Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bach, Carl Philipp Emanuel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Bd. 1. 2. Aufl. Berlin, 1753.

Bild:
<< vorherige Seite

Vom Vortrage.
hält, da das hypochondrische Wesen, das aus den matten Fin-
gern bis zum Eckel hervorblicket, wohl wenig oder gar nicht durch
das Gegentheil zu heben ist. Beyde übrigens üben ihr Jnstru-
ment blos maschienenmäßig aus, da zu dem rührenden Spielen
gute Köpfe erfodert werden, die sich gewissen vernünftigen Regeln
zu unterwerfen und darnach ihre Stücke vorzutragen fähig sind.

§. 2.

Worinn aber besteht der gute Vortrag? in nichts
anderem als der Fertigkeit, musikalische Gedancken nach ihrem
wahren Jnhalte und Affect singend oder spielend dem Gehöre
empfindlich zu machen. Man kan durch die Verschiedenheit des-
selben einerley Gedancken dem Ohre so veränderlich machen, daß
man kaum mehr empfindet, daß es einerley Gedancken gewesen sind.

§. 3.

Die Gegenstände des Vortrages sind die Stärcke und
Schwäche der Töne, ihr Druck, Schnellen, Ziehen, Stossen,
Beben, Brechen, Halten, Schleppen und Fortgehen. Wer diese
Dinge entweder gar nicht oder zur unrechten Zeit gebrauchet, der
hat einen schlechten Vortrag.

§. 4.

Der gute Vortrag ist also sofort daran zu erkennen,
wenn man alle Noten nebst den ihnen zugemessenen guten Ma-
nieren zu rechter Zeit in ihrer gehörigen Stärcke durch einen nach
dem wahren Jnhalte des Stücks abgewognen Druck mit einer
Leichtigkeit hören läßt. Hieraus entstehet das Runde, Reine und
Fliessende in der Spielart, und wird man dadurch deutlich und
ausdrückend. Man muß aber zu dem Ende die Beschaffenheit
desjenigen Jnstruments, worauf man spielet, wohl untersuchen,
damit man es weder zu wenig, noch zu viel angreife. Manches
Clavier giebt nicht eher seinen vollkommen und reinen Ton von
sich, als wenn man es starck angreift; ein anderes wiederum
muß sehr geschonet werden, oder man übertreibt das Ansprechen
des Tons. Diese Anmerckung, die schon im Eingange gemacht

wor-

Vom Vortrage.
haͤlt, da das hypochondriſche Weſen, das aus den matten Fin-
gern bis zum Eckel hervorblicket, wohl wenig oder gar nicht durch
das Gegentheil zu heben iſt. Beyde uͤbrigens uͤben ihr Jnſtru-
ment blos maſchienenmaͤßig aus, da zu dem ruͤhrenden Spielen
gute Koͤpfe erfodert werden, die ſich gewiſſen vernuͤnftigen Regeln
zu unterwerfen und darnach ihre Stuͤcke vorzutragen faͤhig ſind.

§. 2.

Worinn aber beſteht der gute Vortrag? in nichts
anderem als der Fertigkeit, muſikaliſche Gedancken nach ihrem
wahren Jnhalte und Affect ſingend oder ſpielend dem Gehoͤre
empfindlich zu machen. Man kan durch die Verſchiedenheit deſ-
ſelben einerley Gedancken dem Ohre ſo veraͤnderlich machen, daß
man kaum mehr empfindet, daß es einerley Gedancken geweſen ſind.

§. 3.

Die Gegenſtaͤnde des Vortrages ſind die Staͤrcke und
Schwaͤche der Toͤne, ihr Druck, Schnellen, Ziehen, Stoſſen,
Beben, Brechen, Halten, Schleppen und Fortgehen. Wer dieſe
Dinge entweder gar nicht oder zur unrechten Zeit gebrauchet, der
hat einen ſchlechten Vortrag.

§. 4.

Der gute Vortrag iſt alſo ſofort daran zu erkennen,
wenn man alle Noten nebſt den ihnen zugemeſſenen guten Ma-
nieren zu rechter Zeit in ihrer gehoͤrigen Staͤrcke durch einen nach
dem wahren Jnhalte des Stuͤcks abgewognen Druck mit einer
Leichtigkeit hoͤren laͤßt. Hieraus entſtehet das Runde, Reine und
Flieſſende in der Spielart, und wird man dadurch deutlich und
ausdruͤckend. Man muß aber zu dem Ende die Beſchaffenheit
desjenigen Jnſtruments, worauf man ſpielet, wohl unterſuchen,
damit man es weder zu wenig, noch zu viel angreife. Manches
Clavier giebt nicht eher ſeinen vollkommen und reinen Ton von
ſich, als wenn man es ſtarck angreift; ein anderes wiederum
muß ſehr geſchonet werden, oder man uͤbertreibt das Anſprechen
des Tons. Dieſe Anmerckung, die ſchon im Eingange gemacht

wor-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0111" n="103"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Vom Vortrage.</hi></fw><lb/>
ha&#x0364;lt, da das hypochondri&#x017F;che We&#x017F;en, das aus den matten Fin-<lb/>
gern bis zum Eckel hervorblicket, wohl wenig oder gar nicht durch<lb/>
das Gegentheil zu heben i&#x017F;t. Beyde u&#x0364;brigens u&#x0364;ben ihr Jn&#x017F;tru-<lb/>
ment blos ma&#x017F;chienenma&#x0364;ßig aus, da zu dem ru&#x0364;hrenden Spielen<lb/>
gute Ko&#x0364;pfe erfodert werden, die &#x017F;ich gewi&#x017F;&#x017F;en vernu&#x0364;nftigen Regeln<lb/>
zu unterwerfen und darnach ihre Stu&#x0364;cke vorzutragen fa&#x0364;hig &#x017F;ind.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 2.</head>
          <p>Worinn aber be&#x017F;teht der gute Vortrag? in nichts<lb/>
anderem als der Fertigkeit, mu&#x017F;ikali&#x017F;che Gedancken nach ihrem<lb/>
wahren Jnhalte und Affect &#x017F;ingend oder &#x017F;pielend dem Geho&#x0364;re<lb/>
empfindlich zu machen. Man kan durch die Ver&#x017F;chiedenheit de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;elben einerley Gedancken dem Ohre &#x017F;o vera&#x0364;nderlich machen, daß<lb/>
man kaum mehr empfindet, daß es einerley Gedancken gewe&#x017F;en &#x017F;ind.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 3.</head>
          <p>Die Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde des Vortrages &#x017F;ind die Sta&#x0364;rcke und<lb/>
Schwa&#x0364;che der To&#x0364;ne, ihr Druck, Schnellen, Ziehen, Sto&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
Beben, Brechen, Halten, Schleppen und Fortgehen. Wer die&#x017F;e<lb/>
Dinge entweder gar nicht oder zur unrechten Zeit gebrauchet, der<lb/>
hat einen &#x017F;chlechten Vortrag.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 4.</head>
          <p>Der gute Vortrag i&#x017F;t al&#x017F;o &#x017F;ofort daran zu erkennen,<lb/>
wenn man alle Noten neb&#x017F;t den ihnen zugeme&#x017F;&#x017F;enen guten Ma-<lb/>
nieren zu rechter Zeit in ihrer geho&#x0364;rigen Sta&#x0364;rcke durch einen nach<lb/>
dem wahren Jnhalte des Stu&#x0364;cks abgewognen Druck mit einer<lb/>
Leichtigkeit ho&#x0364;ren la&#x0364;ßt. Hieraus ent&#x017F;tehet das Runde, Reine und<lb/>
Flie&#x017F;&#x017F;ende in der Spielart, und wird man dadurch deutlich und<lb/>
ausdru&#x0364;ckend. Man muß aber zu dem Ende die Be&#x017F;chaffenheit<lb/>
desjenigen Jn&#x017F;truments, worauf man &#x017F;pielet, wohl unter&#x017F;uchen,<lb/>
damit man es weder zu wenig, noch zu viel angreife. Manches<lb/>
Clavier giebt nicht eher &#x017F;einen vollkommen und reinen Ton von<lb/>
&#x017F;ich, als wenn man es &#x017F;tarck angreift; ein anderes wiederum<lb/>
muß &#x017F;ehr ge&#x017F;chonet werden, oder man u&#x0364;bertreibt das An&#x017F;prechen<lb/>
des Tons. Die&#x017F;e Anmerckung, die &#x017F;chon im Eingange gemacht<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wor-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0111] Vom Vortrage. haͤlt, da das hypochondriſche Weſen, das aus den matten Fin- gern bis zum Eckel hervorblicket, wohl wenig oder gar nicht durch das Gegentheil zu heben iſt. Beyde uͤbrigens uͤben ihr Jnſtru- ment blos maſchienenmaͤßig aus, da zu dem ruͤhrenden Spielen gute Koͤpfe erfodert werden, die ſich gewiſſen vernuͤnftigen Regeln zu unterwerfen und darnach ihre Stuͤcke vorzutragen faͤhig ſind. §. 2. Worinn aber beſteht der gute Vortrag? in nichts anderem als der Fertigkeit, muſikaliſche Gedancken nach ihrem wahren Jnhalte und Affect ſingend oder ſpielend dem Gehoͤre empfindlich zu machen. Man kan durch die Verſchiedenheit deſ- ſelben einerley Gedancken dem Ohre ſo veraͤnderlich machen, daß man kaum mehr empfindet, daß es einerley Gedancken geweſen ſind. §. 3. Die Gegenſtaͤnde des Vortrages ſind die Staͤrcke und Schwaͤche der Toͤne, ihr Druck, Schnellen, Ziehen, Stoſſen, Beben, Brechen, Halten, Schleppen und Fortgehen. Wer dieſe Dinge entweder gar nicht oder zur unrechten Zeit gebrauchet, der hat einen ſchlechten Vortrag. §. 4. Der gute Vortrag iſt alſo ſofort daran zu erkennen, wenn man alle Noten nebſt den ihnen zugemeſſenen guten Ma- nieren zu rechter Zeit in ihrer gehoͤrigen Staͤrcke durch einen nach dem wahren Jnhalte des Stuͤcks abgewognen Druck mit einer Leichtigkeit hoͤren laͤßt. Hieraus entſtehet das Runde, Reine und Flieſſende in der Spielart, und wird man dadurch deutlich und ausdruͤckend. Man muß aber zu dem Ende die Beſchaffenheit desjenigen Jnſtruments, worauf man ſpielet, wohl unterſuchen, damit man es weder zu wenig, noch zu viel angreife. Manches Clavier giebt nicht eher ſeinen vollkommen und reinen Ton von ſich, als wenn man es ſtarck angreift; ein anderes wiederum muß ſehr geſchonet werden, oder man uͤbertreibt das Anſprechen des Tons. Dieſe Anmerckung, die ſchon im Eingange gemacht wor-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Erstauflage dieses Teils erschien als selbstä… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bach_versuch01_1759
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bach_versuch01_1759/111
Zitationshilfe: Bach, Carl Philipp Emanuel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Bd. 1. 2. Aufl. Berlin, 1753, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bach_versuch01_1759/111>, abgerufen am 21.11.2024.