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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Nan-kin und Tsin-kian genommen.
19. März sprengten sie ein Stück der nördlichen Stadtmauer und
stürmten die Bresche. Die chinesischen Truppen aus San-tun und
Kwei-tsau hielten nicht Stand. Die Tartaren-Garnison war nomi-
nell fünftausend Mann stark; so viele wurden in den Listen geführt
und besoldet. Die Familien hatten sich aber während des zwei-
hundertjährigen Aufenthaltes stark vermehrt; nach Meadows wären
der wehrhaften Männer über siebentausend, und mit Greisen, Frauen
und Kindern über zwanzigtausend Tartaren in Nan-kin gewesen.
Sie wussten, dass sie von den Tae-pin keine Gnade erwarten durf-
ten; sie standen zum Schutze des angestammten Herrscherhauses
da, dessen Brod ihre Familien seit Jahrhunderten assen; sie hatten
Weib und Kind, Haus und Hof, Freiheit und Leben zu ver-
lieren und rührten doch keine Hand zum Kampfe. Sie fielen
um Gnade flehend vor den eindringenden Rebellen nieder und liessen
sich ohne Widerstand hinschlachten. "Wir erschlugen sie alle,"
erzählte bald darauf ein Rebellenführer Herrn Meadows, "bis auf
den Neugebornen im Arm der Mutter, und liessen nicht eine Wurzel
zum Aufspriessen. Ihre Leichen wurden in den Yan-tse geworfen."

Am 1. April fuhr die Flotte der Insurgenten den Strom hinab
nach Tsin-kian-fu. Die kaiserlichen Dschunken ergriffen schmälich
die Flucht, und die Stadt fiel ohne Gegenwehr. Die Tartaren
waren davongegangen; einige Hundert wurden in den umliegenden
Ortschaften niedergemacht. Am 2. April besetzten die Tae-pin
Kwa-tsau
auf dem Nordufer des Stromes und die anderthalb Meilen
davon am Kaiser-Canal gelegene reiche Stadt Yan-tsau. Eine
Strandbatterie von dreiviertel Meilen Länge fiel mit allen Geschützen
in ihre Hände, ohne dass ein Schuss gefeuert wurde. -- So eroberten
sie in wenig Tagen die wichtigste strategische Position des chine-
sischen Reiches und hätten den Norden aushungern können, wenn
sie, wie die Engländer zehn Jahre zuvor, auch Herren des Meeres
gewesen wären.

Nan-kin, Tsin-kian und die anderen wichtigen Punkte wur-
den in kurzer Zeit stark genug befestigt und verproviantirt, um dem
Feinde sicher zu trotzen. Der kaiserliche General der Provinz nahm
mit seinen Truppen eine beobachtende Stellung südlich von Nan-
kin
ein und liess sein Dschunkengeschwader mehrere Meilen ober-
halb der Stadt ankern, wagte aber nicht anzugreifen. -- Die Zahl

Schlaf. Aber sich nur zu tadeln ist ein leerer Brauch. Deshalb bittet er den Himmel
flehentlich und demüthig, seine Fehler zu vergeben und sein armes Volk zu retten."

Nan-kiṅ und Tšiṅ-kiaṅ genommen.
19. März sprengten sie ein Stück der nördlichen Stadtmauer und
stürmten die Bresche. Die chinesischen Truppen aus Šan-tuṅ und
Kwei-tšau hielten nicht Stand. Die Tartaren-Garnison war nomi-
nell fünftausend Mann stark; so viele wurden in den Listen geführt
und besoldet. Die Familien hatten sich aber während des zwei-
hundertjährigen Aufenthaltes stark vermehrt; nach Meadows wären
der wehrhaften Männer über siebentausend, und mit Greisen, Frauen
und Kindern über zwanzigtausend Tartaren in Nan-kiṅ gewesen.
Sie wussten, dass sie von den Tae-piṅ keine Gnade erwarten durf-
ten; sie standen zum Schutze des angestammten Herrscherhauses
da, dessen Brod ihre Familien seit Jahrhunderten assen; sie hatten
Weib und Kind, Haus und Hof, Freiheit und Leben zu ver-
lieren und rührten doch keine Hand zum Kampfe. Sie fielen
um Gnade flehend vor den eindringenden Rebellen nieder und liessen
sich ohne Widerstand hinschlachten. »Wir erschlugen sie alle,«
erzählte bald darauf ein Rebellenführer Herrn Meadows, »bis auf
den Neugebornen im Arm der Mutter, und liessen nicht eine Wurzel
zum Aufspriessen. Ihre Leichen wurden in den Yaṅ-tse geworfen.«

Am 1. April fuhr die Flotte der Insurgenten den Strom hinab
nach Tšiṅ-kiaṅ-fu. Die kaiserlichen Dschunken ergriffen schmälich
die Flucht, und die Stadt fiel ohne Gegenwehr. Die Tartaren
waren davongegangen; einige Hundert wurden in den umliegenden
Ortschaften niedergemacht. Am 2. April besetzten die Tae-piṅ
Kwa-tšau
auf dem Nordufer des Stromes und die anderthalb Meilen
davon am Kaiser-Canal gelegene reiche Stadt Yaṅ-tšau. Eine
Strandbatterie von dreiviertel Meilen Länge fiel mit allen Geschützen
in ihre Hände, ohne dass ein Schuss gefeuert wurde. — So eroberten
sie in wenig Tagen die wichtigste strategische Position des chine-
sischen Reiches und hätten den Norden aushungern können, wenn
sie, wie die Engländer zehn Jahre zuvor, auch Herren des Meeres
gewesen wären.

Nan-kiṅ, Tšiṅ-kiaṅ und die anderen wichtigen Punkte wur-
den in kurzer Zeit stark genug befestigt und verproviantirt, um dem
Feinde sicher zu trotzen. Der kaiserliche General der Provinz nahm
mit seinen Truppen eine beobachtende Stellung südlich von Nan-
kiṅ
ein und liess sein Dschunkengeschwader mehrere Meilen ober-
halb der Stadt ankern, wagte aber nicht anzugreifen. — Die Zahl

Schlaf. Aber sich nur zu tadeln ist ein leerer Brauch. Deshalb bittet er den Himmel
flehentlich und demüthig, seine Fehler zu vergeben und sein armes Volk zu retten.«
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[181/0203] Nan-kiṅ und Tšiṅ-kiaṅ genommen. 19. März sprengten sie ein Stück der nördlichen Stadtmauer und stürmten die Bresche. Die chinesischen Truppen aus Šan-tuṅ und Kwei-tšau hielten nicht Stand. Die Tartaren-Garnison war nomi- nell fünftausend Mann stark; so viele wurden in den Listen geführt und besoldet. Die Familien hatten sich aber während des zwei- hundertjährigen Aufenthaltes stark vermehrt; nach Meadows wären der wehrhaften Männer über siebentausend, und mit Greisen, Frauen und Kindern über zwanzigtausend Tartaren in Nan-kiṅ gewesen. Sie wussten, dass sie von den Tae-piṅ keine Gnade erwarten durf- ten; sie standen zum Schutze des angestammten Herrscherhauses da, dessen Brod ihre Familien seit Jahrhunderten assen; sie hatten Weib und Kind, Haus und Hof, Freiheit und Leben zu ver- lieren und rührten doch keine Hand zum Kampfe. Sie fielen um Gnade flehend vor den eindringenden Rebellen nieder und liessen sich ohne Widerstand hinschlachten. »Wir erschlugen sie alle,« erzählte bald darauf ein Rebellenführer Herrn Meadows, »bis auf den Neugebornen im Arm der Mutter, und liessen nicht eine Wurzel zum Aufspriessen. Ihre Leichen wurden in den Yaṅ-tse geworfen.« Am 1. April fuhr die Flotte der Insurgenten den Strom hinab nach Tšiṅ-kiaṅ-fu. Die kaiserlichen Dschunken ergriffen schmälich die Flucht, und die Stadt fiel ohne Gegenwehr. Die Tartaren waren davongegangen; einige Hundert wurden in den umliegenden Ortschaften niedergemacht. Am 2. April besetzten die Tae-piṅ Kwa-tšau auf dem Nordufer des Stromes und die anderthalb Meilen davon am Kaiser-Canal gelegene reiche Stadt Yaṅ-tšau. Eine Strandbatterie von dreiviertel Meilen Länge fiel mit allen Geschützen in ihre Hände, ohne dass ein Schuss gefeuert wurde. — So eroberten sie in wenig Tagen die wichtigste strategische Position des chine- sischen Reiches und hätten den Norden aushungern können, wenn sie, wie die Engländer zehn Jahre zuvor, auch Herren des Meeres gewesen wären. Nan-kiṅ, Tšiṅ-kiaṅ und die anderen wichtigen Punkte wur- den in kurzer Zeit stark genug befestigt und verproviantirt, um dem Feinde sicher zu trotzen. Der kaiserliche General der Provinz nahm mit seinen Truppen eine beobachtende Stellung südlich von Nan- kiṅ ein und liess sein Dschunkengeschwader mehrere Meilen ober- halb der Stadt ankern, wagte aber nicht anzugreifen. — Die Zahl 80) 80) Schlaf. Aber sich nur zu tadeln ist ein leerer Brauch. Deshalb bittet er den Himmel flehentlich und demüthig, seine Fehler zu vergeben und sein armes Volk zu retten.«

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/203>, abgerufen am 26.04.2024.