Bengel, Johann Albrecht: Abriß der so genannten Brüdergemeine. Bd. 1. Stuttgart, 1751.Vorrede. hangen bleiben, und eine Ursache davon neh-men will, seine Ohren zu verstopfen, sondern meinen ganzen Vortrag vernehmen und erwe- gen kan, der wird, wann er einen gesunden Gustum hat, vermerken, daß nichts aus Bit- terkeit, sondern alles aus der Liebe herrühre. Wann ich den Nutzen, den ich durch diese Vor- stellung suche, mit einem einigen sanften Wört- lein hätte zu erhalten gewusst, so wolte ich nicht so viel lebhafte Worte anwenden. Ich weiß alle Stunden nicht, wann der Jenige, der mich gemacht hat, mich zu sich hinnimt: und begehre deswegen durchaus kein Wort anders zu setzen, als es Ihm gefällig ist, und mir das Gewissen nicht nur unversehrt lassen, sondern auch freudig machen kan. § 9. Weltkinder sollen sich an diesem Handel we- und
Vorrede. hangen bleiben, und eine Urſache davon neh-men will, ſeine Ohren zu verſtopfen, ſondern meinen ganzen Vortrag vernehmen und erwe- gen kan, der wird, wann er einen geſunden Guſtum hat, vermerken, daß nichts aus Bit- terkeit, ſondern alles aus der Liebe herruͤhre. Wann ich den Nutzen, den ich durch dieſe Vor- ſtellung ſuche, mit einem einigen ſanften Woͤrt- lein haͤtte zu erhalten gewuſſt, ſo wolte ich nicht ſo viel lebhafte Worte anwenden. Ich weiß alle Stunden nicht, wann der Jenige, der mich gemacht hat, mich zu ſich hinnimt: und begehre deswegen durchaus kein Wort anders zu ſetzen, als es Ihm gefaͤllig iſt, und mir das Gewiſſen nicht nur unverſehrt laſſen, ſondern auch freudig machen kan. § 9. Weltkinder ſollen ſich an dieſem Handel we- und
<TEI> <text> <front> <div n="2"> <p><pb facs="#f0019"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr">Vorrede.</hi></fw><lb/> hangen bleiben, und eine Urſache davon neh-<lb/> men will, ſeine Ohren zu verſtopfen, ſondern<lb/> meinen ganzen Vortrag vernehmen und erwe-<lb/> gen kan, der wird, wann er einen geſunden<lb/><hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">Guſtum</hi></hi> hat, vermerken, daß nichts aus Bit-<lb/> terkeit, ſondern alles aus der Liebe herruͤhre.<lb/> Wann ich den Nutzen, den ich durch dieſe Vor-<lb/> ſtellung ſuche, mit einem einigen ſanften Woͤrt-<lb/> lein haͤtte zu erhalten gewuſſt, ſo wolte ich nicht<lb/> ſo viel lebhafte Worte anwenden. Ich weiß<lb/> alle Stunden nicht, wann der Jenige, der<lb/> mich gemacht hat, mich zu ſich hinnimt: und<lb/> begehre deswegen durchaus kein Wort anders<lb/> zu ſetzen, als es Ihm gefaͤllig iſt, und mir das<lb/> Gewiſſen nicht nur unverſehrt laſſen, ſondern<lb/> auch freudig machen kan.</p> </div><lb/> <div n="2"> <head>§ 9.</head><lb/> <p>Weltkinder ſollen ſich an dieſem Handel we-<lb/> der kuͤzeln noch ſonſt aͤrgern: ihnen moͤgen noch<lb/> ſchwerere Verſuchungen bevorſtehen. <hi rendition="#fr">So der<lb/> Gerechte</hi> (dergleichen ohne Zweifel unter den<lb/> Herrnhutern ſind) <hi rendition="#fr">kaum erhalten wird, wo<lb/> will der Gottloſe und Suͤnder erſcheinen?</hi><lb/> Ein <hi rendition="#fr">erneurter Sinn</hi> gehoͤrt dazu, wann man<lb/> von ſolchen Dingen urtheilen ſoll. Nur der<lb/><hi rendition="#fr">geiſtliche</hi> Menſch kan geiſtliche Dinge entſchei-<lb/> den. Wer mit ſeiner verwegenen Vernunft<lb/> darein faͤhret, der ſteht in Gefahr, boͤſes gut,<lb/> und gutes boͤs zu heiſſen. Ein jeder ſoll zuerſt<lb/> ſein ſelbſt Werk pruͤfen, und keinen Ruhm an<lb/> fremden Fehlern ſuchen. Sonderlich hat ein<lb/> jeder ſich allen Fleiſſes zu huͤten, daß er nicht das<lb/> jenige, was zum wahren Chriſtenthum gehoͤrt,<lb/> <fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p> </div> </front> </text> </TEI> [0019]
Vorrede.
hangen bleiben, und eine Urſache davon neh-
men will, ſeine Ohren zu verſtopfen, ſondern
meinen ganzen Vortrag vernehmen und erwe-
gen kan, der wird, wann er einen geſunden
Guſtum hat, vermerken, daß nichts aus Bit-
terkeit, ſondern alles aus der Liebe herruͤhre.
Wann ich den Nutzen, den ich durch dieſe Vor-
ſtellung ſuche, mit einem einigen ſanften Woͤrt-
lein haͤtte zu erhalten gewuſſt, ſo wolte ich nicht
ſo viel lebhafte Worte anwenden. Ich weiß
alle Stunden nicht, wann der Jenige, der
mich gemacht hat, mich zu ſich hinnimt: und
begehre deswegen durchaus kein Wort anders
zu ſetzen, als es Ihm gefaͤllig iſt, und mir das
Gewiſſen nicht nur unverſehrt laſſen, ſondern
auch freudig machen kan.
§ 9.
Weltkinder ſollen ſich an dieſem Handel we-
der kuͤzeln noch ſonſt aͤrgern: ihnen moͤgen noch
ſchwerere Verſuchungen bevorſtehen. So der
Gerechte (dergleichen ohne Zweifel unter den
Herrnhutern ſind) kaum erhalten wird, wo
will der Gottloſe und Suͤnder erſcheinen?
Ein erneurter Sinn gehoͤrt dazu, wann man
von ſolchen Dingen urtheilen ſoll. Nur der
geiſtliche Menſch kan geiſtliche Dinge entſchei-
den. Wer mit ſeiner verwegenen Vernunft
darein faͤhret, der ſteht in Gefahr, boͤſes gut,
und gutes boͤs zu heiſſen. Ein jeder ſoll zuerſt
ſein ſelbſt Werk pruͤfen, und keinen Ruhm an
fremden Fehlern ſuchen. Sonderlich hat ein
jeder ſich allen Fleiſſes zu huͤten, daß er nicht das
jenige, was zum wahren Chriſtenthum gehoͤrt,
und
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |