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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Zustände in Kan-ton.
und ihre Leichen in den Fluss geworfen, um im Bauch der Fische
begraben zu werden. Und doch behandelt die hohe Obrigkeit die
Sache als wenn sie nicht davon gehört hätte, und sieht die aus-
ländischen Teufel als Götter an, vor welchen nichts dunkel ist; die
Chinesen aber schätzt sie gleich den Bestien und betrachtet Menschen-
leben so verächtlich, wie Härchen auf einer Mütze, Stäubchen die
man wegblasen kann. Sie berichtete weder dem Kaiser darüber,
noch traf sie hier die nöthigen Maassregeln. Das gesammte Volk
klagt und stöhnt, und sein Kummer dringt in das Mark der
Knochen. -- Alle öffentlichen Vereine glühen von Eifer und ein-
müthigem Hass gegen die fremden Teufel, und da kein anderer
Ausweg bleibt, so sind sie zu Bestimmung eines Tages gezwungen,
an welchem sie hervortreten und selbstständig handeln werden. Um
kurz zu sein: der Bürgschaftskaufmann Min-kwa67) soll aufgefor-
dert werden, die am Kampfe betheiligten Haupt- und Nebenpersonen
unter den ausländischen Teufeln zu nennen, auf dass sie mit Feuer
verbrannt werden können; oder es müssen Schritte geschehen, um
sie zu ergreifen, damit kein einziges Chinesen-Leben ungerächt
bleibe; -- denn sonst möchten die fremden Teufel ganz toll und
unbändig werden, und die Würde unseres himmlischen Reiches
wäre schwer verletzt. Sollte Min-kwa, auf Gewinn bedacht, die
ausländischen Teufel schützen und ihre schleunige Nennung ver-
weigern, so wollen wir nicht rasten bis wir sein Fleisch essen und
auf seiner Haut schlafen, was des ganzen Volkes Herz innig freuen
würde."

Diese Stimmung68) musste Einfluss üben auf die Haltung des
Ki-yin, welcher damals den auf Sicherung der Fremden zielenden
Anträgen des englischen Consuls mit ungewohnter Grobheit begeg-
nete. Es handelte sich um bauliche Veränderungen zu Erschwerung

67) Bei seinem Hause entstand die Schlägerei.
68) Auch in Macao documentirte sich die Erbitterung. Ein neuer Gouverneur
von energischer Sinnesart, Senhor Amaral, suchte damals die Colonie zu heben, in-
dem er Ordnung in die Verhältnisse brachte. Er schrieb u. a. eine Steuer auf chi-
nesische Boote aus. Die Schiffer vereinigten sich zu entschlossenem Widerstande,
landeten bei der Stadt mit einer Kanone und nahmen eine drohende Haltung an.
Der Gouverneur fürchtete Gewalt und bat Sir John Davis um Unterstützung, auf
dessen Veranlassung die Dampf-Fregatte Vulture sich vor die Stadt Macao legte.
Die Chinesen wussten nicht, dass die englische Regierung, eingedenk der früheren
Chicanen, jede active Unterstützung verboten hatte, und standen von weiteren Ge-
waltschritten ab. Der Gouverneur aber, der nur einen Arm hatte und sich nicht
wehren konnte, wurde bald nachher auf einem Spazierritt ermordet.
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Zustände in Kan-ton.
und ihre Leichen in den Fluss geworfen, um im Bauch der Fische
begraben zu werden. Und doch behandelt die hohe Obrigkeit die
Sache als wenn sie nicht davon gehört hätte, und sieht die aus-
ländischen Teufel als Götter an, vor welchen nichts dunkel ist; die
Chinesen aber schätzt sie gleich den Bestien und betrachtet Menschen-
leben so verächtlich, wie Härchen auf einer Mütze, Stäubchen die
man wegblasen kann. Sie berichtete weder dem Kaiser darüber,
noch traf sie hier die nöthigen Maassregeln. Das gesammte Volk
klagt und stöhnt, und sein Kummer dringt in das Mark der
Knochen. — Alle öffentlichen Vereine glühen von Eifer und ein-
müthigem Hass gegen die fremden Teufel, und da kein anderer
Ausweg bleibt, so sind sie zu Bestimmung eines Tages gezwungen,
an welchem sie hervortreten und selbstständig handeln werden. Um
kurz zu sein: der Bürgschaftskaufmann Miṅ-kwa67) soll aufgefor-
dert werden, die am Kampfe betheiligten Haupt- und Nebenpersonen
unter den ausländischen Teufeln zu nennen, auf dass sie mit Feuer
verbrannt werden können; oder es müssen Schritte geschehen, um
sie zu ergreifen, damit kein einziges Chinesen-Leben ungerächt
bleibe; — denn sonst möchten die fremden Teufel ganz toll und
unbändig werden, und die Würde unseres himmlischen Reiches
wäre schwer verletzt. Sollte Miṅ-kwa, auf Gewinn bedacht, die
ausländischen Teufel schützen und ihre schleunige Nennung ver-
weigern, so wollen wir nicht rasten bis wir sein Fleisch essen und
auf seiner Haut schlafen, was des ganzen Volkes Herz innig freuen
würde.«

Diese Stimmung68) musste Einfluss üben auf die Haltung des
Ki-yiṅ, welcher damals den auf Sicherung der Fremden zielenden
Anträgen des englischen Consuls mit ungewohnter Grobheit begeg-
nete. Es handelte sich um bauliche Veränderungen zu Erschwerung

67) Bei seinem Hause entstand die Schlägerei.
68) Auch in Macao documentirte sich die Erbitterung. Ein neuer Gouverneur
von energischer Sinnesart, Senhor Amaral, suchte damals die Colonie zu heben, in-
dem er Ordnung in die Verhältnisse brachte. Er schrieb u. a. eine Steuer auf chi-
nesische Boote aus. Die Schiffer vereinigten sich zu entschlossenem Widerstande,
landeten bei der Stadt mit einer Kanone und nahmen eine drohende Haltung an.
Der Gouverneur fürchtete Gewalt und bat Sir John Davis um Unterstützung, auf
dessen Veranlassung die Dampf-Fregatte Vulture sich vor die Stadt Macao legte.
Die Chinesen wussten nicht, dass die englische Regierung, eingedenk der früheren
Chicanen, jede active Unterstützung verboten hatte, und standen von weiteren Ge-
waltschritten ab. Der Gouverneur aber, der nur einen Arm hatte und sich nicht
wehren konnte, wurde bald nachher auf einem Spazierritt ermordet.
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[147/0169] Zustände in Kan-ton. und ihre Leichen in den Fluss geworfen, um im Bauch der Fische begraben zu werden. Und doch behandelt die hohe Obrigkeit die Sache als wenn sie nicht davon gehört hätte, und sieht die aus- ländischen Teufel als Götter an, vor welchen nichts dunkel ist; die Chinesen aber schätzt sie gleich den Bestien und betrachtet Menschen- leben so verächtlich, wie Härchen auf einer Mütze, Stäubchen die man wegblasen kann. Sie berichtete weder dem Kaiser darüber, noch traf sie hier die nöthigen Maassregeln. Das gesammte Volk klagt und stöhnt, und sein Kummer dringt in das Mark der Knochen. — Alle öffentlichen Vereine glühen von Eifer und ein- müthigem Hass gegen die fremden Teufel, und da kein anderer Ausweg bleibt, so sind sie zu Bestimmung eines Tages gezwungen, an welchem sie hervortreten und selbstständig handeln werden. Um kurz zu sein: der Bürgschaftskaufmann Miṅ-kwa 67) soll aufgefor- dert werden, die am Kampfe betheiligten Haupt- und Nebenpersonen unter den ausländischen Teufeln zu nennen, auf dass sie mit Feuer verbrannt werden können; oder es müssen Schritte geschehen, um sie zu ergreifen, damit kein einziges Chinesen-Leben ungerächt bleibe; — denn sonst möchten die fremden Teufel ganz toll und unbändig werden, und die Würde unseres himmlischen Reiches wäre schwer verletzt. Sollte Miṅ-kwa, auf Gewinn bedacht, die ausländischen Teufel schützen und ihre schleunige Nennung ver- weigern, so wollen wir nicht rasten bis wir sein Fleisch essen und auf seiner Haut schlafen, was des ganzen Volkes Herz innig freuen würde.« Diese Stimmung 68) musste Einfluss üben auf die Haltung des Ki-yiṅ, welcher damals den auf Sicherung der Fremden zielenden Anträgen des englischen Consuls mit ungewohnter Grobheit begeg- nete. Es handelte sich um bauliche Veränderungen zu Erschwerung 67) Bei seinem Hause entstand die Schlägerei. 68) Auch in Macao documentirte sich die Erbitterung. Ein neuer Gouverneur von energischer Sinnesart, Senhor Amaral, suchte damals die Colonie zu heben, in- dem er Ordnung in die Verhältnisse brachte. Er schrieb u. a. eine Steuer auf chi- nesische Boote aus. Die Schiffer vereinigten sich zu entschlossenem Widerstande, landeten bei der Stadt mit einer Kanone und nahmen eine drohende Haltung an. Der Gouverneur fürchtete Gewalt und bat Sir John Davis um Unterstützung, auf dessen Veranlassung die Dampf-Fregatte Vulture sich vor die Stadt Macao legte. Die Chinesen wussten nicht, dass die englische Regierung, eingedenk der früheren Chicanen, jede active Unterstützung verboten hatte, und standen von weiteren Ge- waltschritten ab. Der Gouverneur aber, der nur einen Arm hatte und sich nicht wehren konnte, wurde bald nachher auf einem Spazierritt ermordet. 10*

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/169>, abgerufen am 26.04.2024.