Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.Gegend die Fabeldichtung in so glänzender Blüthe als in dem Zeitraume, in dem das stille Schloß seine fremden, einsamen Bewohner hatte, das jeder Neugier auf das Strengste verschlossen blieb. Kluge und alberne Leute bemächtigten sich mit gleicher Vorliebe eines so anziehenden Stoffes und schufen daraus die abenteuerlichsten Phantasiegebilde. Noch heute cirkuliren in jener Gegend eine Menge Romanepisoden von dem "Dunkelgrafen" und seiner verschleierten Dame. Der Winter mit seinen Schauern nahte heran, aber er brachte keine Störung in das behagliche Stillleben der Einsiedler im stillen Schlosse. Bücher aller Art und täglich die gelesensten Zeitungen, nebst einem lebhaften Briefwechsel gaben der Lust an Beschäftigung und geistigem Austausch hinreichenden Anhalt. Selbst den Briefwechsel mit dem Pfarrer Vincentius Martinus van der Valck unterhielt Ludwig noch als fortlebender Leonardus, wobei die eigenthümlich humoristische Schreibart jenes frommen Weltgeistlichen ihm großes Vergnügen gewährte. -- Ebenso gaben die noch fortwährend für Leonardus einlaufenden Briefe zärtlicher Verwandten, die bald mit mehr bald mit minderer Offenheit auf sein Geld speculirten, Stoff zu den heitersten Betrachtungen. Graf Ludwig untersagte seiner sämmtlichen Dienerschaft jeden Umgang mit den Bewohnern des Dorfes und der Umgegend. Diese Abgeschlossenheit war es, die alles Zutrauen der Landbewohner zu den Schloßbewohnern fern hielt, und so kam es, daß Aeußerungen wie: der Mann ist ein Narr -- ein Sonderling -- ein Menschenfeind, er ist ein der Strafe entflohener Verbrecher -- an der Tagesordnung waren, so oft man von dem Grafen sprach. Alles was Ludwigs Empfindlichkeit reizte und seine kleinen Eigenheiten hervortreten ließ, wurde, sobald es bekannt war, auf das Lächerlichste und Boshafteste verdreht und entstellt, wurde aufgetischt als Neuigkeit, wurde glossirt als Rechtsfrage, verhandelt als Ereigniß, ohne jedoch dabei nur im Geringsten den vielen vortrefflichen Eigenschaften der beiden Verbundenen die geringste Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Gegend die Fabeldichtung in so glänzender Blüthe als in dem Zeitraume, in dem das stille Schloß seine fremden, einsamen Bewohner hatte, das jeder Neugier auf das Strengste verschlossen blieb. Kluge und alberne Leute bemächtigten sich mit gleicher Vorliebe eines so anziehenden Stoffes und schufen daraus die abenteuerlichsten Phantasiegebilde. Noch heute cirkuliren in jener Gegend eine Menge Romanepisoden von dem „Dunkelgrafen“ und seiner verschleierten Dame. Der Winter mit seinen Schauern nahte heran, aber er brachte keine Störung in das behagliche Stillleben der Einsiedler im stillen Schlosse. Bücher aller Art und täglich die gelesensten Zeitungen, nebst einem lebhaften Briefwechsel gaben der Lust an Beschäftigung und geistigem Austausch hinreichenden Anhalt. Selbst den Briefwechsel mit dem Pfarrer Vincentius Martinus van der Valck unterhielt Ludwig noch als fortlebender Leonardus, wobei die eigenthümlich humoristische Schreibart jenes frommen Weltgeistlichen ihm großes Vergnügen gewährte. — Ebenso gaben die noch fortwährend für Leonardus einlaufenden Briefe zärtlicher Verwandten, die bald mit mehr bald mit minderer Offenheit auf sein Geld speculirten, Stoff zu den heitersten Betrachtungen. Graf Ludwig untersagte seiner sämmtlichen Dienerschaft jeden Umgang mit den Bewohnern des Dorfes und der Umgegend. Diese Abgeschlossenheit war es, die alles Zutrauen der Landbewohner zu den Schloßbewohnern fern hielt, und so kam es, daß Aeußerungen wie: der Mann ist ein Narr — ein Sonderling — ein Menschenfeind, er ist ein der Strafe entflohener Verbrecher — an der Tagesordnung waren, so oft man von dem Grafen sprach. Alles was Ludwigs Empfindlichkeit reizte und seine kleinen Eigenheiten hervortreten ließ, wurde, sobald es bekannt war, auf das Lächerlichste und Boshafteste verdreht und entstellt, wurde aufgetischt als Neuigkeit, wurde glossirt als Rechtsfrage, verhandelt als Ereigniß, ohne jedoch dabei nur im Geringsten den vielen vortrefflichen Eigenschaften der beiden Verbundenen die geringste Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0433" n="429"/> Gegend die Fabeldichtung in so glänzender Blüthe als in dem Zeitraume, in dem das stille Schloß seine fremden, einsamen Bewohner hatte, das jeder Neugier auf das Strengste verschlossen blieb. 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Selbst den Briefwechsel mit dem Pfarrer Vincentius Martinus van der Valck unterhielt Ludwig noch als fortlebender Leonardus, wobei die eigenthümlich humoristische Schreibart jenes frommen Weltgeistlichen ihm großes Vergnügen gewährte. — Ebenso gaben die noch fortwährend für Leonardus einlaufenden Briefe zärtlicher Verwandten, die bald mit mehr bald mit minderer Offenheit auf sein Geld speculirten, Stoff zu den heitersten Betrachtungen. Graf Ludwig untersagte seiner sämmtlichen Dienerschaft jeden Umgang mit den Bewohnern des Dorfes und der Umgegend. Diese Abgeschlossenheit war es, die alles Zutrauen der Landbewohner zu den Schloßbewohnern fern hielt, und so kam es, daß Aeußerungen wie: der Mann ist ein Narr — ein Sonderling — ein Menschenfeind, er ist ein der Strafe entflohener Verbrecher — an der Tagesordnung waren, so oft man von dem Grafen sprach. Alles was Ludwigs Empfindlichkeit reizte und seine kleinen Eigenheiten hervortreten ließ, wurde, sobald es bekannt war, auf das Lächerlichste und Boshafteste verdreht und entstellt, wurde aufgetischt als Neuigkeit, wurde glossirt als Rechtsfrage, verhandelt als Ereigniß, ohne jedoch dabei nur im Geringsten den vielen vortrefflichen Eigenschaften der beiden Verbundenen die geringste Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.</p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="2"> </div> </div> </body> </text> </TEI> [429/0433]
Gegend die Fabeldichtung in so glänzender Blüthe als in dem Zeitraume, in dem das stille Schloß seine fremden, einsamen Bewohner hatte, das jeder Neugier auf das Strengste verschlossen blieb. Kluge und alberne Leute bemächtigten sich mit gleicher Vorliebe eines so anziehenden Stoffes und schufen daraus die abenteuerlichsten Phantasiegebilde. Noch heute cirkuliren in jener Gegend eine Menge Romanepisoden von dem „Dunkelgrafen“ und seiner verschleierten Dame.
Der Winter mit seinen Schauern nahte heran, aber er brachte keine Störung in das behagliche Stillleben der Einsiedler im stillen Schlosse. Bücher aller Art und täglich die gelesensten Zeitungen, nebst einem lebhaften Briefwechsel gaben der Lust an Beschäftigung und geistigem Austausch hinreichenden Anhalt. Selbst den Briefwechsel mit dem Pfarrer Vincentius Martinus van der Valck unterhielt Ludwig noch als fortlebender Leonardus, wobei die eigenthümlich humoristische Schreibart jenes frommen Weltgeistlichen ihm großes Vergnügen gewährte. — Ebenso gaben die noch fortwährend für Leonardus einlaufenden Briefe zärtlicher Verwandten, die bald mit mehr bald mit minderer Offenheit auf sein Geld speculirten, Stoff zu den heitersten Betrachtungen. Graf Ludwig untersagte seiner sämmtlichen Dienerschaft jeden Umgang mit den Bewohnern des Dorfes und der Umgegend. Diese Abgeschlossenheit war es, die alles Zutrauen der Landbewohner zu den Schloßbewohnern fern hielt, und so kam es, daß Aeußerungen wie: der Mann ist ein Narr — ein Sonderling — ein Menschenfeind, er ist ein der Strafe entflohener Verbrecher — an der Tagesordnung waren, so oft man von dem Grafen sprach. Alles was Ludwigs Empfindlichkeit reizte und seine kleinen Eigenheiten hervortreten ließ, wurde, sobald es bekannt war, auf das Lächerlichste und Boshafteste verdreht und entstellt, wurde aufgetischt als Neuigkeit, wurde glossirt als Rechtsfrage, verhandelt als Ereigniß, ohne jedoch dabei nur im Geringsten den vielen vortrefflichen Eigenschaften der beiden Verbundenen die geringste Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
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