Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bengel, Johann Albrecht: Abriß der so genannten Brüdergemeine. Bd. 1. Stuttgart, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite
Von der H. Schrift.
§ 36.

Und so hat der Gemeingeist sich über die
Schrift hinaufgeschwungen. Aus der Tra-
dition
erkennet er den Leidens-Puncten: der
Leidens-Punct rüstet das Herz mit aller nö-
thigen Wahrheit aus: und so fern die Schrift
mit dem Herzen übereinstimmet, so fern lässt
man sie, ihrer Fehler ungeachtet, gelten und
freuet sich darüber. Diese Analysis steht in
den Wunden-Litaney-Reden s. 183. Daher
ward die gegenwärtige Zeit wegen der häuffi-
gen Leidens-Sprache für einen über die Apo-
stel hinaufsteigenden Periodum angegeben:
und damit stimmet das leidige Werk selbs über-
ein. Denn so viel man aller Orten in Erfah-
rung bringen kan, werden die Reden und
Lieder bey der Gemeine und von ihren Pilgern
hundertmal strenger gelesen und im Munde
geführet, als die Bibel, das Büdingische
N. T. selbs mit eingeschlossen. Die Versel
sind auch auf Reisen und in Lebensgefahr üb-
licher, als die biblische Kernsprüche. Die
Bibel redet man den Leuten aus, in und aus-
ser der Gemeine. Wird der HERR, dessen
Buch die heilige Schrift ist, nicht dadurch zum
Eifer gereizet? Verderbet die Gemeine hiemit
nicht sich selbs, daß ihre Unlauterkeit, welche
durch die Schrift zu heben wäre, unheilbar
wird? Wann jemand irgendwo zwey Bücher
in die Hand bekommt, und in dem einen viel fleissi-
ger lieset, als in dem andern, so sieht man bald,

welches
(Abriß der Bruderg.) C
Von der H. Schrift.
§ 36.

Und ſo hat der Gemeingeiſt ſich uͤber die
Schrift hinaufgeſchwungen. Aus der Tra-
dition
erkennet er den Leidens-Puncten: der
Leidens-Punct ruͤſtet das Herz mit aller noͤ-
thigen Wahrheit aus: und ſo fern die Schrift
mit dem Herzen uͤbereinſtimmet, ſo fern laͤſſt
man ſie, ihrer Fehler ungeachtet, gelten und
freuet ſich daruͤber. Dieſe Analyſis ſteht in
den Wunden-Litaney-Reden ſ. 183. Daher
ward die gegenwaͤrtige Zeit wegen der haͤuffi-
gen Leidens-Sprache fuͤr einen uͤber die Apo-
ſtel hinaufſteigenden Periodum angegeben:
und damit ſtimmet das leidige Werk ſelbs uͤber-
ein. Denn ſo viel man aller Orten in Erfah-
rung bringen kan, werden die Reden und
Lieder bey der Gemeine und von ihren Pilgern
hundertmal ſtrenger geleſen und im Munde
gefuͤhret, als die Bibel, das Buͤdingiſche
N. T. ſelbs mit eingeſchloſſen. Die Verſel
ſind auch auf Reiſen und in Lebensgefahr uͤb-
licher, als die bibliſche Kernſpruͤche. Die
Bibel redet man den Leuten aus, in und auſ-
ſer der Gemeine. Wird der HERR, deſſen
Buch die heilige Schrift iſt, nicht dadurch zum
Eifer gereizet? Verderbet die Gemeine hiemit
nicht ſich ſelbs, daß ihre Unlauterkeit, welche
durch die Schrift zu heben waͤre, unheilbar
wird? Wann jemand irgendwo zwey Buͤcher
in die Hand bekom̃t, und in dem einen viel fleiſſi-
ger lieſet, als in dem andern, ſo ſieht man bald,

welches
(Abriß der Bruderg.) C
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0053" n="33"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#fr">Von der H. Schrift.</hi> </fw><lb/>
              <div n="5">
                <head>§ 36.</head><lb/>
                <p>Und &#x017F;o hat der Gemeingei&#x017F;t &#x017F;ich <hi rendition="#fr">u&#x0364;ber</hi> die<lb/>
Schrift hinaufge&#x017F;chwungen. Aus der <hi rendition="#fr">Tra-<lb/>
dition</hi> erkennet er den Leidens-Puncten: der<lb/><hi rendition="#fr">Leidens-Punct</hi> ru&#x0364;&#x017F;tet das Herz mit aller no&#x0364;-<lb/>
thigen Wahrheit aus: und &#x017F;o fern die <hi rendition="#fr">Schrift</hi><lb/>
mit dem Herzen u&#x0364;berein&#x017F;timmet, &#x017F;o fern la&#x0364;&#x017F;&#x017F;t<lb/>
man &#x017F;ie, ihrer Fehler ungeachtet, gelten und<lb/>
freuet &#x017F;ich daru&#x0364;ber. Die&#x017F;e <hi rendition="#aq">Analy&#x017F;is</hi> &#x017F;teht in<lb/>
den Wunden-Litaney-Reden &#x017F;. 183. Daher<lb/>
ward die gegenwa&#x0364;rtige Zeit wegen der ha&#x0364;uffi-<lb/>
gen Leidens-Sprache fu&#x0364;r einen u&#x0364;ber die Apo-<lb/>
&#x017F;tel hinauf&#x017F;teigenden Periodum angegeben:<lb/>
und damit &#x017F;timmet das leidige Werk &#x017F;elbs u&#x0364;ber-<lb/>
ein. Denn &#x017F;o viel man aller Orten in Erfah-<lb/>
rung bringen kan, werden die Reden und<lb/>
Lieder bey der Gemeine und von ihren Pilgern<lb/>
hundertmal &#x017F;trenger gele&#x017F;en und im Munde<lb/>
gefu&#x0364;hret, als die Bibel, das Bu&#x0364;dingi&#x017F;che<lb/>
N. T. &#x017F;elbs mit einge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en. Die Ver&#x017F;el<lb/>
&#x017F;ind auch auf Rei&#x017F;en und in Lebensgefahr u&#x0364;b-<lb/>
licher, als die bibli&#x017F;che Kern&#x017F;pru&#x0364;che. Die<lb/>
Bibel redet man den Leuten aus, in und au&#x017F;-<lb/>
&#x017F;er der Gemeine. Wird der HERR, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Buch die heilige Schrift i&#x017F;t, nicht dadurch zum<lb/>
Eifer gereizet? Verderbet die Gemeine hiemit<lb/>
nicht &#x017F;ich &#x017F;elbs, daß ihre Unlauterkeit, welche<lb/>
durch die Schrift zu heben wa&#x0364;re, unheilbar<lb/>
wird? Wann jemand irgendwo zwey Bu&#x0364;cher<lb/>
in die Hand bekom&#x0303;t, und in dem einen viel flei&#x017F;&#x017F;i-<lb/>
ger lie&#x017F;et, als in dem andern, &#x017F;o &#x017F;ieht man bald,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">(<hi rendition="#fr">Abriß der Bruderg.</hi>) C</fw><fw place="bottom" type="catch">welches</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[33/0053] Von der H. Schrift. § 36. Und ſo hat der Gemeingeiſt ſich uͤber die Schrift hinaufgeſchwungen. Aus der Tra- dition erkennet er den Leidens-Puncten: der Leidens-Punct ruͤſtet das Herz mit aller noͤ- thigen Wahrheit aus: und ſo fern die Schrift mit dem Herzen uͤbereinſtimmet, ſo fern laͤſſt man ſie, ihrer Fehler ungeachtet, gelten und freuet ſich daruͤber. Dieſe Analyſis ſteht in den Wunden-Litaney-Reden ſ. 183. Daher ward die gegenwaͤrtige Zeit wegen der haͤuffi- gen Leidens-Sprache fuͤr einen uͤber die Apo- ſtel hinaufſteigenden Periodum angegeben: und damit ſtimmet das leidige Werk ſelbs uͤber- ein. Denn ſo viel man aller Orten in Erfah- rung bringen kan, werden die Reden und Lieder bey der Gemeine und von ihren Pilgern hundertmal ſtrenger geleſen und im Munde gefuͤhret, als die Bibel, das Buͤdingiſche N. T. ſelbs mit eingeſchloſſen. Die Verſel ſind auch auf Reiſen und in Lebensgefahr uͤb- licher, als die bibliſche Kernſpruͤche. Die Bibel redet man den Leuten aus, in und auſ- ſer der Gemeine. Wird der HERR, deſſen Buch die heilige Schrift iſt, nicht dadurch zum Eifer gereizet? Verderbet die Gemeine hiemit nicht ſich ſelbs, daß ihre Unlauterkeit, welche durch die Schrift zu heben waͤre, unheilbar wird? Wann jemand irgendwo zwey Buͤcher in die Hand bekom̃t, und in dem einen viel fleiſſi- ger lieſet, als in dem andern, ſo ſieht man bald, welches (Abriß der Bruderg.) C

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bengel_abriss01_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bengel_abriss01_1751/53
Zitationshilfe: Bengel, Johann Albrecht: Abriß der so genannten Brüdergemeine. Bd. 1. Stuttgart, 1751, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bengel_abriss01_1751/53>, abgerufen am 20.11.2024.