Die Gemeinden, von deren Wirthschaft (§. 43.) hier die Rede ist, werden jetzt allmälig, nachdem ihr Wesen und ihre Be- deutsamkeit für das Volks- und Staatswohl lange Zeit mißkannt gewesen, von ihrer richtigen und wichtigen Seite betrachtet. Im Mittelalter waren blos Städte die eigentlichen Gemeinden (Com- munitates), und das Element, aus welchem sie sich selbst, ihre Verfassung und Verwaltung bildeten, waren die Kaufmanns- und die Handwerksgesellschaften oder Gilden1), eine Thatsache, aus welcher sich erklären läßt, warum das städtische Gewerbswesen im Gegensatze des ländlichen der Inbegriff der Handelsgeschäfte und Kunstgewerbe war. Sind diese Gemeinden auf diese Weise daher als freie Vereinigungen zur Erzielung verschiedener gemeinsamer Zwecke zu betrachten, so dürfen die gemeinschaftlichen Niederlas- sungen ähnlicher Art auf dem Lande, um eine Burg (Bürger, Bürgerschaften) u. dgl. ebenfalls nur als solche betrachtet werden. Steigt man aber in jene tiefe Zeit hinab, wo solche Unterschei- dungen noch nicht vorhanden sind, so findet man schon Genossen- schaften, auf Stammgleichheit, Verwandtschaft und anderen Basen beruhende gemeinschaftliche Niederlassungen auf einem be- grenzten Gebiete (einer Mark), welche sich nach eigenen bestimmten Rechten im Innern und gegen Außen Schutz und Sicherheit ge- währten (§. 7. 8.). Aus diesen verschiedenen kleineren staatsähn- lichen Verbindungen ging unstreitig der größere Staatsverband hervor. Die städtischen Gewerbe und mit ihnen die städtische Ver- fassung und Verwaltung entfalteten sich theils unter dem Schutze der Freiheit und Selbstständigkeit, theils unter den Wohlthaten manchfacher Gerechtsame und Privilegien zu einer Blüthe und zu einem Reichthume, woraus ihre politische Bedeutsamkeit hervor- ging, die sie bei Staatsfragen mit den Hauptständen in den ersten Rang stellte (§. 14. 20. 23.). So sehr sie anfänglich und längere Zeit hindurch der Stolz der Staaten und Fürsten waren, ebenso erregten sie später, als in der Wirthschaft der Fürsten und Adeligen der frühere Glanz und Reichthum der Armuth Platz gemacht hatte, die Eifersucht derselben. Diese und das kräftigere nachdrückliche
Zweiter Theil. Gemeindewirthſchaftslehre.
Einleitung.
§. 378.
Die Gemeinden, von deren Wirthſchaft (§. 43.) hier die Rede iſt, werden jetzt allmälig, nachdem ihr Weſen und ihre Be- deutſamkeit für das Volks- und Staatswohl lange Zeit mißkannt geweſen, von ihrer richtigen und wichtigen Seite betrachtet. Im Mittelalter waren blos Städte die eigentlichen Gemeinden (Com- munitates), und das Element, aus welchem ſie ſich ſelbſt, ihre Verfaſſung und Verwaltung bildeten, waren die Kaufmanns- und die Handwerksgeſellſchaften oder Gilden1), eine Thatſache, aus welcher ſich erklären läßt, warum das ſtädtiſche Gewerbsweſen im Gegenſatze des ländlichen der Inbegriff der Handelsgeſchäfte und Kunſtgewerbe war. Sind dieſe Gemeinden auf dieſe Weiſe daher als freie Vereinigungen zur Erzielung verſchiedener gemeinſamer Zwecke zu betrachten, ſo dürfen die gemeinſchaftlichen Niederlaſ- ſungen ähnlicher Art auf dem Lande, um eine Burg (Bürger, Bürgerſchaften) u. dgl. ebenfalls nur als ſolche betrachtet werden. Steigt man aber in jene tiefe Zeit hinab, wo ſolche Unterſchei- dungen noch nicht vorhanden ſind, ſo findet man ſchon Genoſſen- ſchaften, auf Stammgleichheit, Verwandtſchaft und anderen Baſen beruhende gemeinſchaftliche Niederlaſſungen auf einem be- grenzten Gebiete (einer Mark), welche ſich nach eigenen beſtimmten Rechten im Innern und gegen Außen Schutz und Sicherheit ge- währten (§. 7. 8.). Aus dieſen verſchiedenen kleineren ſtaatsähn- lichen Verbindungen ging unſtreitig der größere Staatsverband hervor. Die ſtädtiſchen Gewerbe und mit ihnen die ſtädtiſche Ver- faſſung und Verwaltung entfalteten ſich theils unter dem Schutze der Freiheit und Selbſtſtändigkeit, theils unter den Wohlthaten manchfacher Gerechtſame und Privilegien zu einer Blüthe und zu einem Reichthume, woraus ihre politiſche Bedeutſamkeit hervor- ging, die ſie bei Staatsfragen mit den Hauptſtänden in den erſten Rang ſtellte (§. 14. 20. 23.). So ſehr ſie anfänglich und längere Zeit hindurch der Stolz der Staaten und Fürſten waren, ebenſo erregten ſie ſpäter, als in der Wirthſchaft der Fürſten und Adeligen der frühere Glanz und Reichthum der Armuth Platz gemacht hatte, die Eiferſucht derſelben. Dieſe und das kräftigere nachdrückliche
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0528"n="506"/><divn="2"><head><hirendition="#c"><hirendition="#g">Zweiter Theil</hi>.<lb/><hirendition="#g">Gemeindewirthſchaftslehre</hi>.</hi></head><lb/><divn="3"><head><hirendition="#c"><hirendition="#g">Einleitung</hi>.</hi></head><lb/><divn="4"><head><hirendition="#c">§. 378.</hi></head><lb/><p>Die <hirendition="#g">Gemeinden</hi>, von deren Wirthſchaft (§. 43.) hier die<lb/>
Rede iſt, werden jetzt allmälig, nachdem ihr Weſen und ihre Be-<lb/>
deutſamkeit für das Volks- und Staatswohl lange Zeit mißkannt<lb/>
geweſen, von ihrer richtigen und wichtigen Seite betrachtet. Im<lb/>
Mittelalter waren blos <hirendition="#g">Städte</hi> die eigentlichen Gemeinden <hirendition="#aq">(Com-<lb/>
munitates),</hi> und das Element, aus welchem ſie ſich ſelbſt, ihre<lb/>
Verfaſſung und Verwaltung bildeten, waren die Kaufmanns- und<lb/>
die Handwerksgeſellſchaften oder Gilden<hirendition="#sup">1</hi>), eine Thatſache, aus<lb/>
welcher ſich erklären läßt, warum das ſtädtiſche Gewerbsweſen im<lb/>
Gegenſatze des ländlichen der Inbegriff der Handelsgeſchäfte und<lb/>
Kunſtgewerbe war. Sind dieſe Gemeinden auf dieſe Weiſe daher<lb/>
als freie Vereinigungen zur Erzielung verſchiedener gemeinſamer<lb/>
Zwecke zu betrachten, ſo dürfen die gemeinſchaftlichen Niederlaſ-<lb/>ſungen ähnlicher Art auf dem Lande, um eine Burg (Bürger,<lb/>
Bürgerſchaften) u. dgl. ebenfalls nur als ſolche betrachtet werden.<lb/>
Steigt man aber in jene tiefe Zeit hinab, wo ſolche Unterſchei-<lb/>
dungen noch nicht vorhanden ſind, ſo findet man ſchon <hirendition="#g">Genoſſen</hi>-<lb/><hirendition="#g">ſchaften</hi>, auf Stammgleichheit, Verwandtſchaft und anderen<lb/>
Baſen beruhende gemeinſchaftliche Niederlaſſungen auf einem be-<lb/>
grenzten Gebiete (einer Mark), welche ſich nach eigenen beſtimmten<lb/>
Rechten im Innern und gegen Außen Schutz und Sicherheit ge-<lb/>
währten (§. 7. 8.). Aus dieſen verſchiedenen kleineren ſtaatsähn-<lb/>
lichen Verbindungen ging unſtreitig der größere Staatsverband<lb/>
hervor. Die ſtädtiſchen Gewerbe und mit ihnen die ſtädtiſche Ver-<lb/>
faſſung und Verwaltung entfalteten ſich theils unter dem Schutze<lb/>
der Freiheit und Selbſtſtändigkeit, theils unter den Wohlthaten<lb/>
manchfacher Gerechtſame und Privilegien zu einer Blüthe und zu<lb/>
einem Reichthume, woraus ihre politiſche Bedeutſamkeit hervor-<lb/>
ging, die ſie bei Staatsfragen mit den Hauptſtänden in den erſten<lb/>
Rang ſtellte (§. 14. 20. 23.). So ſehr ſie anfänglich und längere<lb/>
Zeit hindurch der Stolz der Staaten und Fürſten waren, ebenſo<lb/>
erregten ſie ſpäter, als in der Wirthſchaft der Fürſten und Adeligen<lb/>
der frühere Glanz und Reichthum der Armuth Platz gemacht hatte,<lb/>
die Eiferſucht derſelben. Dieſe und das kräftigere nachdrückliche<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[506/0528]
Zweiter Theil.
Gemeindewirthſchaftslehre.
Einleitung.
§. 378.
Die Gemeinden, von deren Wirthſchaft (§. 43.) hier die
Rede iſt, werden jetzt allmälig, nachdem ihr Weſen und ihre Be-
deutſamkeit für das Volks- und Staatswohl lange Zeit mißkannt
geweſen, von ihrer richtigen und wichtigen Seite betrachtet. Im
Mittelalter waren blos Städte die eigentlichen Gemeinden (Com-
munitates), und das Element, aus welchem ſie ſich ſelbſt, ihre
Verfaſſung und Verwaltung bildeten, waren die Kaufmanns- und
die Handwerksgeſellſchaften oder Gilden1), eine Thatſache, aus
welcher ſich erklären läßt, warum das ſtädtiſche Gewerbsweſen im
Gegenſatze des ländlichen der Inbegriff der Handelsgeſchäfte und
Kunſtgewerbe war. Sind dieſe Gemeinden auf dieſe Weiſe daher
als freie Vereinigungen zur Erzielung verſchiedener gemeinſamer
Zwecke zu betrachten, ſo dürfen die gemeinſchaftlichen Niederlaſ-
ſungen ähnlicher Art auf dem Lande, um eine Burg (Bürger,
Bürgerſchaften) u. dgl. ebenfalls nur als ſolche betrachtet werden.
Steigt man aber in jene tiefe Zeit hinab, wo ſolche Unterſchei-
dungen noch nicht vorhanden ſind, ſo findet man ſchon Genoſſen-
ſchaften, auf Stammgleichheit, Verwandtſchaft und anderen
Baſen beruhende gemeinſchaftliche Niederlaſſungen auf einem be-
grenzten Gebiete (einer Mark), welche ſich nach eigenen beſtimmten
Rechten im Innern und gegen Außen Schutz und Sicherheit ge-
währten (§. 7. 8.). Aus dieſen verſchiedenen kleineren ſtaatsähn-
lichen Verbindungen ging unſtreitig der größere Staatsverband
hervor. Die ſtädtiſchen Gewerbe und mit ihnen die ſtädtiſche Ver-
faſſung und Verwaltung entfalteten ſich theils unter dem Schutze
der Freiheit und Selbſtſtändigkeit, theils unter den Wohlthaten
manchfacher Gerechtſame und Privilegien zu einer Blüthe und zu
einem Reichthume, woraus ihre politiſche Bedeutſamkeit hervor-
ging, die ſie bei Staatsfragen mit den Hauptſtänden in den erſten
Rang ſtellte (§. 14. 20. 23.). So ſehr ſie anfänglich und längere
Zeit hindurch der Stolz der Staaten und Fürſten waren, ebenſo
erregten ſie ſpäter, als in der Wirthſchaft der Fürſten und Adeligen
der frühere Glanz und Reichthum der Armuth Platz gemacht hatte,
die Eiferſucht derſelben. Dieſe und das kräftigere nachdrückliche
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Baumstark, Eduard: Kameralistische Encyclopädie. Heidelberg u. a., 1835, S. 506. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumstark_encyclopaedie_1835/528>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.