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Allgemeine Zeitung. Nr. 174. Augsburg, 22. Juni 1840.

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seyn, um gegen den verbundenen Druck des militärischen, politischen, nationalen und selbst intellectuellen Wahnes, in dem jene unruhige und mächtige Nation befangen ist, ein sattsames Gegengewicht zu bilden, und dem obersten dieser Rechenmeister, dem kecken und das Wichtige mit Leichtigkeit bloßstellenden Chef des Cabinets Kraft genug geben, die Dämme zu bauen und zu wahren, in denen er meint den Strom halten zu können, dessen Wogen über die Gränzen von Frankreich nach Europa hinausschlagen? In der That, die Pfeiler und Tragsteine des Baues, unter dem wir seit 25 Jahren wohnen, erscheinen gerade in dem Augenblick in voller Bedrohlichkeit, wo ihrer Wahrung, wo der Aufführung neuer, wo der Bindung des Ganzen die Kraft und die Einsicht des greisen Monarchen entzogen wird, der besonders seit 1830 fast allein auf dem Continent dem bedrängten König der Franzosen zu dem gemeinsamen Werke mit voller Aufrichtigkeit die Hand bot, und es wohl verdient hat, daß um ihn Ludwig Philipp und seine Familie auf die bloße Nachricht von seinem Tode die Trauer anlegten, noch ehe die amtliche Mittheilung auf gewöhnlichem Wege ihnen zugekommen war.

Selbst wenn wir die Augen von dem großen Welttheater, von Asien, von dem indischen Ocean, dem persischen und arabischen Meerbusen und dem Mittelmeer, von England, Rußland und Frankreich auf den eigenen Herd, auf Thor und Thür unsers Hauses richten, finden wir die zu Unmöglichkeiten gesteigerten Schwierigkeiten auf der Schwelle und im Innern den Bemühungen derjenigen entgegengelagert, die unsern Haushalt ordnen und auf seine Ordnung Dauer und Ruhm des gemeinsamen Vaterlandes gründen sollten. Unmöglichkeit, die Principien und Interessen der absoluten und constitutionellen Regierungen zu vergleichen, den politischen Zwist, welchen die hannover'sche Frage nicht geboren, sondern nur zum Ausbruch gebracht hat, im Sinne der öffentlichen Meinung zu endigen, die kirchliche Spaltung zu schlichten und die in ihrem Abgrund gährenden Leidenschaften zu besänftigen, die zerstreuten Kräfte zu einer verbundenen Masse, vorzüglich gegen Westen hin, zu vereinigen, oder irgend ein anderes der großen Probleme zu lösen, an denen die innere Befriedigung, die Stärke und die Sicherheit des Ganzen wie des Einzelnen hängt. Ist es da zu verwundern, wenn, während der Westen mit seinen Leidenschaften und Begehrnissen unsere Gränzen bedroht, auf der entgegengesetzten Seite die Pentarchisten von neuem auftreten, um uns als die sichere Beute des Ostens, einer fremden Nationalität, eines fremden Cultus, einer halbbarbarischen Habsucht und eines asiatischen Alastor darzustellen, dessen Füße Knechtschaft des Volks, dessen Leib bei innerer Fäulniß die Unmöglichkeit eines Rechtszustandes und dessen Haupt die Verbindung eines politisch-hierarchischen Absolutismus zeigt, dergleichen die Weltgeschichte noch nicht gesehen hat? Allerdings ist das unter solchen Verhältnissen und bei solcher Lage nicht zu verwundern; es ist diesen Geistern auch nicht zu wehren, durch die Luft zu fahren, zu heulen im Sturm und zu erseufzen unter dem Zusammenbruch der Waldbäume, oder über unsere Mauern einherzuschreiten und ihr: "Wehe dir Jerusalem, wehe dir und deinen Kindern!" über die schlafende Stadt weit hinaus durch die Nacht zu rufen. Doch mit jenen Geistern, und namentlich mit ihrem Wortführer in Ihrer Beilage vom 13 Junius werden wir es später zu thun haben; jetzt wird es genügen, das, was wir eben als das Gebiet der Unmöglichkeiten des gegenwärtigen Augenblicks bezeichnet haben, in das Auge zu fassen, und zu erwägen, ob nicht dennoch das verwickelte und klippenvolle Land in den Windungen seiner Berge und Abgründe irgendwo den Pfad des Heils verbirgt.

Wir erinnern dabei zuerst an die große Macht und den tiefen Einfluß der den Weltfrieden gebietenden materiellen Interessen, welche gleich gewogen und gleich gedrängt, darum aber von dem politischen Geist und der Einsicht des größten Staatsmannes und Weisen aller Zeiten und Völker im leichten, im gleichmäßigen Schwung gehalten werden. Es ist diese gewaltige Person keine andere, als welche der graue französische Diplomat mit ihrem wahren Namen bezeichnet und Jedermann genannt hat, der bald in den Fürsten und in den Völkern, den Hohen und Niedern sich als einen mächtigen Trieb der Erhaltung, bald als die allgemeine Einsicht in das unserer Lage Nothwendige und Ersprießliche ankündigt; es ist der groß, klug und darum mächtig gewordene gemeine Verstand, der, viele Gestalten annehmend, und in allen derselbe, den Lenkern und Steuerführern des Staatsschiffs, oder vielmehr allen, zur europäischen Flotte vereinigten großen, mittlern und kleinern Staatsschiffen, bald als Leitstern am Pole strahlt, bald als Fahrwind die Segel schwellt, bald aber, wenn Hader oder Schuld droht, als Nereus sein Haupt aus den Fluthen erhebt, um die Schrecknisse des Irrweges zu verkündigen oder, wie der Dichter sagt, "die wilden Schicksale zu singen": Fera Nereus ut caneret fata, welche in den furchtbaren Spruch ausgehen:

Post certas hyemes uret Achaicus
Ignis Pergameas domus.

Die Kraft dieser Weisheit wird durch einige hoch- und über den Verhältnissen stehende Charaktere und ihre große Welterfahrung gestützt und werkthätig gemacht. In dem Innern des türkischen Orients ist es die, obwohl von Gräueln eines wilden Barbarismus umgebene und in ihnen erstarkte, aber darum doch große Persönlichkeit Mehemed Ali's, welcher in den europäischen Wirren der pentarchischen Ohnmacht sein ablehnendes Nein entgegenstellt und, ist überhaupt der letzte Tag des Orients noch nicht angebrochen, im Stande seyn wird, ihn zu verzögern, um jene Länder über die Rathlosigkeit der halben und falschen Freunde hinweg und zur Ruhe zu bringen, sollt es auch die der eisernen Ruthe und des orientalischen Fluches seyn; und in Frankreich ist es Ludwig Philipp, der selbst die ihm aufgenöthigte Lage des 1 März hinnehmend, wie sie war, jetzt schon, wenn nicht Alles täuscht, der innern Bewegung seines Cabinets von neuem Meister geworden und mit dem Chef desselben in eine innere Uebereinstimmung gekommen ist, welche durch die vollkommene Zusammenwirkung von Guizot in London und von Pontois in Konstantinopel bestätigt, durch die regsame Keckheit aber und Gewandtheit des Hrn. Thiers gehoben und für die Lösung der wichtigsten Probleme heilbringend gemacht wird. Hier also sind in zwei durch Alter und Erfahrung starken Greisen für die Angelegenheiten der beiden Welttheile zwei Sturm- und Wogenbrecher aufgestellt, noch stark genug, die Brandung von einem Hafen abzuhalten, auch nachdem der dritte neben ihnen durch die Zeit hinweggerissen ward, und Ludwig Philipp durch den Trauerflor von Berlin von dieser Seite auf sich selbst und seine eigene Ueberlegenheit und Erfahrung beschränkt ist.

Der dritte Hort unserer Sicherheit inmitten jener Unmöglichkeiten, welche gleich den Klippen eines ägäischen Meeres unsern Weg umlagern, ist die Lage des öffentlichen Vermögens und der Umstand, daß in Folge dieser Lage gerade das Eigenthum der einflußreichsten Häuser und Personen an den Bestand des europäischen Friedens geknüpft ist. Zu jeder großen kriegerischen Bewegung braucht man die Dazwischenkunft des öffentlichen Credits. Kein Reich könnte Krieg führen ohne neue Anlehen, aber jeder Krieg würde gerade die Geldmacht am tiefsten erschüttern; schon eine Wahrscheinlichkeit desselben drückt

seyn, um gegen den verbundenen Druck des militärischen, politischen, nationalen und selbst intellectuellen Wahnes, in dem jene unruhige und mächtige Nation befangen ist, ein sattsames Gegengewicht zu bilden, und dem obersten dieser Rechenmeister, dem kecken und das Wichtige mit Leichtigkeit bloßstellenden Chef des Cabinets Kraft genug geben, die Dämme zu bauen und zu wahren, in denen er meint den Strom halten zu können, dessen Wogen über die Gränzen von Frankreich nach Europa hinausschlagen? In der That, die Pfeiler und Tragsteine des Baues, unter dem wir seit 25 Jahren wohnen, erscheinen gerade in dem Augenblick in voller Bedrohlichkeit, wo ihrer Wahrung, wo der Aufführung neuer, wo der Bindung des Ganzen die Kraft und die Einsicht des greisen Monarchen entzogen wird, der besonders seit 1830 fast allein auf dem Continent dem bedrängten König der Franzosen zu dem gemeinsamen Werke mit voller Aufrichtigkeit die Hand bot, und es wohl verdient hat, daß um ihn Ludwig Philipp und seine Familie auf die bloße Nachricht von seinem Tode die Trauer anlegten, noch ehe die amtliche Mittheilung auf gewöhnlichem Wege ihnen zugekommen war.

Selbst wenn wir die Augen von dem großen Welttheater, von Asien, von dem indischen Ocean, dem persischen und arabischen Meerbusen und dem Mittelmeer, von England, Rußland und Frankreich auf den eigenen Herd, auf Thor und Thür unsers Hauses richten, finden wir die zu Unmöglichkeiten gesteigerten Schwierigkeiten auf der Schwelle und im Innern den Bemühungen derjenigen entgegengelagert, die unsern Haushalt ordnen und auf seine Ordnung Dauer und Ruhm des gemeinsamen Vaterlandes gründen sollten. Unmöglichkeit, die Principien und Interessen der absoluten und constitutionellen Regierungen zu vergleichen, den politischen Zwist, welchen die hannover'sche Frage nicht geboren, sondern nur zum Ausbruch gebracht hat, im Sinne der öffentlichen Meinung zu endigen, die kirchliche Spaltung zu schlichten und die in ihrem Abgrund gährenden Leidenschaften zu besänftigen, die zerstreuten Kräfte zu einer verbundenen Masse, vorzüglich gegen Westen hin, zu vereinigen, oder irgend ein anderes der großen Probleme zu lösen, an denen die innere Befriedigung, die Stärke und die Sicherheit des Ganzen wie des Einzelnen hängt. Ist es da zu verwundern, wenn, während der Westen mit seinen Leidenschaften und Begehrnissen unsere Gränzen bedroht, auf der entgegengesetzten Seite die Pentarchisten von neuem auftreten, um uns als die sichere Beute des Ostens, einer fremden Nationalität, eines fremden Cultus, einer halbbarbarischen Habsucht und eines asiatischen Alastor darzustellen, dessen Füße Knechtschaft des Volks, dessen Leib bei innerer Fäulniß die Unmöglichkeit eines Rechtszustandes und dessen Haupt die Verbindung eines politisch-hierarchischen Absolutismus zeigt, dergleichen die Weltgeschichte noch nicht gesehen hat? Allerdings ist das unter solchen Verhältnissen und bei solcher Lage nicht zu verwundern; es ist diesen Geistern auch nicht zu wehren, durch die Luft zu fahren, zu heulen im Sturm und zu erseufzen unter dem Zusammenbruch der Waldbäume, oder über unsere Mauern einherzuschreiten und ihr: „Wehe dir Jerusalem, wehe dir und deinen Kindern!“ über die schlafende Stadt weit hinaus durch die Nacht zu rufen. Doch mit jenen Geistern, und namentlich mit ihrem Wortführer in Ihrer Beilage vom 13 Junius werden wir es später zu thun haben; jetzt wird es genügen, das, was wir eben als das Gebiet der Unmöglichkeiten des gegenwärtigen Augenblicks bezeichnet haben, in das Auge zu fassen, und zu erwägen, ob nicht dennoch das verwickelte und klippenvolle Land in den Windungen seiner Berge und Abgründe irgendwo den Pfad des Heils verbirgt.

Wir erinnern dabei zuerst an die große Macht und den tiefen Einfluß der den Weltfrieden gebietenden materiellen Interessen, welche gleich gewogen und gleich gedrängt, darum aber von dem politischen Geist und der Einsicht des größten Staatsmannes und Weisen aller Zeiten und Völker im leichten, im gleichmäßigen Schwung gehalten werden. Es ist diese gewaltige Person keine andere, als welche der graue französische Diplomat mit ihrem wahren Namen bezeichnet und Jedermann genannt hat, der bald in den Fürsten und in den Völkern, den Hohen und Niedern sich als einen mächtigen Trieb der Erhaltung, bald als die allgemeine Einsicht in das unserer Lage Nothwendige und Ersprießliche ankündigt; es ist der groß, klug und darum mächtig gewordene gemeine Verstand, der, viele Gestalten annehmend, und in allen derselbe, den Lenkern und Steuerführern des Staatsschiffs, oder vielmehr allen, zur europäischen Flotte vereinigten großen, mittlern und kleinern Staatsschiffen, bald als Leitstern am Pole strahlt, bald als Fahrwind die Segel schwellt, bald aber, wenn Hader oder Schuld droht, als Nereus sein Haupt aus den Fluthen erhebt, um die Schrecknisse des Irrweges zu verkündigen oder, wie der Dichter sagt, „die wilden Schicksale zu singen“: Fera Nereus ut caneret fata, welche in den furchtbaren Spruch ausgehen:

Post certas hyemes uret Achaicus
Ignis Pergameas domus.

Die Kraft dieser Weisheit wird durch einige hoch- und über den Verhältnissen stehende Charaktere und ihre große Welterfahrung gestützt und werkthätig gemacht. In dem Innern des türkischen Orients ist es die, obwohl von Gräueln eines wilden Barbarismus umgebene und in ihnen erstarkte, aber darum doch große Persönlichkeit Mehemed Ali's, welcher in den europäischen Wirren der pentarchischen Ohnmacht sein ablehnendes Nein entgegenstellt und, ist überhaupt der letzte Tag des Orients noch nicht angebrochen, im Stande seyn wird, ihn zu verzögern, um jene Länder über die Rathlosigkeit der halben und falschen Freunde hinweg und zur Ruhe zu bringen, sollt es auch die der eisernen Ruthe und des orientalischen Fluches seyn; und in Frankreich ist es Ludwig Philipp, der selbst die ihm aufgenöthigte Lage des 1 März hinnehmend, wie sie war, jetzt schon, wenn nicht Alles täuscht, der innern Bewegung seines Cabinets von neuem Meister geworden und mit dem Chef desselben in eine innere Uebereinstimmung gekommen ist, welche durch die vollkommene Zusammenwirkung von Guizot in London und von Pontois in Konstantinopel bestätigt, durch die regsame Keckheit aber und Gewandtheit des Hrn. Thiers gehoben und für die Lösung der wichtigsten Probleme heilbringend gemacht wird. Hier also sind in zwei durch Alter und Erfahrung starken Greisen für die Angelegenheiten der beiden Welttheile zwei Sturm- und Wogenbrecher aufgestellt, noch stark genug, die Brandung von einem Hafen abzuhalten, auch nachdem der dritte neben ihnen durch die Zeit hinweggerissen ward, und Ludwig Philipp durch den Trauerflor von Berlin von dieser Seite auf sich selbst und seine eigene Ueberlegenheit und Erfahrung beschränkt ist.

Der dritte Hort unserer Sicherheit inmitten jener Unmöglichkeiten, welche gleich den Klippen eines ägäischen Meeres unsern Weg umlagern, ist die Lage des öffentlichen Vermögens und der Umstand, daß in Folge dieser Lage gerade das Eigenthum der einflußreichsten Häuser und Personen an den Bestand des europäischen Friedens geknüpft ist. Zu jeder großen kriegerischen Bewegung braucht man die Dazwischenkunft des öffentlichen Credits. Kein Reich könnte Krieg führen ohne neue Anlehen, aber jeder Krieg würde gerade die Geldmacht am tiefsten erschüttern; schon eine Wahrscheinlichkeit desselben drückt

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[1386/0010] seyn, um gegen den verbundenen Druck des militärischen, politischen, nationalen und selbst intellectuellen Wahnes, in dem jene unruhige und mächtige Nation befangen ist, ein sattsames Gegengewicht zu bilden, und dem obersten dieser Rechenmeister, dem kecken und das Wichtige mit Leichtigkeit bloßstellenden Chef des Cabinets Kraft genug geben, die Dämme zu bauen und zu wahren, in denen er meint den Strom halten zu können, dessen Wogen über die Gränzen von Frankreich nach Europa hinausschlagen? In der That, die Pfeiler und Tragsteine des Baues, unter dem wir seit 25 Jahren wohnen, erscheinen gerade in dem Augenblick in voller Bedrohlichkeit, wo ihrer Wahrung, wo der Aufführung neuer, wo der Bindung des Ganzen die Kraft und die Einsicht des greisen Monarchen entzogen wird, der besonders seit 1830 fast allein auf dem Continent dem bedrängten König der Franzosen zu dem gemeinsamen Werke mit voller Aufrichtigkeit die Hand bot, und es wohl verdient hat, daß um ihn Ludwig Philipp und seine Familie auf die bloße Nachricht von seinem Tode die Trauer anlegten, noch ehe die amtliche Mittheilung auf gewöhnlichem Wege ihnen zugekommen war. Selbst wenn wir die Augen von dem großen Welttheater, von Asien, von dem indischen Ocean, dem persischen und arabischen Meerbusen und dem Mittelmeer, von England, Rußland und Frankreich auf den eigenen Herd, auf Thor und Thür unsers Hauses richten, finden wir die zu Unmöglichkeiten gesteigerten Schwierigkeiten auf der Schwelle und im Innern den Bemühungen derjenigen entgegengelagert, die unsern Haushalt ordnen und auf seine Ordnung Dauer und Ruhm des gemeinsamen Vaterlandes gründen sollten. Unmöglichkeit, die Principien und Interessen der absoluten und constitutionellen Regierungen zu vergleichen, den politischen Zwist, welchen die hannover'sche Frage nicht geboren, sondern nur zum Ausbruch gebracht hat, im Sinne der öffentlichen Meinung zu endigen, die kirchliche Spaltung zu schlichten und die in ihrem Abgrund gährenden Leidenschaften zu besänftigen, die zerstreuten Kräfte zu einer verbundenen Masse, vorzüglich gegen Westen hin, zu vereinigen, oder irgend ein anderes der großen Probleme zu lösen, an denen die innere Befriedigung, die Stärke und die Sicherheit des Ganzen wie des Einzelnen hängt. Ist es da zu verwundern, wenn, während der Westen mit seinen Leidenschaften und Begehrnissen unsere Gränzen bedroht, auf der entgegengesetzten Seite die Pentarchisten von neuem auftreten, um uns als die sichere Beute des Ostens, einer fremden Nationalität, eines fremden Cultus, einer halbbarbarischen Habsucht und eines asiatischen Alastor darzustellen, dessen Füße Knechtschaft des Volks, dessen Leib bei innerer Fäulniß die Unmöglichkeit eines Rechtszustandes und dessen Haupt die Verbindung eines politisch-hierarchischen Absolutismus zeigt, dergleichen die Weltgeschichte noch nicht gesehen hat? Allerdings ist das unter solchen Verhältnissen und bei solcher Lage nicht zu verwundern; es ist diesen Geistern auch nicht zu wehren, durch die Luft zu fahren, zu heulen im Sturm und zu erseufzen unter dem Zusammenbruch der Waldbäume, oder über unsere Mauern einherzuschreiten und ihr: „Wehe dir Jerusalem, wehe dir und deinen Kindern!“ über die schlafende Stadt weit hinaus durch die Nacht zu rufen. Doch mit jenen Geistern, und namentlich mit ihrem Wortführer in Ihrer Beilage vom 13 Junius werden wir es später zu thun haben; jetzt wird es genügen, das, was wir eben als das Gebiet der Unmöglichkeiten des gegenwärtigen Augenblicks bezeichnet haben, in das Auge zu fassen, und zu erwägen, ob nicht dennoch das verwickelte und klippenvolle Land in den Windungen seiner Berge und Abgründe irgendwo den Pfad des Heils verbirgt. Wir erinnern dabei zuerst an die große Macht und den tiefen Einfluß der den Weltfrieden gebietenden materiellen Interessen, welche gleich gewogen und gleich gedrängt, darum aber von dem politischen Geist und der Einsicht des größten Staatsmannes und Weisen aller Zeiten und Völker im leichten, im gleichmäßigen Schwung gehalten werden. Es ist diese gewaltige Person keine andere, als welche der graue französische Diplomat mit ihrem wahren Namen bezeichnet und Jedermann genannt hat, der bald in den Fürsten und in den Völkern, den Hohen und Niedern sich als einen mächtigen Trieb der Erhaltung, bald als die allgemeine Einsicht in das unserer Lage Nothwendige und Ersprießliche ankündigt; es ist der groß, klug und darum mächtig gewordene gemeine Verstand, der, viele Gestalten annehmend, und in allen derselbe, den Lenkern und Steuerführern des Staatsschiffs, oder vielmehr allen, zur europäischen Flotte vereinigten großen, mittlern und kleinern Staatsschiffen, bald als Leitstern am Pole strahlt, bald als Fahrwind die Segel schwellt, bald aber, wenn Hader oder Schuld droht, als Nereus sein Haupt aus den Fluthen erhebt, um die Schrecknisse des Irrweges zu verkündigen oder, wie der Dichter sagt, „die wilden Schicksale zu singen“: Fera Nereus ut caneret fata, welche in den furchtbaren Spruch ausgehen: Post certas hyemes uret Achaicus Ignis Pergameas domus. Die Kraft dieser Weisheit wird durch einige hoch- und über den Verhältnissen stehende Charaktere und ihre große Welterfahrung gestützt und werkthätig gemacht. In dem Innern des türkischen Orients ist es die, obwohl von Gräueln eines wilden Barbarismus umgebene und in ihnen erstarkte, aber darum doch große Persönlichkeit Mehemed Ali's, welcher in den europäischen Wirren der pentarchischen Ohnmacht sein ablehnendes Nein entgegenstellt und, ist überhaupt der letzte Tag des Orients noch nicht angebrochen, im Stande seyn wird, ihn zu verzögern, um jene Länder über die Rathlosigkeit der halben und falschen Freunde hinweg und zur Ruhe zu bringen, sollt es auch die der eisernen Ruthe und des orientalischen Fluches seyn; und in Frankreich ist es Ludwig Philipp, der selbst die ihm aufgenöthigte Lage des 1 März hinnehmend, wie sie war, jetzt schon, wenn nicht Alles täuscht, der innern Bewegung seines Cabinets von neuem Meister geworden und mit dem Chef desselben in eine innere Uebereinstimmung gekommen ist, welche durch die vollkommene Zusammenwirkung von Guizot in London und von Pontois in Konstantinopel bestätigt, durch die regsame Keckheit aber und Gewandtheit des Hrn. Thiers gehoben und für die Lösung der wichtigsten Probleme heilbringend gemacht wird. Hier also sind in zwei durch Alter und Erfahrung starken Greisen für die Angelegenheiten der beiden Welttheile zwei Sturm- und Wogenbrecher aufgestellt, noch stark genug, die Brandung von einem Hafen abzuhalten, auch nachdem der dritte neben ihnen durch die Zeit hinweggerissen ward, und Ludwig Philipp durch den Trauerflor von Berlin von dieser Seite auf sich selbst und seine eigene Ueberlegenheit und Erfahrung beschränkt ist. Der dritte Hort unserer Sicherheit inmitten jener Unmöglichkeiten, welche gleich den Klippen eines ägäischen Meeres unsern Weg umlagern, ist die Lage des öffentlichen Vermögens und der Umstand, daß in Folge dieser Lage gerade das Eigenthum der einflußreichsten Häuser und Personen an den Bestand des europäischen Friedens geknüpft ist. Zu jeder großen kriegerischen Bewegung braucht man die Dazwischenkunft des öffentlichen Credits. 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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 174. Augsburg, 22. Juni 1840, S. 1386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_174_18400622/10>, abgerufen am 26.04.2024.