Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bach, Carl Philipp Emanuel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Bd. 2. Berlin, 1762.

Bild:
<< vorherige Seite

Von gewissen Zierlichkeiten des Accompagnements.
Einsichten so weit sind, daß er pünctlich weiß, wenn, und wo
Zierlichkeiten angebracht werden können. Ausserdem ist es besser,
daß er sich nicht weiter versteiget, als ihm die Flügel gewach-
sen sind.

§. 3.

Der gewöhnlichste Ausdruck, wodurch man einen
guten Accompagnisten kennbar machet, pfleget dieser zu seyn: er
accompagniret mit Discretion.
Dieses Lob ist von weit-
läuftiger Bedeutung, und man will damit so viel sagen: Der
Begleiter weiß gut zu unterscheiden, und hiernach seine Einrichtun-
gen zu machen, nachdem der Inhalt eines Stückes, dessen Voll-
stimmigkeit, die Mitgehülfen in der Ausführung, besonders der
Ausführer der Hauptstimme, die Instrumente oder Singstimmen,
der Ort, die Zuhörer u. s. w. beschaffen sind. Er suchet mit der
grössesten Bescheidenheit denenjenigen, die er begleitet, ohngeacht
er sie zuweilen mit seinen Kräften übersiehet, die erwünschte Ehre
mit zu erwerben. Diese Bescheidenheit zeiget er besonders gegen
Personen, die nicht vom Metier sind. Er lässet diese letztern lieber
hervorragen, als daß er sie verdunkeln solte. Ueberdem schläget
er in die Absichten des Verfassers und der Ausführer eines Stückes
jederzeit ein; er suchet diese Absichten zu befördern und zu unter-
stützen; er ergreifet alle mögliche Schönheiten des Vortrages und
der Begleitung überhaupt, so bald es der Inhalt eines Stückes
fordert; er wendet aber auch bey dem Gebrauche dieser Schön-
heiten zugleich die nöthige Behutsamkeit an, damit er niemanden
einschränke; zu dem Ende bringet er seine Künste nicht alle Augen-
blicke, sondern sparsam und nur alsdenn an, wenn sie die gute
Ausnahme befördern. Keine allzu grosse Weisheit darf ihn drü-
cken, und er vergißt niemals, daß er nur begleitet und nicht füh-
ret; er weiß, daß ein gutes Accompagnement die Ausführung eines
Stückes belebet, und daß im Gegentheil der beste Ausführer durch

eine
L l 3

Von gewiſſen Zierlichkeiten des Accompagnements.
Einſichten ſo weit ſind, daß er pünctlich weiß, wenn, und wo
Zierlichkeiten angebracht werden können. Auſſerdem iſt es beſſer,
daß er ſich nicht weiter verſteiget, als ihm die Flügel gewach-
ſen ſind.

§. 3.

Der gewöhnlichſte Ausdruck, wodurch man einen
guten Accompagniſten kennbar machet, pfleget dieſer zu ſeyn: er
accompagniret mit Discretion.
Dieſes Lob iſt von weit-
läuftiger Bedeutung, und man will damit ſo viel ſagen: Der
Begleiter weiß gut zu unterſcheiden, und hiernach ſeine Einrichtun-
gen zu machen, nachdem der Inhalt eines Stückes, deſſen Voll-
ſtimmigkeit, die Mitgehülfen in der Ausführung, beſonders der
Ausführer der Hauptſtimme, die Inſtrumente oder Singſtimmen,
der Ort, die Zuhörer u. ſ. w. beſchaffen ſind. Er ſuchet mit der
gröſſeſten Beſcheidenheit denenjenigen, die er begleitet, ohngeacht
er ſie zuweilen mit ſeinen Kräften überſiehet, die erwünſchte Ehre
mit zu erwerben. Dieſe Beſcheidenheit zeiget er beſonders gegen
Perſonen, die nicht vom Metier ſind. Er läſſet dieſe letztern lieber
hervorragen, als daß er ſie verdunkeln ſolte. Ueberdem ſchläget
er in die Abſichten des Verfaſſers und der Ausführer eines Stückes
jederzeit ein; er ſuchet dieſe Abſichten zu befördern und zu unter-
ſtützen; er ergreifet alle mögliche Schönheiten des Vortrages und
der Begleitung überhaupt, ſo bald es der Inhalt eines Stückes
fordert; er wendet aber auch bey dem Gebrauche dieſer Schön-
heiten zugleich die nöthige Behutſamkeit an, damit er niemanden
einſchränke; zu dem Ende bringet er ſeine Künſte nicht alle Augen-
blicke, ſondern ſparſam und nur alsdenn an, wenn ſie die gute
Ausnahme befördern. Keine allzu groſſe Weisheit darf ihn drü-
cken, und er vergißt niemals, daß er nur begleitet und nicht füh-
ret; er weiß, daß ein gutes Accompagnement die Ausführung eines
Stückes belebet, und daß im Gegentheil der beſte Ausführer durch

eine
L l 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0279" n="269"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von gewi&#x017F;&#x017F;en Zierlichkeiten des Accompagnements.</hi></fw><lb/>
Ein&#x017F;ichten &#x017F;o weit &#x017F;ind, daß er <hi rendition="#fr">pünctlich</hi> weiß, wenn, und wo<lb/>
Zierlichkeiten angebracht werden können. Au&#x017F;&#x017F;erdem i&#x017F;t es be&#x017F;&#x017F;er,<lb/>
daß er &#x017F;ich nicht weiter ver&#x017F;teiget, als ihm die Flügel gewach-<lb/>
&#x017F;en &#x017F;ind.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 3.</head>
          <p>Der gewöhnlich&#x017F;te Ausdruck, wodurch man einen<lb/>
guten Accompagni&#x017F;ten kennbar machet, pfleget die&#x017F;er zu &#x017F;eyn: <hi rendition="#fr">er<lb/>
accompagniret mit Discretion.</hi> Die&#x017F;es Lob i&#x017F;t von weit-<lb/>
läuftiger Bedeutung, und man will damit &#x017F;o viel &#x017F;agen: Der<lb/>
Begleiter weiß gut zu unter&#x017F;cheiden, und hiernach &#x017F;eine Einrichtun-<lb/>
gen zu machen, nachdem der Inhalt eines Stückes, de&#x017F;&#x017F;en Voll-<lb/>
&#x017F;timmigkeit, die Mitgehülfen in der Ausführung, be&#x017F;onders der<lb/>
Ausführer der Haupt&#x017F;timme, die In&#x017F;trumente oder Sing&#x017F;timmen,<lb/>
der Ort, die Zuhörer u. &#x017F;. w. be&#x017F;chaffen &#x017F;ind. Er &#x017F;uchet mit der<lb/>
grö&#x017F;&#x017F;e&#x017F;ten Be&#x017F;cheidenheit denenjenigen, die er begleitet, ohngeacht<lb/>
er &#x017F;ie zuweilen mit &#x017F;einen Kräften über&#x017F;iehet, die erwün&#x017F;chte Ehre<lb/>
mit zu erwerben. Die&#x017F;e Be&#x017F;cheidenheit zeiget er be&#x017F;onders gegen<lb/>
Per&#x017F;onen, die nicht vom Metier &#x017F;ind. Er lä&#x017F;&#x017F;et die&#x017F;e letztern lieber<lb/>
hervorragen, als daß er &#x017F;ie verdunkeln &#x017F;olte. Ueberdem &#x017F;chläget<lb/>
er in die Ab&#x017F;ichten des Verfa&#x017F;&#x017F;ers und der Ausführer eines Stückes<lb/>
jederzeit ein; er &#x017F;uchet die&#x017F;e Ab&#x017F;ichten zu befördern und zu unter-<lb/>
&#x017F;tützen; er ergreifet alle mögliche Schönheiten des Vortrages und<lb/>
der Begleitung überhaupt, &#x017F;o bald es der Inhalt eines Stückes<lb/>
fordert; er wendet aber auch bey dem Gebrauche die&#x017F;er Schön-<lb/>
heiten zugleich die nöthige Behut&#x017F;amkeit an, damit er niemanden<lb/>
ein&#x017F;chränke; zu dem Ende bringet er &#x017F;eine Kün&#x017F;te nicht alle Augen-<lb/>
blicke, &#x017F;ondern &#x017F;par&#x017F;am und nur alsdenn an, wenn &#x017F;ie die gute<lb/>
Ausnahme befördern. Keine allzu gro&#x017F;&#x017F;e Weisheit darf ihn drü-<lb/>
cken, und er vergißt niemals, daß er nur begleitet und nicht füh-<lb/>
ret; er weiß, daß ein gutes Accompagnement die Ausführung eines<lb/>
Stückes belebet, und daß im Gegentheil der be&#x017F;te Ausführer durch<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L l 3</fw><fw place="bottom" type="catch">eine</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[269/0279] Von gewiſſen Zierlichkeiten des Accompagnements. Einſichten ſo weit ſind, daß er pünctlich weiß, wenn, und wo Zierlichkeiten angebracht werden können. Auſſerdem iſt es beſſer, daß er ſich nicht weiter verſteiget, als ihm die Flügel gewach- ſen ſind. §. 3. Der gewöhnlichſte Ausdruck, wodurch man einen guten Accompagniſten kennbar machet, pfleget dieſer zu ſeyn: er accompagniret mit Discretion. Dieſes Lob iſt von weit- läuftiger Bedeutung, und man will damit ſo viel ſagen: Der Begleiter weiß gut zu unterſcheiden, und hiernach ſeine Einrichtun- gen zu machen, nachdem der Inhalt eines Stückes, deſſen Voll- ſtimmigkeit, die Mitgehülfen in der Ausführung, beſonders der Ausführer der Hauptſtimme, die Inſtrumente oder Singſtimmen, der Ort, die Zuhörer u. ſ. w. beſchaffen ſind. Er ſuchet mit der gröſſeſten Beſcheidenheit denenjenigen, die er begleitet, ohngeacht er ſie zuweilen mit ſeinen Kräften überſiehet, die erwünſchte Ehre mit zu erwerben. Dieſe Beſcheidenheit zeiget er beſonders gegen Perſonen, die nicht vom Metier ſind. Er läſſet dieſe letztern lieber hervorragen, als daß er ſie verdunkeln ſolte. Ueberdem ſchläget er in die Abſichten des Verfaſſers und der Ausführer eines Stückes jederzeit ein; er ſuchet dieſe Abſichten zu befördern und zu unter- ſtützen; er ergreifet alle mögliche Schönheiten des Vortrages und der Begleitung überhaupt, ſo bald es der Inhalt eines Stückes fordert; er wendet aber auch bey dem Gebrauche dieſer Schön- heiten zugleich die nöthige Behutſamkeit an, damit er niemanden einſchränke; zu dem Ende bringet er ſeine Künſte nicht alle Augen- blicke, ſondern ſparſam und nur alsdenn an, wenn ſie die gute Ausnahme befördern. Keine allzu groſſe Weisheit darf ihn drü- cken, und er vergißt niemals, daß er nur begleitet und nicht füh- ret; er weiß, daß ein gutes Accompagnement die Ausführung eines Stückes belebet, und daß im Gegentheil der beſte Ausführer durch eine L l 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bach_versuch02_1762
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bach_versuch02_1762/279
Zitationshilfe: Bach, Carl Philipp Emanuel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Bd. 2. Berlin, 1762, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bach_versuch02_1762/279>, abgerufen am 30.12.2024.