweisen; auch solle er dessen Aufmerksam-
keit auf die Erziehung des Thronerben lenken, dass er demselben
nicht zu viel Freiheit lasse und ihn seiner Bestimmung gemäss
unterweise, dem Reiche als Beispiel und der ganzen Welt als
Muster zu dienen. Nach einigen weiteren Aufträgen sagt der himm-
lische Vater: »Nun werde ich in den Himmel zurückkehren.«

Dem Nord-König wurde bei seiner Ankunft mitgetheilt, der
himmlische Vater habe sich entfernt, aber den Befehl hinterlassen,
dass er und sein Gefolge den Ost-König zum Tien-waṅ begleiten
müssten. Auf dem Wege fiel Yaṅ in seiner Sänfte wieder in Ver-
zückung: als »himmlischer Vater« befahl er dem Nord-König, ihn
in die Audienzhalle tragen zu lassen. Der Tien-waṅ, der unter-

86) So fanden die Fremden alle die Vertheilung von Kleidungsstücken und Me-
dicamenten, die Erhaltung der Reinlichkeit, Beobachtung von Anstandsregeln und
Förmlichkeiten betreffenden Verfügungen mit seinem Namen unterzeichnet.
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[205/0227] Yaṅ-sin-tsiṅ, der Ost-König. seine Unterschrift unter allen Proclamationen; seine Thätigkeit erstreckte sich auf die kleinsten Einzelnheiten der Verwaltung. 86) Die Vermuthung, dass er nach der Herrscherwürde strebte, liegt sehr nahe; aber jeder Versuch, den zweiten Sohn Gottes zu stür- zen, musste zu hoffnungslosem Kampf mit dem Kern der Armee, dem gläubigen Häuflein der »Gottesverehrer« führen. Als Organ des »himmlischen Vaters« mochte er hoffen, den Tien-waṅ allmälich zu überflügeln, und brauchte diese Eigenschaft zunächst zu dessen Demüthigung. Die Erzählung davon ist psychologisch zu merk- würdig, zu bezeichnend für die Sinnesart der Betheiligten und die Verhältnisse des Tae-piṅ-Hofes, um nicht hier in einiger Breite wiedergegeben zu werden. Eine 1854 in Nan-kiṅ gedruckte amt- liche Schrift berichtet den ganzen Hergang. Am Morgen des 25. December, der ein Sabbath war, begab sich der Nord-König mit Gefolge zu Besprechung von Staats- geschäften in den Palast des Yaṅ-sin-tsiṅ; bald nach seinem Fort- gehen fiel dieser in Verzückung. Als »himmlischer Vater« liess der Ost-König einige Frauen seines Haushaltes rufen, hielt ihnen einen Sermon über ihre Fehler und befahl, dem Nord-König zu melden, dass der himmlische Vater ihn in seine Gegenwart entbiete. Unter- dessen theilte er den Anwesenden einige Aufträge an sich selbst, den Ost-König mit, — denn in der Verzückung hatte Yaṅ kein Bewusstsein von seiner Person —: er solle sich an den Hof be- geben und dem Tien-waṅ die gegen seine Umgebung geübte Hef- tigkeit und Strenge verweisen; auch solle er dessen Aufmerksam- keit auf die Erziehung des Thronerben lenken, dass er demselben nicht zu viel Freiheit lasse und ihn seiner Bestimmung gemäss unterweise, dem Reiche als Beispiel und der ganzen Welt als Muster zu dienen. Nach einigen weiteren Aufträgen sagt der himm- lische Vater: »Nun werde ich in den Himmel zurückkehren.« Dem Nord-König wurde bei seiner Ankunft mitgetheilt, der himmlische Vater habe sich entfernt, aber den Befehl hinterlassen, dass er und sein Gefolge den Ost-König zum Tien-waṅ begleiten müssten. Auf dem Wege fiel Yaṅ in seiner Sänfte wieder in Ver- zückung: als »himmlischer Vater« befahl er dem Nord-König, ihn in die Audienzhalle tragen zu lassen. Der Tien-waṅ, der unter- 86) So fanden die Fremden alle die Vertheilung von Kleidungsstücken und Me- dicamenten, die Erhaltung der Reinlichkeit, Beobachtung von Anstandsregeln und Förmlichkeiten betreffenden Verfügungen mit seinem Namen unterzeichnet.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/227>, abgerufen am 27.04.2024.