Basedow, Johann Bernhard: Die ganze Natürliche Weisheit im Privatstande der gesitteten Bürger. Halle (Saale) u. a., [1768].Uebungen des Verstandes, bene Redensarten mehr als wahr ist, und alser selbst glaubt. 5) Wenn eine Redensart dasselbe bedeuten kann, was manche Parallel-Stelle desselben Ver- fassers gewiß bedeutet: so ist diese Bedeutung wahr, oder wahrscheinlicher als andere. §. 61. Aber, was ist denn wahr? Antwort: Alles 1) Grundsätze, welche ein Jeder alsobald für wahr annimmt, als er sie versteht, und ihnen nach- denkt, sind wahr z. E. derselbe Mensch, der in Eu- ropa ist, ist nicht zu gleicher Zeit in Amerika. Ein jeder Körper hat seine Grösse und Figur. 2) Die einzelnen Wahrnehmungen sinnli- cher Eindrücke, des Lichts und der Farben, des Schalles, der riechbaren, schmackhaften und der fühlbaren Dinge sind wahr, wenn wir nicht in dem Zustande starker Einbildung sind, als im Traume, im halben Schlafe, im Affecte, in der Trunkenheit und im Wahnsinne. Denn in diesen Zuständen sind die Wahrnehmungen unsicher. Aber es ist wohl zu merken, daß die Vermuthungen aus dem, was
Uebungen des Verſtandes, bene Redensarten mehr als wahr iſt, und alser ſelbſt glaubt. 5) Wenn eine Redensart daſſelbe bedeuten kann, was manche Parallel-Stelle deſſelben Ver- faſſers gewiß bedeutet: ſo iſt dieſe Bedeutung wahr, oder wahrſcheinlicher als andere. §. 61. Aber, was iſt denn wahr? Antwort: Alles 1) Grundſätze, welche ein Jeder alſobald fuͤr wahr annimmt, als er ſie verſteht, und ihnen nach- denkt, ſind wahr z. E. derſelbe Menſch, der in Eu- ropa iſt, iſt nicht zu gleicher Zeit in Amerika. Ein jeder Koͤrper hat ſeine Groͤſſe und Figur. 2) Die einzelnen Wahrnehmungen ſinnli- cher Eindrücke, des Lichts und der Farben, des Schalles, der riechbaren, ſchmackhaften und der fuͤhlbaren Dinge ſind wahr, wenn wir nicht in dem Zuſtande ſtarker Einbildung ſind, als im Traume, im halben Schlafe, im Affecte, in der Trunkenheit und im Wahnſinne. Denn in dieſen Zuſtaͤnden ſind die Wahrnehmungen unſicher. Aber es iſt wohl zu merken, daß die Vermuthungen aus dem, was
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Uebungen des Verſtandes,
bene Redensarten mehr als wahr iſt, und als
er ſelbſt glaubt.
5) Wenn eine Redensart daſſelbe bedeuten
kann, was manche Parallel-Stelle deſſelben Ver-
faſſers gewiß bedeutet: ſo iſt dieſe Bedeutung wahr,
oder wahrſcheinlicher als andere.
§. 61.
Aber, was iſt denn wahr? Antwort: Alles
dasjenige, was unſern veſten und beſtaͤndigen Bey-
fall verdienet. Alles, was dieſen nicht verdient, iſt
entweder falſch, oder unwahrſcheinlich, oder voll-
kommen zweifelhaft, oder wahrſcheinlich.
1) Grundſätze, welche ein Jeder alſobald fuͤr
wahr annimmt, als er ſie verſteht, und ihnen nach-
denkt, ſind wahr z. E. derſelbe Menſch, der in Eu-
ropa iſt, iſt nicht zu gleicher Zeit in Amerika. Ein
jeder Koͤrper hat ſeine Groͤſſe und Figur.
2) Die einzelnen Wahrnehmungen ſinnli-
cher Eindrücke, des Lichts und der Farben, des
Schalles, der riechbaren, ſchmackhaften und der
fuͤhlbaren Dinge ſind wahr, wenn wir nicht in dem
Zuſtande ſtarker Einbildung ſind, als im Traume,
im halben Schlafe, im Affecte, in der Trunkenheit
und im Wahnſinne. Denn in dieſen Zuſtaͤnden
ſind die Wahrnehmungen unſicher. Aber es iſt
wohl zu merken, daß die Vermuthungen aus dem,
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