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Allgemeine Zeitung. Nr. 176. Augsburg, 24. Juni 1840.

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Wolken im Süden 42,762; Kuei tscheou, das reiche Land 48,417; Zahl der Officiere 8,283; Unterofficiere 8,582.

Wer unter der Benennung "chinesisches Reich" an ein Ganzes denken möchte, in der Weise, wie Frankreich es ist, und nach welchem in Rußland man strebt, der würde in einen großen Irrthum verfallen. Das chinesische Reich umfaßt im Gegentheile, gleichwie Oesterreich, eine Menge gesonderter Staaten und Völker, äußerlich bloß vereinigt unter einem Herrscher, der sie im Innern gewähren läßt bei den angestammten Sitten und Gewohnheiten, bei ihren besondern Rechten und Glaubensmeinungen. "Die Bestimmung eines jeden Menschen auf Erden," so spricht der erhabene Herrscher Kang hi, "ist das Gute zu thun und das Böse zu lassen. Hiezu die Völker zu ermahnen, dieß zu bewirken, ist am Ende die Aufgabe aller Schriften der zahlreichen Weisen hienieden. Warum sollte man nun die Menschen nicht bei ihren Meinungen belassen? Doch die ihren Leidenschaften hingegebenen Massen können sich hiezu nicht erheben; sie haben verschiedene Schulen gebildet, die zum Theil feindlich einander gegenüber stehen." Der tungusische Himmelssohn, zu gleicher Zeit auch Chakan aller Mongolen, hat mit weiser Vorsicht alle die zahlreichen Aimak so geordnet und von einander gesondert, daß es keinem Fürsten möglich werde, sich neuerdings an die Spitze der ganzen Nation zu stellen und die alten Zeiten, den alten Ruhm des Tschinggis aus dem Grabe der Jahrhunderte hervorzurufen. Diese Aimak oder Clane stehen unter erblichen oder vom Chakan willkürlich eingesetzten Lehnsfürsten verschiedenen Ranges, welchen der Bezirk, wo sie nomadisirend herumstreifen dürfen, die einsamen und einfachen Steppen, wie die wildromantischen Thäler des mongolischen Hochlandes genau vorgezeichnet wurden. Alle diese Horden wie ihre Fürsten sind dem Ministerium der Colonien (Li fan juen) untergeordnet; letztere müssen sich von Zeit zu Zeit persönlich in Peking stellen und ihren Tribut entrichten. Die Normen, nach welchen sie regiert werden, wurden in einem eigenen Gesetzbuch niedergelegt, welches durch den verständigen Fleiß des P. Hyakinth auch dem europäischen Leser zugänglich gemacht wurde. Diese Mongolen haben nun durchgängig eine militärische Einrichtung. Sie sind sämmtlich beritten und in Regimenter getheilt, zu sechs Escadronen, eine jede zu 150 Mann, wovon abwechselnd 50 zum activen Dienste verpflichtet sind. Die Mongolen der innern Verwaltung oder diesseits der Gobi enthalten 1293; der äußern Verwaltung, die Chalka 163; des blauen Sees (Kokonor) 100 1/2; die Dsongaren 94; Tschachar 120; Mongolen an verschiedenen Orten 58; also zusammen 1,828 1/2 Escadronen, welche eine waffenfähige Mannschaft von 274,275 Mann bilden. Die Bevölkerung der ganzen chinesischen Mongolei und Dsongarei möchte sich demnach kaum auf eine Million und fünfmalhunderttausend Seelen belaufen.

Ueber die Anzahl der einheimischen Truppen im östlichen Turkestan und Tibet sind wir gar nicht unterrichtet; eben so wenig kennen wir die Verpflichtungen der erblichen Lehnsherren und Beamten, über die zahlreichen autochthonen Clane gesetzt, sowohl innerhalb wie an den Gränzen des Reiches, namentlich gegen Laos, Birma, Assam und Tibet, deren im Ganzen 489 angegeben werden. Die regelmäßige chinesische Land- und Seemacht, von der wir Kunde haben, würde sich also im Ganzen auf eine Million, dreimalhunderttausend Mann belaufen. Es sind aber ohne Zweifel unter verschiedenen Benennungen, noch allerlei Leute im Lande der Mitte vorhanden, welche, obgleich in den gesammelten Satzungen des Reiches nicht besonders aufgeführt, doch zur bewaffneten Macht gerechnet werden müssen. Wir haben guten Grund anzunehmen, daß die Angaben, welche der englischen Gesandtschaft im Jahre 1792 in Betreff des Bestandes der chinesischen Armee mitgetheilt wurden, nicht übertrieben sind. Hiernach würde sie sich, wenn alle Aufgebote beisammen und alle im Urlaub befindlichen Soldaten eingerufen wären, auf eine Million achtmalhunderttausend Mann belaufen. Unter dieser, der Größe und dem Umfange des Reiches angemessenen bewaffneten Macht ist sicherlich die Landwehr oder Nationalgarde nicht mitbegriffen; sie muß, in Betracht der dichten Bevölkerung, außerordentlich zahlreich seyn. Es drohte ja während der letzten Wirren in Canton der kaiserliche Commissär: er würde, wenn die Barbaren sich nicht unterwerfen, "der Dörfer Kraft" (Hiang jong), so wird chinesisch der Landsturm genannt, gegen sie aufrufen und die Widerspänstigen zermalmen lassen.

Die Marine ist natürlich für ein Land mit so lang gestreckten Küsten von der größten Wichtigkeit; sie ward aber bis jetzt nicht bloß schmachvoll vernachlässigt, sondern man hat sogar ihrer Erweiterung und Ausbildung aus höheren Staatsgründen allerlei Hindernisse entgegengestellt. Die Regierung in Peking wünscht nicht, daß ihre Unterthanen mit dem Ausland in Verbindung kommen; sie sucht demgemäß durch allerlei Verordnungen den Handels- und Unternehmungsgeist des Volkes zu hemmen. Seit undenklichen Zeiten ist den Schiffen *) ihre Bauart und ein gewisses Maaß, das sie nicht überschreiten dürfen, vorgeschrieben. Auch noch bevor es sich bis zu den Gestaden des östlichen und südlichen Meeres ausdehnte, konnte das von großen und breiten Strömen nach allen Richtungen hin durchschnittene Land der Mitte der Schiffkunst nicht entbehren. Die Erfindung derselben wird deßhalb von den einheimischen Schriftstellern in die fabelhaften Zeiten des Hoangti hinaufgerückt, und jetzt noch bewahren sie die Form, in welcher der gelbe Herrscher mit eigener Hand sie zimmerte. Schwer ist es, Jemand, der niemals ein chinesisches Schiff gesehen, einen richtigen Begriff seiner eigenthümlichen Bauart zu geben; wer aber solch ein Fahrzeug auf offenem Meere einhersegelnd erbickte, der wird sicherlich das Schwerfällige, vorn und hinten Zusammengedrückte seiner Construction, so wenig wie das entenartige Watscheln seines Ganges, jemals vergessen können. Die Dschonk reichen an beiden Flanken hoch empor, und führen nur einen geringen Kiel. Sie haben bloß einen Mast von bedeutender Dicke, an welchem ein großes, aus Fasern des Bambu geflochtenes Segel befestigt ist, welches vermittelst einiger Stangen ausgespannt und wie ein Fächer auf- und zugemacht werden kann. Diese Fahrzeuge haben einen weiten unförmlichen Bauch, in welchem, je nach seiner Größe, verschiedene Cajüten oder richtiger Löcher angebracht sind, die kaum für einen erwachsenen Mann und eine Kiste Raum gewähren. In diesen Cajüten herrscht übrigens der größte Schmutz und unter der Mannschaft die tiefste Unwissenheit, wie der widerlichste Aberglaube. Von der Disciplin, wie sie auf europäischen Schiffen stattfindet, ist nicht einmal eine Spur vorhanden. Der Gehalt dieser Dschonk ist sehr verschieden; es gibt deren von 200, 500 und selbst von 1000 Tonnen. Die Regierungs- und Kriegsschiffe sind aber in keiner Weise von diesen Kauffahrern, deren China für die Binnenschifffahrt wie für den auswärtigen Seehandel eine große Anzahl besitzt, verschieden. Die commandirenden Officiere verstehen gewöhnlich gar nichts von der Schiff

*) Ein Schiff heißt in der allgemeinen Sprache des Mittelreiches Tschuen, ein Wort, welches im Dialekte des Kreises Fokien, dessen Bewohner sich am meisten dem auswärtigen Handel ergeben, Tschonk ausgesprochen wird. Daher die Benennung chinesische Dschonken.

Wolken im Süden 42,762; Kuei tscheou, das reiche Land 48,417; Zahl der Officiere 8,283; Unterofficiere 8,582.

Wer unter der Benennung „chinesisches Reich“ an ein Ganzes denken möchte, in der Weise, wie Frankreich es ist, und nach welchem in Rußland man strebt, der würde in einen großen Irrthum verfallen. Das chinesische Reich umfaßt im Gegentheile, gleichwie Oesterreich, eine Menge gesonderter Staaten und Völker, äußerlich bloß vereinigt unter einem Herrscher, der sie im Innern gewähren läßt bei den angestammten Sitten und Gewohnheiten, bei ihren besondern Rechten und Glaubensmeinungen. „Die Bestimmung eines jeden Menschen auf Erden,“ so spricht der erhabene Herrscher Kang hi, „ist das Gute zu thun und das Böse zu lassen. Hiezu die Völker zu ermahnen, dieß zu bewirken, ist am Ende die Aufgabe aller Schriften der zahlreichen Weisen hienieden. Warum sollte man nun die Menschen nicht bei ihren Meinungen belassen? Doch die ihren Leidenschaften hingegebenen Massen können sich hiezu nicht erheben; sie haben verschiedene Schulen gebildet, die zum Theil feindlich einander gegenüber stehen.“ Der tungusische Himmelssohn, zu gleicher Zeit auch Chakan aller Mongolen, hat mit weiser Vorsicht alle die zahlreichen Aimak so geordnet und von einander gesondert, daß es keinem Fürsten möglich werde, sich neuerdings an die Spitze der ganzen Nation zu stellen und die alten Zeiten, den alten Ruhm des Tschinggis aus dem Grabe der Jahrhunderte hervorzurufen. Diese Aimak oder Clane stehen unter erblichen oder vom Chakan willkürlich eingesetzten Lehnsfürsten verschiedenen Ranges, welchen der Bezirk, wo sie nomadisirend herumstreifen dürfen, die einsamen und einfachen Steppen, wie die wildromantischen Thäler des mongolischen Hochlandes genau vorgezeichnet wurden. Alle diese Horden wie ihre Fürsten sind dem Ministerium der Colonien (Li fan juen) untergeordnet; letztere müssen sich von Zeit zu Zeit persönlich in Peking stellen und ihren Tribut entrichten. Die Normen, nach welchen sie regiert werden, wurden in einem eigenen Gesetzbuch niedergelegt, welches durch den verständigen Fleiß des P. Hyakinth auch dem europäischen Leser zugänglich gemacht wurde. Diese Mongolen haben nun durchgängig eine militärische Einrichtung. Sie sind sämmtlich beritten und in Regimenter getheilt, zu sechs Escadronen, eine jede zu 150 Mann, wovon abwechselnd 50 zum activen Dienste verpflichtet sind. Die Mongolen der innern Verwaltung oder diesseits der Gobi enthalten 1293; der äußern Verwaltung, die Chalka 163; des blauen Sees (Kokonor) 100 1/2; die Dsongaren 94; Tschachar 120; Mongolen an verschiedenen Orten 58; also zusammen 1,828 1/2 Escadronen, welche eine waffenfähige Mannschaft von 274,275 Mann bilden. Die Bevölkerung der ganzen chinesischen Mongolei und Dsongarei möchte sich demnach kaum auf eine Million und fünfmalhunderttausend Seelen belaufen.

Ueber die Anzahl der einheimischen Truppen im östlichen Turkestan und Tibet sind wir gar nicht unterrichtet; eben so wenig kennen wir die Verpflichtungen der erblichen Lehnsherren und Beamten, über die zahlreichen autochthonen Clane gesetzt, sowohl innerhalb wie an den Gränzen des Reiches, namentlich gegen Laos, Birma, Assam und Tibet, deren im Ganzen 489 angegeben werden. Die regelmäßige chinesische Land- und Seemacht, von der wir Kunde haben, würde sich also im Ganzen auf eine Million, dreimalhunderttausend Mann belaufen. Es sind aber ohne Zweifel unter verschiedenen Benennungen, noch allerlei Leute im Lande der Mitte vorhanden, welche, obgleich in den gesammelten Satzungen des Reiches nicht besonders aufgeführt, doch zur bewaffneten Macht gerechnet werden müssen. Wir haben guten Grund anzunehmen, daß die Angaben, welche der englischen Gesandtschaft im Jahre 1792 in Betreff des Bestandes der chinesischen Armee mitgetheilt wurden, nicht übertrieben sind. Hiernach würde sie sich, wenn alle Aufgebote beisammen und alle im Urlaub befindlichen Soldaten eingerufen wären, auf eine Million achtmalhunderttausend Mann belaufen. Unter dieser, der Größe und dem Umfange des Reiches angemessenen bewaffneten Macht ist sicherlich die Landwehr oder Nationalgarde nicht mitbegriffen; sie muß, in Betracht der dichten Bevölkerung, außerordentlich zahlreich seyn. Es drohte ja während der letzten Wirren in Canton der kaiserliche Commissär: er würde, wenn die Barbaren sich nicht unterwerfen, „der Dörfer Kraft“ (Hiang jong), so wird chinesisch der Landsturm genannt, gegen sie aufrufen und die Widerspänstigen zermalmen lassen.

Die Marine ist natürlich für ein Land mit so lang gestreckten Küsten von der größten Wichtigkeit; sie ward aber bis jetzt nicht bloß schmachvoll vernachlässigt, sondern man hat sogar ihrer Erweiterung und Ausbildung aus höheren Staatsgründen allerlei Hindernisse entgegengestellt. Die Regierung in Peking wünscht nicht, daß ihre Unterthanen mit dem Ausland in Verbindung kommen; sie sucht demgemäß durch allerlei Verordnungen den Handels- und Unternehmungsgeist des Volkes zu hemmen. Seit undenklichen Zeiten ist den Schiffen *) ihre Bauart und ein gewisses Maaß, das sie nicht überschreiten dürfen, vorgeschrieben. Auch noch bevor es sich bis zu den Gestaden des östlichen und südlichen Meeres ausdehnte, konnte das von großen und breiten Strömen nach allen Richtungen hin durchschnittene Land der Mitte der Schiffkunst nicht entbehren. Die Erfindung derselben wird deßhalb von den einheimischen Schriftstellern in die fabelhaften Zeiten des Hoangti hinaufgerückt, und jetzt noch bewahren sie die Form, in welcher der gelbe Herrscher mit eigener Hand sie zimmerte. Schwer ist es, Jemand, der niemals ein chinesisches Schiff gesehen, einen richtigen Begriff seiner eigenthümlichen Bauart zu geben; wer aber solch ein Fahrzeug auf offenem Meere einhersegelnd erbickte, der wird sicherlich das Schwerfällige, vorn und hinten Zusammengedrückte seiner Construction, so wenig wie das entenartige Watscheln seines Ganges, jemals vergessen können. Die Dschonk reichen an beiden Flanken hoch empor, und führen nur einen geringen Kiel. Sie haben bloß einen Mast von bedeutender Dicke, an welchem ein großes, aus Fasern des Bambu geflochtenes Segel befestigt ist, welches vermittelst einiger Stangen ausgespannt und wie ein Fächer auf- und zugemacht werden kann. Diese Fahrzeuge haben einen weiten unförmlichen Bauch, in welchem, je nach seiner Größe, verschiedene Cajüten oder richtiger Löcher angebracht sind, die kaum für einen erwachsenen Mann und eine Kiste Raum gewähren. In diesen Cajüten herrscht übrigens der größte Schmutz und unter der Mannschaft die tiefste Unwissenheit, wie der widerlichste Aberglaube. Von der Disciplin, wie sie auf europäischen Schiffen stattfindet, ist nicht einmal eine Spur vorhanden. Der Gehalt dieser Dschonk ist sehr verschieden; es gibt deren von 200, 500 und selbst von 1000 Tonnen. Die Regierungs- und Kriegsschiffe sind aber in keiner Weise von diesen Kauffahrern, deren China für die Binnenschifffahrt wie für den auswärtigen Seehandel eine große Anzahl besitzt, verschieden. Die commandirenden Officiere verstehen gewöhnlich gar nichts von der Schiff

*) Ein Schiff heißt in der allgemeinen Sprache des Mittelreiches Tschuen, ein Wort, welches im Dialekte des Kreises Fokien, dessen Bewohner sich am meisten dem auswärtigen Handel ergeben, Tschonk ausgesprochen wird. Daher die Benennung chinesische Dschonken.
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[1403/0011] Wolken im Süden 42,762; Kuei tscheou, das reiche Land 48,417; Zahl der Officiere 8,283; Unterofficiere 8,582. Wer unter der Benennung „chinesisches Reich“ an ein Ganzes denken möchte, in der Weise, wie Frankreich es ist, und nach welchem in Rußland man strebt, der würde in einen großen Irrthum verfallen. Das chinesische Reich umfaßt im Gegentheile, gleichwie Oesterreich, eine Menge gesonderter Staaten und Völker, äußerlich bloß vereinigt unter einem Herrscher, der sie im Innern gewähren läßt bei den angestammten Sitten und Gewohnheiten, bei ihren besondern Rechten und Glaubensmeinungen. „Die Bestimmung eines jeden Menschen auf Erden,“ so spricht der erhabene Herrscher Kang hi, „ist das Gute zu thun und das Böse zu lassen. Hiezu die Völker zu ermahnen, dieß zu bewirken, ist am Ende die Aufgabe aller Schriften der zahlreichen Weisen hienieden. Warum sollte man nun die Menschen nicht bei ihren Meinungen belassen? Doch die ihren Leidenschaften hingegebenen Massen können sich hiezu nicht erheben; sie haben verschiedene Schulen gebildet, die zum Theil feindlich einander gegenüber stehen.“ Der tungusische Himmelssohn, zu gleicher Zeit auch Chakan aller Mongolen, hat mit weiser Vorsicht alle die zahlreichen Aimak so geordnet und von einander gesondert, daß es keinem Fürsten möglich werde, sich neuerdings an die Spitze der ganzen Nation zu stellen und die alten Zeiten, den alten Ruhm des Tschinggis aus dem Grabe der Jahrhunderte hervorzurufen. Diese Aimak oder Clane stehen unter erblichen oder vom Chakan willkürlich eingesetzten Lehnsfürsten verschiedenen Ranges, welchen der Bezirk, wo sie nomadisirend herumstreifen dürfen, die einsamen und einfachen Steppen, wie die wildromantischen Thäler des mongolischen Hochlandes genau vorgezeichnet wurden. Alle diese Horden wie ihre Fürsten sind dem Ministerium der Colonien (Li fan juen) untergeordnet; letztere müssen sich von Zeit zu Zeit persönlich in Peking stellen und ihren Tribut entrichten. Die Normen, nach welchen sie regiert werden, wurden in einem eigenen Gesetzbuch niedergelegt, welches durch den verständigen Fleiß des P. Hyakinth auch dem europäischen Leser zugänglich gemacht wurde. Diese Mongolen haben nun durchgängig eine militärische Einrichtung. Sie sind sämmtlich beritten und in Regimenter getheilt, zu sechs Escadronen, eine jede zu 150 Mann, wovon abwechselnd 50 zum activen Dienste verpflichtet sind. Die Mongolen der innern Verwaltung oder diesseits der Gobi enthalten 1293; der äußern Verwaltung, die Chalka 163; des blauen Sees (Kokonor) 100 1/2; die Dsongaren 94; Tschachar 120; Mongolen an verschiedenen Orten 58; also zusammen 1,828 1/2 Escadronen, welche eine waffenfähige Mannschaft von 274,275 Mann bilden. Die Bevölkerung der ganzen chinesischen Mongolei und Dsongarei möchte sich demnach kaum auf eine Million und fünfmalhunderttausend Seelen belaufen. Ueber die Anzahl der einheimischen Truppen im östlichen Turkestan und Tibet sind wir gar nicht unterrichtet; eben so wenig kennen wir die Verpflichtungen der erblichen Lehnsherren und Beamten, über die zahlreichen autochthonen Clane gesetzt, sowohl innerhalb wie an den Gränzen des Reiches, namentlich gegen Laos, Birma, Assam und Tibet, deren im Ganzen 489 angegeben werden. Die regelmäßige chinesische Land- und Seemacht, von der wir Kunde haben, würde sich also im Ganzen auf eine Million, dreimalhunderttausend Mann belaufen. Es sind aber ohne Zweifel unter verschiedenen Benennungen, noch allerlei Leute im Lande der Mitte vorhanden, welche, obgleich in den gesammelten Satzungen des Reiches nicht besonders aufgeführt, doch zur bewaffneten Macht gerechnet werden müssen. Wir haben guten Grund anzunehmen, daß die Angaben, welche der englischen Gesandtschaft im Jahre 1792 in Betreff des Bestandes der chinesischen Armee mitgetheilt wurden, nicht übertrieben sind. Hiernach würde sie sich, wenn alle Aufgebote beisammen und alle im Urlaub befindlichen Soldaten eingerufen wären, auf eine Million achtmalhunderttausend Mann belaufen. Unter dieser, der Größe und dem Umfange des Reiches angemessenen bewaffneten Macht ist sicherlich die Landwehr oder Nationalgarde nicht mitbegriffen; sie muß, in Betracht der dichten Bevölkerung, außerordentlich zahlreich seyn. Es drohte ja während der letzten Wirren in Canton der kaiserliche Commissär: er würde, wenn die Barbaren sich nicht unterwerfen, „der Dörfer Kraft“ (Hiang jong), so wird chinesisch der Landsturm genannt, gegen sie aufrufen und die Widerspänstigen zermalmen lassen. Die Marine ist natürlich für ein Land mit so lang gestreckten Küsten von der größten Wichtigkeit; sie ward aber bis jetzt nicht bloß schmachvoll vernachlässigt, sondern man hat sogar ihrer Erweiterung und Ausbildung aus höheren Staatsgründen allerlei Hindernisse entgegengestellt. Die Regierung in Peking wünscht nicht, daß ihre Unterthanen mit dem Ausland in Verbindung kommen; sie sucht demgemäß durch allerlei Verordnungen den Handels- und Unternehmungsgeist des Volkes zu hemmen. Seit undenklichen Zeiten ist den Schiffen *) ihre Bauart und ein gewisses Maaß, das sie nicht überschreiten dürfen, vorgeschrieben. Auch noch bevor es sich bis zu den Gestaden des östlichen und südlichen Meeres ausdehnte, konnte das von großen und breiten Strömen nach allen Richtungen hin durchschnittene Land der Mitte der Schiffkunst nicht entbehren. Die Erfindung derselben wird deßhalb von den einheimischen Schriftstellern in die fabelhaften Zeiten des Hoangti hinaufgerückt, und jetzt noch bewahren sie die Form, in welcher der gelbe Herrscher mit eigener Hand sie zimmerte. Schwer ist es, Jemand, der niemals ein chinesisches Schiff gesehen, einen richtigen Begriff seiner eigenthümlichen Bauart zu geben; wer aber solch ein Fahrzeug auf offenem Meere einhersegelnd erbickte, der wird sicherlich das Schwerfällige, vorn und hinten Zusammengedrückte seiner Construction, so wenig wie das entenartige Watscheln seines Ganges, jemals vergessen können. Die Dschonk reichen an beiden Flanken hoch empor, und führen nur einen geringen Kiel. Sie haben bloß einen Mast von bedeutender Dicke, an welchem ein großes, aus Fasern des Bambu geflochtenes Segel befestigt ist, welches vermittelst einiger Stangen ausgespannt und wie ein Fächer auf- und zugemacht werden kann. Diese Fahrzeuge haben einen weiten unförmlichen Bauch, in welchem, je nach seiner Größe, verschiedene Cajüten oder richtiger Löcher angebracht sind, die kaum für einen erwachsenen Mann und eine Kiste Raum gewähren. In diesen Cajüten herrscht übrigens der größte Schmutz und unter der Mannschaft die tiefste Unwissenheit, wie der widerlichste Aberglaube. Von der Disciplin, wie sie auf europäischen Schiffen stattfindet, ist nicht einmal eine Spur vorhanden. Der Gehalt dieser Dschonk ist sehr verschieden; es gibt deren von 200, 500 und selbst von 1000 Tonnen. Die Regierungs- und Kriegsschiffe sind aber in keiner Weise von diesen Kauffahrern, deren China für die Binnenschifffahrt wie für den auswärtigen Seehandel eine große Anzahl besitzt, verschieden. Die commandirenden Officiere verstehen gewöhnlich gar nichts von der Schiff *) Ein Schiff heißt in der allgemeinen Sprache des Mittelreiches Tschuen, ein Wort, welches im Dialekte des Kreises Fokien, dessen Bewohner sich am meisten dem auswärtigen Handel ergeben, Tschonk ausgesprochen wird. Daher die Benennung chinesische Dschonken.

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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 176. Augsburg, 24. Juni 1840, S. 1403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_176_18400624/11>, abgerufen am 26.04.2024.