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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895.

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Georg Agricola.
ziehen das Eisen stark an, andere schwach; jener heisst weiblicher
Magnet." -- "Der ganz gute Magnet begnügt sich nicht damit, das Eisen
an sich zu ziehen und festzuhalten; er teilt sogar diese Kraft dem
Eisen mit, so dass dieses nunmehr selbst anderes Eisen an sich zu
ziehen und festzuhalten vermag. Wenn man mehrere eiserne Ringe
auf einem Tisch herumstreut und hält einen magnetischen Ring dar-
über, so zieht dieser dieselben an, so dass sie an ihm herabhängen.
Ein Magnet, den man einem eisernen Ringe nahe bringt, teilt letz-
terem die magnetische Kraft mit, so dass dieser Ring einen zweiten,
der zweite einen dritten und so ferner anzuziehen vermag; in wel-
chem Falle dann die Ringe reihenweise und wie die Glieder einer
Kette aneinander hängen, ohne dass einer in den andern verschlun-
gen ist. Von diesen Ringen hängt jedoch der erste am festesten und
die folgenden immer lockerer, bis sie zuletzt gar nicht mehr halten.
Diese Erscheinung hat von jeher die grösste Bewunderung erweckt.
Das gemeine Volk pflegte zu Plinius' Zeiten das magnetische Eisen
"lebendiges Eisen" (ferrum vivum) zu nennen. Empedokles, ein
Philosoph aus Agrigent, soll dem Magnet eine Seele beigelegt haben. --
Die Theologen halten die Ursache dieser Kräfte des Magnetes für
übernatürlich, die Ärzte für natürlich, obgleich unerklärbar."

Nun folgt eine Aufzählung scheinbarer Wunder, die mit dem
Magnet auszuführen sind, so z. B. die eiserne Kugel, die von einem
Spiegel, durch einen verborgenen Magnet, angezogen wird, dann die
schwebende Figur im Serapistempel zu Alexandria und endlich der
bekannte Versuch des Baumeisters Dinokrates (der aber nicht
gelang), ein magnetisches Gewölbe in einem Tempel der Arsinoe so
zu konstruieren, dass das Bild der Göttin im Mittelpunkte ganz frei
schweben sollte.

Hieran knüpft Agricola verschiedene anekdotenhafte Berichte
über die Entdeckung des Magneten, wie Bergleute, welche ihr Gezähe
in der Grube zurückgelassen, am andern Tage ihre Schlägel und
Eisen nicht mehr an ihrem Platze, sondern an der Decke hängend
gefunden hätten, sowie die bekannten arabischen Märchen von den
Magnetinseln. Von dem ökonomischen Gebrauche des Magneten er-
wähnt er, dass, nach Angabe des Plinius, die Glaser sich ehemals
des Magnetes bedient hätten, weil sie glaubten, dass er die Kiesel-
feuchtigkeit ebenso an sich ziehe, wie das Eisen. Auch die Ärzte
machten Gebrauch davon, wie man beim Galen und Dioskorides
nachlesen könne. Des Kompasses bedienten sich die Schiffer und die
Bergleute. Gebrannt nähme er die Farbe des Hämatites an, wofür man

Georg Agricola.
ziehen das Eisen stark an, andere schwach; jener heiſst weiblicher
Magnet.“ — „Der ganz gute Magnet begnügt sich nicht damit, das Eisen
an sich zu ziehen und festzuhalten; er teilt sogar diese Kraft dem
Eisen mit, so daſs dieses nunmehr selbst anderes Eisen an sich zu
ziehen und festzuhalten vermag. Wenn man mehrere eiserne Ringe
auf einem Tisch herumstreut und hält einen magnetischen Ring dar-
über, so zieht dieser dieselben an, so daſs sie an ihm herabhängen.
Ein Magnet, den man einem eisernen Ringe nahe bringt, teilt letz-
terem die magnetische Kraft mit, so daſs dieser Ring einen zweiten,
der zweite einen dritten und so ferner anzuziehen vermag; in wel-
chem Falle dann die Ringe reihenweise und wie die Glieder einer
Kette aneinander hängen, ohne daſs einer in den andern verschlun-
gen ist. Von diesen Ringen hängt jedoch der erste am festesten und
die folgenden immer lockerer, bis sie zuletzt gar nicht mehr halten.
Diese Erscheinung hat von jeher die gröſste Bewunderung erweckt.
Das gemeine Volk pflegte zu Plinius’ Zeiten das magnetische Eisen
„lebendiges Eisen“ (ferrum vivum) zu nennen. Empedokles, ein
Philosoph aus Agrigent, soll dem Magnet eine Seele beigelegt haben. —
Die Theologen halten die Ursache dieser Kräfte des Magnetes für
übernatürlich, die Ärzte für natürlich, obgleich unerklärbar.“

Nun folgt eine Aufzählung scheinbarer Wunder, die mit dem
Magnet auszuführen sind, so z. B. die eiserne Kugel, die von einem
Spiegel, durch einen verborgenen Magnet, angezogen wird, dann die
schwebende Figur im Serapistempel zu Alexandria und endlich der
bekannte Versuch des Baumeisters Dinokrates (der aber nicht
gelang), ein magnetisches Gewölbe in einem Tempel der Arsinoe so
zu konstruieren, daſs das Bild der Göttin im Mittelpunkte ganz frei
schweben sollte.

Hieran knüpft Agricola verschiedene anekdotenhafte Berichte
über die Entdeckung des Magneten, wie Bergleute, welche ihr Gezähe
in der Grube zurückgelassen, am andern Tage ihre Schlägel und
Eisen nicht mehr an ihrem Platze, sondern an der Decke hängend
gefunden hätten, sowie die bekannten arabischen Märchen von den
Magnetinseln. Von dem ökonomischen Gebrauche des Magneten er-
wähnt er, daſs, nach Angabe des Plinius, die Glaser sich ehemals
des Magnetes bedient hätten, weil sie glaubten, daſs er die Kiesel-
feuchtigkeit ebenso an sich ziehe, wie das Eisen. Auch die Ärzte
machten Gebrauch davon, wie man beim Galen und Dioskorides
nachlesen könne. Des Kompasses bedienten sich die Schiffer und die
Bergleute. Gebrannt nähme er die Farbe des Hämatites an, wofür man

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[38/0058] Georg Agricola. ziehen das Eisen stark an, andere schwach; jener heiſst weiblicher Magnet.“ — „Der ganz gute Magnet begnügt sich nicht damit, das Eisen an sich zu ziehen und festzuhalten; er teilt sogar diese Kraft dem Eisen mit, so daſs dieses nunmehr selbst anderes Eisen an sich zu ziehen und festzuhalten vermag. Wenn man mehrere eiserne Ringe auf einem Tisch herumstreut und hält einen magnetischen Ring dar- über, so zieht dieser dieselben an, so daſs sie an ihm herabhängen. Ein Magnet, den man einem eisernen Ringe nahe bringt, teilt letz- terem die magnetische Kraft mit, so daſs dieser Ring einen zweiten, der zweite einen dritten und so ferner anzuziehen vermag; in wel- chem Falle dann die Ringe reihenweise und wie die Glieder einer Kette aneinander hängen, ohne daſs einer in den andern verschlun- gen ist. Von diesen Ringen hängt jedoch der erste am festesten und die folgenden immer lockerer, bis sie zuletzt gar nicht mehr halten. Diese Erscheinung hat von jeher die gröſste Bewunderung erweckt. Das gemeine Volk pflegte zu Plinius’ Zeiten das magnetische Eisen „lebendiges Eisen“ (ferrum vivum) zu nennen. Empedokles, ein Philosoph aus Agrigent, soll dem Magnet eine Seele beigelegt haben. — Die Theologen halten die Ursache dieser Kräfte des Magnetes für übernatürlich, die Ärzte für natürlich, obgleich unerklärbar.“ Nun folgt eine Aufzählung scheinbarer Wunder, die mit dem Magnet auszuführen sind, so z. B. die eiserne Kugel, die von einem Spiegel, durch einen verborgenen Magnet, angezogen wird, dann die schwebende Figur im Serapistempel zu Alexandria und endlich der bekannte Versuch des Baumeisters Dinokrates (der aber nicht gelang), ein magnetisches Gewölbe in einem Tempel der Arsinoe so zu konstruieren, daſs das Bild der Göttin im Mittelpunkte ganz frei schweben sollte. Hieran knüpft Agricola verschiedene anekdotenhafte Berichte über die Entdeckung des Magneten, wie Bergleute, welche ihr Gezähe in der Grube zurückgelassen, am andern Tage ihre Schlägel und Eisen nicht mehr an ihrem Platze, sondern an der Decke hängend gefunden hätten, sowie die bekannten arabischen Märchen von den Magnetinseln. Von dem ökonomischen Gebrauche des Magneten er- wähnt er, daſs, nach Angabe des Plinius, die Glaser sich ehemals des Magnetes bedient hätten, weil sie glaubten, daſs er die Kiesel- feuchtigkeit ebenso an sich ziehe, wie das Eisen. Auch die Ärzte machten Gebrauch davon, wie man beim Galen und Dioskorides nachlesen könne. Des Kompasses bedienten sich die Schiffer und die Bergleute. Gebrannt nähme er die Farbe des Hämatites an, wofür man

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen02_1895/58>, abgerufen am 27.04.2024.