DIE EISEN-INDUSTRIE UM DIE MITTE DES ACHTZEHNTEN JAHRHUNDERTS
(1740--1770).
Die Erfindung des Gussstahls.
Vor der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde in England eine Er- findung gemacht, welche von der allergrössten Wichtigkeit nicht nur für England, sondern für die gesamte Eisenindustrie werden sollte. Es war dies die Erfindung des Tiegelgussstahls durch Benjamin Huntsman.
Wenn Goethes Wort, dass eine Erfindung der Abschluss von etwas Gesuchtem sei, in den meisten Fällen, wie wir im Verlauf unserer Geschichte nachweisen konnten, seine Berechtigung hat, so giebt es doch auch Fälle, in denen eine Erfindung unvorbereitet in die Erscheinung tritt, und das war gerade bei der Stahlfabrikation der Fall: die beiden wichtigsten Erfindungen, welche die Grundlage der Flussstahlfabrikation geworden sind, die Erfindung des Tiegel- stahls durch Huntsman und die des Bessemerstahls sind wie plötz- liche Erleuchtungen in die Welt gekommen.
Die Erfindung des Gussstahls erscheint nachträglich als eine sehr einfache Sache, ein wahres Ei des Kolumbus. Aber die Idee, Stahl durch Schmelzung zu reinigen, musste erst einmal in irgend einem Kopf auftauchen, und dann musste sie mit der Vorsicht und Umsicht ausgeführt und praktisch verwertbar gemacht werden, wie es durch Huntsman geschehen ist. Es ist charakteristisch, dass dieses ein- fache metallurgische Verfahren nicht von einem Mann vom Fach, sondern von einem Uhrmacher gemacht wurde. Ein Fachmann jener Zeit, in seiner zünftigen Beschränktheit, würde die Idee Huntsmans wahrscheinlich von vornherein verworfen haben, da für ihn Stahl ein unschmelzbarer Stoff und jedes geschmolzene Eisen Gusseisen war.
DIE EISEN-INDUSTRIE UM DIE MITTE DES ACHTZEHNTEN JAHRHUNDERTS
(1740—1770).
Die Erfindung des Guſsstahls.
Vor der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde in England eine Er- findung gemacht, welche von der allergröſsten Wichtigkeit nicht nur für England, sondern für die gesamte Eisenindustrie werden sollte. Es war dies die Erfindung des Tiegelguſsstahls durch Benjamin Huntsman.
Wenn Goethes Wort, daſs eine Erfindung der Abschluſs von etwas Gesuchtem sei, in den meisten Fällen, wie wir im Verlauf unserer Geschichte nachweisen konnten, seine Berechtigung hat, so giebt es doch auch Fälle, in denen eine Erfindung unvorbereitet in die Erscheinung tritt, und das war gerade bei der Stahlfabrikation der Fall: die beiden wichtigsten Erfindungen, welche die Grundlage der Fluſsstahlfabrikation geworden sind, die Erfindung des Tiegel- stahls durch Huntsman und die des Bessemerstahls sind wie plötz- liche Erleuchtungen in die Welt gekommen.
Die Erfindung des Guſsstahls erscheint nachträglich als eine sehr einfache Sache, ein wahres Ei des Kolumbus. Aber die Idee, Stahl durch Schmelzung zu reinigen, muſste erst einmal in irgend einem Kopf auftauchen, und dann muſste sie mit der Vorsicht und Umsicht ausgeführt und praktisch verwertbar gemacht werden, wie es durch Huntsman geschehen ist. Es ist charakteristisch, daſs dieses ein- fache metallurgische Verfahren nicht von einem Mann vom Fach, sondern von einem Uhrmacher gemacht wurde. Ein Fachmann jener Zeit, in seiner zünftigen Beschränktheit, würde die Idee Huntsmans wahrscheinlich von vornherein verworfen haben, da für ihn Stahl ein unschmelzbarer Stoff und jedes geschmolzene Eisen Guſseisen war.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0285"n="[271]"/><divn="3"><head><hirendition="#g"><hirendition="#b">DIE EISEN-INDUSTRIE</hi><lb/>
UM DIE<lb/><hirendition="#b">MITTE DES ACHTZEHNTEN JAHRHUNDERTS</hi></hi></head><lb/><p><hirendition="#c">(1740—1770).</hi></p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="4"><head><hirendition="#b">Die Erfindung des Guſsstahls.</hi></head><lb/><p>Vor der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde in England eine Er-<lb/>
findung gemacht, welche von der allergröſsten Wichtigkeit nicht nur<lb/>
für England, sondern für die gesamte Eisenindustrie werden sollte.<lb/>
Es war dies die Erfindung des <hirendition="#g">Tiegelguſsstahls</hi> durch <hirendition="#g">Benjamin<lb/>
Huntsman</hi>.</p><lb/><p>Wenn Goethes Wort, daſs eine Erfindung der Abschluſs von<lb/>
etwas Gesuchtem sei, in den meisten Fällen, wie wir im Verlauf<lb/>
unserer Geschichte nachweisen konnten, seine Berechtigung hat, so<lb/>
giebt es doch auch Fälle, in denen eine Erfindung unvorbereitet in<lb/>
die Erscheinung tritt, und das war gerade bei der Stahlfabrikation<lb/>
der Fall: die beiden wichtigsten Erfindungen, welche die Grundlage<lb/>
der Fluſsstahlfabrikation geworden sind, die Erfindung des Tiegel-<lb/>
stahls durch <hirendition="#g">Huntsman</hi> und die des Bessemerstahls sind wie plötz-<lb/>
liche Erleuchtungen in die Welt gekommen.</p><lb/><p>Die Erfindung des Guſsstahls erscheint nachträglich als eine sehr<lb/>
einfache Sache, ein wahres Ei des Kolumbus. Aber die Idee, Stahl<lb/>
durch Schmelzung zu reinigen, muſste erst einmal in irgend einem<lb/>
Kopf auftauchen, und dann muſste sie mit der Vorsicht und Umsicht<lb/>
ausgeführt und praktisch verwertbar gemacht werden, wie es durch<lb/><hirendition="#g">Huntsman</hi> geschehen ist. Es ist charakteristisch, daſs dieses ein-<lb/>
fache metallurgische Verfahren nicht von einem Mann vom Fach,<lb/>
sondern von einem Uhrmacher gemacht wurde. Ein Fachmann jener<lb/>
Zeit, in seiner zünftigen Beschränktheit, würde die Idee <hirendition="#g">Huntsmans</hi><lb/>
wahrscheinlich von vornherein verworfen haben, da für ihn Stahl ein<lb/>
unschmelzbarer Stoff und jedes geschmolzene Eisen Guſseisen war.</p><lb/></div></div></div></div></body></text></TEI>
[[271]/0285]
DIE EISEN-INDUSTRIE
UM DIE
MITTE DES ACHTZEHNTEN JAHRHUNDERTS
(1740—1770).
Die Erfindung des Guſsstahls.
Vor der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde in England eine Er-
findung gemacht, welche von der allergröſsten Wichtigkeit nicht nur
für England, sondern für die gesamte Eisenindustrie werden sollte.
Es war dies die Erfindung des Tiegelguſsstahls durch Benjamin
Huntsman.
Wenn Goethes Wort, daſs eine Erfindung der Abschluſs von
etwas Gesuchtem sei, in den meisten Fällen, wie wir im Verlauf
unserer Geschichte nachweisen konnten, seine Berechtigung hat, so
giebt es doch auch Fälle, in denen eine Erfindung unvorbereitet in
die Erscheinung tritt, und das war gerade bei der Stahlfabrikation
der Fall: die beiden wichtigsten Erfindungen, welche die Grundlage
der Fluſsstahlfabrikation geworden sind, die Erfindung des Tiegel-
stahls durch Huntsman und die des Bessemerstahls sind wie plötz-
liche Erleuchtungen in die Welt gekommen.
Die Erfindung des Guſsstahls erscheint nachträglich als eine sehr
einfache Sache, ein wahres Ei des Kolumbus. Aber die Idee, Stahl
durch Schmelzung zu reinigen, muſste erst einmal in irgend einem
Kopf auftauchen, und dann muſste sie mit der Vorsicht und Umsicht
ausgeführt und praktisch verwertbar gemacht werden, wie es durch
Huntsman geschehen ist. Es ist charakteristisch, daſs dieses ein-
fache metallurgische Verfahren nicht von einem Mann vom Fach,
sondern von einem Uhrmacher gemacht wurde. Ein Fachmann jener
Zeit, in seiner zünftigen Beschränktheit, würde die Idee Huntsmans
wahrscheinlich von vornherein verworfen haben, da für ihn Stahl ein
unschmelzbarer Stoff und jedes geschmolzene Eisen Guſseisen war.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 3: Das XVIII. Jahrhundert. Braunschweig, 1897, S. [271]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen03_1897/285>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.