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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

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nicht Viele und sagten nachher, ich hätte sie durch meine
gefühlvolle Rede zu Thränen gerührt? O, ich will mich
übermenschlich anstrengen, um vor dem vierzehnten Jahre
auftreten zu können, und mit dem vierzehnten nehme ich
die erste Gage ein." Die Mutter umarmte mich, sagte
aber trotz wiederholter Bitten noch nicht ja. Bekannte
und Freunde wurden zu Rath gezogen, es wurde dafür
und dagegen gesprochen. Die Mutter schrieb nach Kassel
an den Bruder des seligen Vaters, den General Bauer,
allein dieser rieth zu meiner Verzweiflung ab. Das Haupt
der Familie in Koburg sollte entscheiden, der Neffe der
Mutter, der nachher so berühmt gewordene Baron Stock¬
mar. Wir reisten nach Koburg, die Verwandten lernten
mich kennen, und -- -- der kluge, prächtige Vetter sagte
in seiner humoristischen, herzigen Weise zur Mutter:
"Tante Christiane! -- Bis jetzt ist unsere Familie mit
Talenten nicht gesegnet gewesen, es soll mich freuen,
eine Künstlerin Cousine nennen zu können; aber das
bitte ich mir aus, Lina, daß Du eine wahre, edle,
tüchtige Künstlerin wirst."

Ich hatte also gesiegt! -- und mit Riesenschritten
ging es dem ersten Versuch entgegen.

Mein Lehrer der Aesthetik war der berühmte Aloys
Schreiber (Herausgeber der rheinischen Taschenbücher),
ein herzlicher Freund des lieben alemannischen Hebel. Oft
wurde mir das Glück, diese herrlichen Männer sprechen
zu hören. Hebel kam gern in's gastliche Haus des Pro¬
fessors und fühlte sich behaglich in dem trauten Familien¬

nicht Viele und ſagten nachher, ich hätte ſie durch meine
gefühlvolle Rede zu Thränen gerührt? O, ich will mich
übermenſchlich anſtrengen, um vor dem vierzehnten Jahre
auftreten zu können, und mit dem vierzehnten nehme ich
die erſte Gage ein.« Die Mutter umarmte mich, ſagte
aber trotz wiederholter Bitten noch nicht ja. Bekannte
und Freunde wurden zu Rath gezogen, es wurde dafür
und dagegen geſprochen. Die Mutter ſchrieb nach Kaſſel
an den Bruder des ſeligen Vaters, den General Bauer,
allein dieſer rieth zu meiner Verzweiflung ab. Das Haupt
der Familie in Koburg ſollte entſcheiden, der Neffe der
Mutter, der nachher ſo berühmt gewordene Baron Stock¬
mar. Wir reiſten nach Koburg, die Verwandten lernten
mich kennen, und — — der kluge, prächtige Vetter ſagte
in ſeiner humoriſtiſchen, herzigen Weiſe zur Mutter:
»Tante Chriſtiane! — Bis jetzt iſt unſere Familie mit
Talenten nicht geſegnet geweſen, es ſoll mich freuen,
eine Künſtlerin Couſine nennen zu können; aber das
bitte ich mir aus, Lina, daß Du eine wahre, edle,
tüchtige Künſtlerin wirſt.«

Ich hatte alſo geſiegt! — und mit Rieſenſchritten
ging es dem erſten Verſuch entgegen.

Mein Lehrer der Aeſthetik war der berühmte Aloys
Schreiber (Herausgeber der rheiniſchen Taſchenbücher),
ein herzlicher Freund des lieben alemanniſchen Hebel. Oft
wurde mir das Glück, dieſe herrlichen Männer ſprechen
zu hören. Hebel kam gern in's gaſtliche Haus des Pro¬
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[7/0035] nicht Viele und ſagten nachher, ich hätte ſie durch meine gefühlvolle Rede zu Thränen gerührt? O, ich will mich übermenſchlich anſtrengen, um vor dem vierzehnten Jahre auftreten zu können, und mit dem vierzehnten nehme ich die erſte Gage ein.« Die Mutter umarmte mich, ſagte aber trotz wiederholter Bitten noch nicht ja. Bekannte und Freunde wurden zu Rath gezogen, es wurde dafür und dagegen geſprochen. Die Mutter ſchrieb nach Kaſſel an den Bruder des ſeligen Vaters, den General Bauer, allein dieſer rieth zu meiner Verzweiflung ab. Das Haupt der Familie in Koburg ſollte entſcheiden, der Neffe der Mutter, der nachher ſo berühmt gewordene Baron Stock¬ mar. Wir reiſten nach Koburg, die Verwandten lernten mich kennen, und — — der kluge, prächtige Vetter ſagte in ſeiner humoriſtiſchen, herzigen Weiſe zur Mutter: »Tante Chriſtiane! — Bis jetzt iſt unſere Familie mit Talenten nicht geſegnet geweſen, es ſoll mich freuen, eine Künſtlerin Couſine nennen zu können; aber das bitte ich mir aus, Lina, daß Du eine wahre, edle, tüchtige Künſtlerin wirſt.« Ich hatte alſo geſiegt! — und mit Rieſenſchritten ging es dem erſten Verſuch entgegen. Mein Lehrer der Aeſthetik war der berühmte Aloys Schreiber (Herausgeber der rheiniſchen Taſchenbücher), ein herzlicher Freund des lieben alemanniſchen Hebel. Oft wurde mir das Glück, dieſe herrlichen Männer ſprechen zu hören. Hebel kam gern in's gaſtliche Haus des Pro¬ feſſors und fühlte ſich behaglich in dem trauten Familien¬

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Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/35>, abgerufen am 26.04.2024.