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Allgemeine Zeitung. Nr. 120. Augsburg, 29. April 1840.

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Gefahr befürchte. Die blutigen Ereignisse des Sommers 1837 sind hier noch in zu frischem Andenken, um nicht von dieser Seite das Schlimmste wenigstens nicht für unmöglich zu halten. Man hat sich in Neapel große Mißgriffe vorzuwerfen, und politische Sünden werden in der Regel hart gebüßt. Mit Sicilien ist man aber schonungslos genug verfahren. Bekanntlich hat die Insel von frühester Zeit an mit Neapel in wenig Verbindung gestanden; eine tief gewurzelte Abneigung gegen den italienischen Continent, den die Sicilianer auch immer Italien nennen - sich selbst halten sie nicht für Italiener - ist ein Hauptzug im sicilischen Volkscharakter. Diese Abneigung trat jeder Annäherung entgegen; auch die politischen Verhältnisse führten zu einer verschiedenartigen Entwicklung. Als Karl III beide Länder unter seinem Scepter vereinigte, waren sie in administrativer Hinsicht völlig geschieden, und blieben es bis zum Jahr 1816. In diesem Zeitraum erwies sich Sicilien inmitten der Umwälzungen des Zeitalters, denen Unteritalien nicht entging, stets seinem König treu und anhänglich. In den Jahren 1798 und 1805 bot es ihm ein Asyl, und wenn es gleich in der Folge fremden Intriguen gelang, eine Art von Umsturz des Bestehenden hervorzubringen, wo denn sodann die monströse Costituzione Bentinck entstand, so erschütterten selbst diese Ereignisse im Grunde keineswegs die Treue der Sicilianer. Inzwischen blieb dieser verunglückte, ja burleske Versuch, in Sicilien englische Regierungsformen einzuführen, für die Insel dennoch nicht ohne wichtige Folgen. Als nämlich König Ferdinand I in seiner Hauptstadt Neapel wieder einzog und mit Recht darauf Bedacht nahm, in seinen Landen der Ordnung zu pflegen, so kam in diesen Arbeiten die Reihe auch an Sicilien, die Bentinck'sche Constitution mußte gestürzt werden, man ließ es aber dabei bewenden, man stellte den alten Zustand nicht wieder her, und Sicilien, das stolze, reiche, unabhängige Land, mit seiner feudalen Baronie und seiner reichen Geistlichkeit, durch Jahrhunderte gewöhnt, sich selbst zu verwalten, ward in Folge eines Federstrichs zur eroberten Provinz herabgewürdigt - mit andern Worten, ein königliches Decret vom Jahr 1816 sprach die Vereinigung der sicilischen Regierung mit Neapel aus. Die beiden Reiche dieß- und jenseits des Faro sollten unter Ein Gesetz und dieselbe Verwaltung gestellt werden. Man versah es nur in Einem Punkte, nämlich: daß beide Länder so durchaus verschiedene Verhältnisse darboten. In Neapel hatten die französischen Revolutionsstürme so zu sagen Tabula rasa gemacht, von der alten Zeit war auch keine Spur, in dem beweglichen und vergeßlichen Volke fast keine Erinnerung geblieben. Der Adel war zu bloßen Titulirten herabgesunken, die Geistlichkeit hatte ihre Güter verloren, das alte Recht war dem Napoleon'schen Gesetz gewichen In Sicilien war im Grund Alles beim Alten geblieben, und dennoch außer der Unterwerfung unter Neapel, sollten die feudalen mittelalterlichen Zustände der Insel ohne alle innere Veranlassung umgegossen und in moderne französische Formen gebracht werden. Es geschah, aber nicht zum Heil der Insel, auch nicht des neapolitanischen Festlands, noch der Regierung. Nur die Anhänglichkeit an die königliche Familie überwand auch diesen Stoß, aber der Haß gegen alles, was neapolitanisch ist, das Mißtrauen, die Verachtung gegen ihre Mitbrüder diesseits des Faro nahmen bei den Sicilianern furchtbar zu. Der Wohlstand der Insel sank rasch, gewiß nicht ausschließlich durch die Schuld der Regierung, wenn gleich zum Theil, dieser aber einstimmig und durchgehends zugeschrieben.

Als im Jahr 1820 die Militärrevolte in Noto ausgebrochen war, noch ehe der Brand die entfernteren Theile des Festlandes ergriffen hatte, kam er auch in Sicilien, wo inzwischen hinlänglicher Gährungsstoff gesammelt worden, zum Ausbruch; nur mit dem Unterschied, daß in Neapel die Revolution rein demokratisch und carbonarisch war, während sich in Palermo, wo man zuerst losschlug, die Patricier der Bewegung bemächtigten. Man wollte nichts als Independenza; nicht etwa vom König, nein, nur von der neapolitanischen Regierung wollte man sich lossagen. Diese Tendenz ging der europäischen Diplomatie nicht verloren, und als der Congreß von Laibach sich mit Ordnung der neapolitanischen Verhältnisse beschäftigte, wurde die administrative Trennung Siciliens von Neapel als Grundsatz aufgestellt. Zu Stande kam sie freilich erst im Jahr 1824, als ein königliches Decret vom 21 Jun. die beiden Consulten trotz dem Widerstreben des Ministers Medici ins Leben rief. Die neapolitanische bestand aus sechzehn neapolitanischen, die sicilianische aus acht Mitgliedern, letztere durchaus Sicilianer, beide Consulten sollten in Neapel "presso il Re" residiren, in ihre Sphäre gehörten alle Gegenstände der Gesetzgebung und Gesetzesauslegung, Competenzfragen in zweifelhaften Fällen, Begutachtung der Urtheilssprüche der großen Gerichtshöfe von Neapel und Palermo. Endlich behielt sich der König vor, die Arbeiten seiner Minister, wo nothwendig, der umständlichen und reiferen Prüfung der Consulten zu unterziehen, doch war ihr Votum ein rein consultatives. Zugleich wurde eine in Palermo residirende segretaria reale errichtet. Man sieht, die Trennung war vollständig, wie denn auch die Bestimmung des organischen Statuts vom Jahr 1816, welche die Aemter in Sicilien den Sicilianern ausschließlich vorbehält, und sie zum vierten Theil zu jenen des vereinigten Königreichs zuließ, während der übrigen Regierungsperiode König Ferdinands I und unter Franz I sorgfältig aufrecht erhalten wurde. Mit veränderten Bestrebungen trat die neue Regierung gleich vom Anfang hervor. Fürst Cassaro, obgleich selbst Sicilianer mit Leib und Seele, vermochte nicht die organischen Veränderungen abzuhalten, welche im Jahr 1831 und 1833 in den Verhältnissen Siciliens zu Neapel eingeführt wurden. Der wichtigste Schritt ward aber erst im Jahr 1837 gethan.

Die neunzehn königlichen Decrete vom 31 Oct. 1837 heben die Selbstverwaltung Siciliens auf, und machen die Insel förmlich zu einer Provinz. Die traurige Veranlassung zu diesen durchgreifenden Maaßregeln sind noch frisch in Jedermanns Gedächtniß. Nachdem in Palermo vom 1 bis 14 Julius 18,600 Personen der Cholera erlegen waren, brach der Aufstand in den benachbarten Ortschaften Baggaria, Carini, Abbate, Capace aus. Gleichzeitige Bewegungen hatten in Messina, in Catania und Syrakus statt. Im Grunde wiederholten sich in Sicilien nur die Auftritte, welche der Wahn, die Regierungen verbreiteten die Cholera, in minder ausschweifender Weise bei dem ersten Auftreten der Seuche auch anderwärts hervorgerufen hatte. Da aber auch anderes Elend, Mißmuth und vielfacher Grund der Beschwerde, verbunden mit dem entflammbaren und kräftigen Volkscharakter, hinzutraten, so loderte der Brand bald an allen drei Ecken der Insel, am heftigsten aber an der Ostküste. Diese bot ein Schauspiel dar, welches in gar mancher Beziehung an das Mittelalter gemahnte. Die Städte sprachen sich nach ihren Localinteressen für oder gegen die Regierung aus: Palermo wurde bald beruhigt und die Valle entwaffnet, dagegen war die Stimmung in Messina schon zweideutiger, entschieden feindselig aber benahmen sich Syrakus und Catania. In letzterer Stadt erwies sich das Militär äußerst feig, eine gelbe Fahne wurde aufgezogen und die alte Losung Independenza della Sicilia kam wieder zum Vorschein. Mittlerweile blieb man in Neapel nicht müßig. Truppen wurden in Eile eingeschifft und nach Reggio geführt, und der Polizeiminister,

Gefahr befürchte. Die blutigen Ereignisse des Sommers 1837 sind hier noch in zu frischem Andenken, um nicht von dieser Seite das Schlimmste wenigstens nicht für unmöglich zu halten. Man hat sich in Neapel große Mißgriffe vorzuwerfen, und politische Sünden werden in der Regel hart gebüßt. Mit Sicilien ist man aber schonungslos genug verfahren. Bekanntlich hat die Insel von frühester Zeit an mit Neapel in wenig Verbindung gestanden; eine tief gewurzelte Abneigung gegen den italienischen Continent, den die Sicilianer auch immer Italien nennen – sich selbst halten sie nicht für Italiener – ist ein Hauptzug im sicilischen Volkscharakter. Diese Abneigung trat jeder Annäherung entgegen; auch die politischen Verhältnisse führten zu einer verschiedenartigen Entwicklung. Als Karl III beide Länder unter seinem Scepter vereinigte, waren sie in administrativer Hinsicht völlig geschieden, und blieben es bis zum Jahr 1816. In diesem Zeitraum erwies sich Sicilien inmitten der Umwälzungen des Zeitalters, denen Unteritalien nicht entging, stets seinem König treu und anhänglich. In den Jahren 1798 und 1805 bot es ihm ein Asyl, und wenn es gleich in der Folge fremden Intriguen gelang, eine Art von Umsturz des Bestehenden hervorzubringen, wo denn sodann die monströse Costituzione Bentinck entstand, so erschütterten selbst diese Ereignisse im Grunde keineswegs die Treue der Sicilianer. Inzwischen blieb dieser verunglückte, ja burleske Versuch, in Sicilien englische Regierungsformen einzuführen, für die Insel dennoch nicht ohne wichtige Folgen. Als nämlich König Ferdinand I in seiner Hauptstadt Neapel wieder einzog und mit Recht darauf Bedacht nahm, in seinen Landen der Ordnung zu pflegen, so kam in diesen Arbeiten die Reihe auch an Sicilien, die Bentinck'sche Constitution mußte gestürzt werden, man ließ es aber dabei bewenden, man stellte den alten Zustand nicht wieder her, und Sicilien, das stolze, reiche, unabhängige Land, mit seiner feudalen Baronie und seiner reichen Geistlichkeit, durch Jahrhunderte gewöhnt, sich selbst zu verwalten, ward in Folge eines Federstrichs zur eroberten Provinz herabgewürdigt – mit andern Worten, ein königliches Decret vom Jahr 1816 sprach die Vereinigung der sicilischen Regierung mit Neapel aus. Die beiden Reiche dieß- und jenseits des Faro sollten unter Ein Gesetz und dieselbe Verwaltung gestellt werden. Man versah es nur in Einem Punkte, nämlich: daß beide Länder so durchaus verschiedene Verhältnisse darboten. In Neapel hatten die französischen Revolutionsstürme so zu sagen Tabula rasa gemacht, von der alten Zeit war auch keine Spur, in dem beweglichen und vergeßlichen Volke fast keine Erinnerung geblieben. Der Adel war zu bloßen Titulirten herabgesunken, die Geistlichkeit hatte ihre Güter verloren, das alte Recht war dem Napoleon'schen Gesetz gewichen In Sicilien war im Grund Alles beim Alten geblieben, und dennoch außer der Unterwerfung unter Neapel, sollten die feudalen mittelalterlichen Zustände der Insel ohne alle innere Veranlassung umgegossen und in moderne französische Formen gebracht werden. Es geschah, aber nicht zum Heil der Insel, auch nicht des neapolitanischen Festlands, noch der Regierung. Nur die Anhänglichkeit an die königliche Familie überwand auch diesen Stoß, aber der Haß gegen alles, was neapolitanisch ist, das Mißtrauen, die Verachtung gegen ihre Mitbrüder diesseits des Faro nahmen bei den Sicilianern furchtbar zu. Der Wohlstand der Insel sank rasch, gewiß nicht ausschließlich durch die Schuld der Regierung, wenn gleich zum Theil, dieser aber einstimmig und durchgehends zugeschrieben.

Als im Jahr 1820 die Militärrevolte in Noto ausgebrochen war, noch ehe der Brand die entfernteren Theile des Festlandes ergriffen hatte, kam er auch in Sicilien, wo inzwischen hinlänglicher Gährungsstoff gesammelt worden, zum Ausbruch; nur mit dem Unterschied, daß in Neapel die Revolution rein demokratisch und carbonarisch war, während sich in Palermo, wo man zuerst losschlug, die Patricier der Bewegung bemächtigten. Man wollte nichts als Independenza; nicht etwa vom König, nein, nur von der neapolitanischen Regierung wollte man sich lossagen. Diese Tendenz ging der europäischen Diplomatie nicht verloren, und als der Congreß von Laibach sich mit Ordnung der neapolitanischen Verhältnisse beschäftigte, wurde die administrative Trennung Siciliens von Neapel als Grundsatz aufgestellt. Zu Stande kam sie freilich erst im Jahr 1824, als ein königliches Decret vom 21 Jun. die beiden Consulten trotz dem Widerstreben des Ministers Medici ins Leben rief. Die neapolitanische bestand aus sechzehn neapolitanischen, die sicilianische aus acht Mitgliedern, letztere durchaus Sicilianer, beide Consulten sollten in Neapel „presso il Rè“ residiren, in ihre Sphäre gehörten alle Gegenstände der Gesetzgebung und Gesetzesauslegung, Competenzfragen in zweifelhaften Fällen, Begutachtung der Urtheilssprüche der großen Gerichtshöfe von Neapel und Palermo. Endlich behielt sich der König vor, die Arbeiten seiner Minister, wo nothwendig, der umständlichen und reiferen Prüfung der Consulten zu unterziehen, doch war ihr Votum ein rein consultatives. Zugleich wurde eine in Palermo residirende segretaria reale errichtet. Man sieht, die Trennung war vollständig, wie denn auch die Bestimmung des organischen Statuts vom Jahr 1816, welche die Aemter in Sicilien den Sicilianern ausschließlich vorbehält, und sie zum vierten Theil zu jenen des vereinigten Königreichs zuließ, während der übrigen Regierungsperiode König Ferdinands I und unter Franz I sorgfältig aufrecht erhalten wurde. Mit veränderten Bestrebungen trat die neue Regierung gleich vom Anfang hervor. Fürst Cassaro, obgleich selbst Sicilianer mit Leib und Seele, vermochte nicht die organischen Veränderungen abzuhalten, welche im Jahr 1831 und 1833 in den Verhältnissen Siciliens zu Neapel eingeführt wurden. Der wichtigste Schritt ward aber erst im Jahr 1837 gethan.

Die neunzehn königlichen Decrete vom 31 Oct. 1837 heben die Selbstverwaltung Siciliens auf, und machen die Insel förmlich zu einer Provinz. Die traurige Veranlassung zu diesen durchgreifenden Maaßregeln sind noch frisch in Jedermanns Gedächtniß. Nachdem in Palermo vom 1 bis 14 Julius 18,600 Personen der Cholera erlegen waren, brach der Aufstand in den benachbarten Ortschaften Baggaria, Carini, Abbate, Capace aus. Gleichzeitige Bewegungen hatten in Messina, in Catania und Syrakus statt. Im Grunde wiederholten sich in Sicilien nur die Auftritte, welche der Wahn, die Regierungen verbreiteten die Cholera, in minder ausschweifender Weise bei dem ersten Auftreten der Seuche auch anderwärts hervorgerufen hatte. Da aber auch anderes Elend, Mißmuth und vielfacher Grund der Beschwerde, verbunden mit dem entflammbaren und kräftigen Volkscharakter, hinzutraten, so loderte der Brand bald an allen drei Ecken der Insel, am heftigsten aber an der Ostküste. Diese bot ein Schauspiel dar, welches in gar mancher Beziehung an das Mittelalter gemahnte. Die Städte sprachen sich nach ihren Localinteressen für oder gegen die Regierung aus: Palermo wurde bald beruhigt und die Valle entwaffnet, dagegen war die Stimmung in Messina schon zweideutiger, entschieden feindselig aber benahmen sich Syrakus und Catania. In letzterer Stadt erwies sich das Militär äußerst feig, eine gelbe Fahne wurde aufgezogen und die alte Losung Independenza della Sicilia kam wieder zum Vorschein. Mittlerweile blieb man in Neapel nicht müßig. Truppen wurden in Eile eingeschifft und nach Reggio geführt, und der Polizeiminister,

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Gefahr befürchte. Die blutigen Ereignisse des Sommers 1837 sind hier noch in zu frischem Andenken, um nicht von dieser Seite das Schlimmste wenigstens nicht für unmöglich zu halten. Man hat sich in Neapel große Mißgriffe vorzuwerfen, und politische Sünden werden in der Regel hart gebüßt. Mit Sicilien ist man aber schonungslos genug verfahren. Bekanntlich hat die Insel von frühester Zeit an mit Neapel in wenig Verbindung gestanden; eine tief gewurzelte Abneigung gegen den italienischen Continent, den die Sicilianer auch immer Italien nennen &#x2013; sich selbst halten sie nicht für Italiener &#x2013; ist ein Hauptzug im sicilischen Volkscharakter. Diese Abneigung trat jeder Annäherung entgegen; auch die politischen Verhältnisse führten zu einer verschiedenartigen Entwicklung. Als Karl III beide Länder unter seinem Scepter vereinigte, waren sie in administrativer Hinsicht völlig geschieden, und blieben es bis zum Jahr 1816. In diesem Zeitraum erwies sich Sicilien inmitten der Umwälzungen des Zeitalters, denen Unteritalien nicht entging, stets seinem König treu und anhänglich. In den Jahren 1798 und 1805 bot es ihm ein Asyl, und wenn es gleich in der Folge fremden Intriguen gelang, eine Art von Umsturz des Bestehenden hervorzubringen, wo denn sodann die monströse Costituzione Bentinck entstand, so erschütterten selbst diese Ereignisse im Grunde keineswegs die Treue der Sicilianer. Inzwischen blieb dieser verunglückte, ja burleske Versuch, in Sicilien englische Regierungsformen einzuführen, für die Insel dennoch nicht ohne wichtige Folgen. Als nämlich König Ferdinand I in seiner Hauptstadt Neapel wieder einzog und mit Recht darauf Bedacht nahm, in seinen Landen der Ordnung zu pflegen, so kam in diesen Arbeiten die Reihe auch an Sicilien, die Bentinck'sche Constitution mußte gestürzt werden, man ließ es aber dabei bewenden, man stellte den alten Zustand nicht wieder her, und Sicilien, das stolze, reiche, unabhängige Land, mit seiner feudalen Baronie und seiner reichen Geistlichkeit, durch Jahrhunderte gewöhnt, sich selbst zu verwalten, ward in Folge eines Federstrichs zur eroberten Provinz herabgewürdigt &#x2013; mit andern Worten, ein königliches Decret vom Jahr 1816 sprach die Vereinigung der sicilischen Regierung mit Neapel aus. Die beiden Reiche dieß- und jenseits des Faro sollten unter Ein Gesetz und dieselbe Verwaltung gestellt werden. Man versah es nur in Einem Punkte, nämlich: daß beide Länder so durchaus verschiedene Verhältnisse darboten. In Neapel hatten die französischen Revolutionsstürme so zu sagen Tabula rasa gemacht, von der alten Zeit war auch keine Spur, in dem beweglichen und vergeßlichen Volke fast keine Erinnerung geblieben. Der Adel war zu bloßen Titulirten herabgesunken, die Geistlichkeit hatte ihre Güter verloren, das alte Recht war dem Napoleon'schen Gesetz gewichen In Sicilien war im Grund Alles beim Alten geblieben, und dennoch außer der Unterwerfung unter Neapel, sollten die feudalen mittelalterlichen Zustände der Insel ohne alle innere Veranlassung umgegossen und in moderne französische Formen gebracht werden. Es geschah, aber nicht zum Heil der Insel, auch nicht des neapolitanischen Festlands, noch der Regierung. Nur die Anhänglichkeit an die königliche Familie überwand auch diesen Stoß, aber der Haß gegen alles, was neapolitanisch ist, das Mißtrauen, die Verachtung gegen ihre Mitbrüder diesseits des Faro nahmen bei den Sicilianern furchtbar zu. Der Wohlstand der Insel sank rasch, gewiß nicht ausschließlich durch die Schuld der Regierung, wenn gleich zum Theil, dieser aber einstimmig und durchgehends zugeschrieben.</p><lb/>
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[0955/0011] Gefahr befürchte. Die blutigen Ereignisse des Sommers 1837 sind hier noch in zu frischem Andenken, um nicht von dieser Seite das Schlimmste wenigstens nicht für unmöglich zu halten. Man hat sich in Neapel große Mißgriffe vorzuwerfen, und politische Sünden werden in der Regel hart gebüßt. Mit Sicilien ist man aber schonungslos genug verfahren. Bekanntlich hat die Insel von frühester Zeit an mit Neapel in wenig Verbindung gestanden; eine tief gewurzelte Abneigung gegen den italienischen Continent, den die Sicilianer auch immer Italien nennen – sich selbst halten sie nicht für Italiener – ist ein Hauptzug im sicilischen Volkscharakter. Diese Abneigung trat jeder Annäherung entgegen; auch die politischen Verhältnisse führten zu einer verschiedenartigen Entwicklung. Als Karl III beide Länder unter seinem Scepter vereinigte, waren sie in administrativer Hinsicht völlig geschieden, und blieben es bis zum Jahr 1816. In diesem Zeitraum erwies sich Sicilien inmitten der Umwälzungen des Zeitalters, denen Unteritalien nicht entging, stets seinem König treu und anhänglich. In den Jahren 1798 und 1805 bot es ihm ein Asyl, und wenn es gleich in der Folge fremden Intriguen gelang, eine Art von Umsturz des Bestehenden hervorzubringen, wo denn sodann die monströse Costituzione Bentinck entstand, so erschütterten selbst diese Ereignisse im Grunde keineswegs die Treue der Sicilianer. Inzwischen blieb dieser verunglückte, ja burleske Versuch, in Sicilien englische Regierungsformen einzuführen, für die Insel dennoch nicht ohne wichtige Folgen. Als nämlich König Ferdinand I in seiner Hauptstadt Neapel wieder einzog und mit Recht darauf Bedacht nahm, in seinen Landen der Ordnung zu pflegen, so kam in diesen Arbeiten die Reihe auch an Sicilien, die Bentinck'sche Constitution mußte gestürzt werden, man ließ es aber dabei bewenden, man stellte den alten Zustand nicht wieder her, und Sicilien, das stolze, reiche, unabhängige Land, mit seiner feudalen Baronie und seiner reichen Geistlichkeit, durch Jahrhunderte gewöhnt, sich selbst zu verwalten, ward in Folge eines Federstrichs zur eroberten Provinz herabgewürdigt – mit andern Worten, ein königliches Decret vom Jahr 1816 sprach die Vereinigung der sicilischen Regierung mit Neapel aus. Die beiden Reiche dieß- und jenseits des Faro sollten unter Ein Gesetz und dieselbe Verwaltung gestellt werden. Man versah es nur in Einem Punkte, nämlich: daß beide Länder so durchaus verschiedene Verhältnisse darboten. In Neapel hatten die französischen Revolutionsstürme so zu sagen Tabula rasa gemacht, von der alten Zeit war auch keine Spur, in dem beweglichen und vergeßlichen Volke fast keine Erinnerung geblieben. Der Adel war zu bloßen Titulirten herabgesunken, die Geistlichkeit hatte ihre Güter verloren, das alte Recht war dem Napoleon'schen Gesetz gewichen In Sicilien war im Grund Alles beim Alten geblieben, und dennoch außer der Unterwerfung unter Neapel, sollten die feudalen mittelalterlichen Zustände der Insel ohne alle innere Veranlassung umgegossen und in moderne französische Formen gebracht werden. Es geschah, aber nicht zum Heil der Insel, auch nicht des neapolitanischen Festlands, noch der Regierung. Nur die Anhänglichkeit an die königliche Familie überwand auch diesen Stoß, aber der Haß gegen alles, was neapolitanisch ist, das Mißtrauen, die Verachtung gegen ihre Mitbrüder diesseits des Faro nahmen bei den Sicilianern furchtbar zu. Der Wohlstand der Insel sank rasch, gewiß nicht ausschließlich durch die Schuld der Regierung, wenn gleich zum Theil, dieser aber einstimmig und durchgehends zugeschrieben. Als im Jahr 1820 die Militärrevolte in Noto ausgebrochen war, noch ehe der Brand die entfernteren Theile des Festlandes ergriffen hatte, kam er auch in Sicilien, wo inzwischen hinlänglicher Gährungsstoff gesammelt worden, zum Ausbruch; nur mit dem Unterschied, daß in Neapel die Revolution rein demokratisch und carbonarisch war, während sich in Palermo, wo man zuerst losschlug, die Patricier der Bewegung bemächtigten. Man wollte nichts als Independenza; nicht etwa vom König, nein, nur von der neapolitanischen Regierung wollte man sich lossagen. Diese Tendenz ging der europäischen Diplomatie nicht verloren, und als der Congreß von Laibach sich mit Ordnung der neapolitanischen Verhältnisse beschäftigte, wurde die administrative Trennung Siciliens von Neapel als Grundsatz aufgestellt. Zu Stande kam sie freilich erst im Jahr 1824, als ein königliches Decret vom 21 Jun. die beiden Consulten trotz dem Widerstreben des Ministers Medici ins Leben rief. Die neapolitanische bestand aus sechzehn neapolitanischen, die sicilianische aus acht Mitgliedern, letztere durchaus Sicilianer, beide Consulten sollten in Neapel „presso il Rè“ residiren, in ihre Sphäre gehörten alle Gegenstände der Gesetzgebung und Gesetzesauslegung, Competenzfragen in zweifelhaften Fällen, Begutachtung der Urtheilssprüche der großen Gerichtshöfe von Neapel und Palermo. Endlich behielt sich der König vor, die Arbeiten seiner Minister, wo nothwendig, der umständlichen und reiferen Prüfung der Consulten zu unterziehen, doch war ihr Votum ein rein consultatives. Zugleich wurde eine in Palermo residirende segretaria reale errichtet. Man sieht, die Trennung war vollständig, wie denn auch die Bestimmung des organischen Statuts vom Jahr 1816, welche die Aemter in Sicilien den Sicilianern ausschließlich vorbehält, und sie zum vierten Theil zu jenen des vereinigten Königreichs zuließ, während der übrigen Regierungsperiode König Ferdinands I und unter Franz I sorgfältig aufrecht erhalten wurde. Mit veränderten Bestrebungen trat die neue Regierung gleich vom Anfang hervor. Fürst Cassaro, obgleich selbst Sicilianer mit Leib und Seele, vermochte nicht die organischen Veränderungen abzuhalten, welche im Jahr 1831 und 1833 in den Verhältnissen Siciliens zu Neapel eingeführt wurden. Der wichtigste Schritt ward aber erst im Jahr 1837 gethan. Die neunzehn königlichen Decrete vom 31 Oct. 1837 heben die Selbstverwaltung Siciliens auf, und machen die Insel förmlich zu einer Provinz. Die traurige Veranlassung zu diesen durchgreifenden Maaßregeln sind noch frisch in Jedermanns Gedächtniß. Nachdem in Palermo vom 1 bis 14 Julius 18,600 Personen der Cholera erlegen waren, brach der Aufstand in den benachbarten Ortschaften Baggaria, Carini, Abbate, Capace aus. Gleichzeitige Bewegungen hatten in Messina, in Catania und Syrakus statt. Im Grunde wiederholten sich in Sicilien nur die Auftritte, welche der Wahn, die Regierungen verbreiteten die Cholera, in minder ausschweifender Weise bei dem ersten Auftreten der Seuche auch anderwärts hervorgerufen hatte. Da aber auch anderes Elend, Mißmuth und vielfacher Grund der Beschwerde, verbunden mit dem entflammbaren und kräftigen Volkscharakter, hinzutraten, so loderte der Brand bald an allen drei Ecken der Insel, am heftigsten aber an der Ostküste. Diese bot ein Schauspiel dar, welches in gar mancher Beziehung an das Mittelalter gemahnte. Die Städte sprachen sich nach ihren Localinteressen für oder gegen die Regierung aus: Palermo wurde bald beruhigt und die Valle entwaffnet, dagegen war die Stimmung in Messina schon zweideutiger, entschieden feindselig aber benahmen sich Syrakus und Catania. In letzterer Stadt erwies sich das Militär äußerst feig, eine gelbe Fahne wurde aufgezogen und die alte Losung Independenza della Sicilia kam wieder zum Vorschein. Mittlerweile blieb man in Neapel nicht müßig. Truppen wurden in Eile eingeschifft und nach Reggio geführt, und der Polizeiminister,

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 120. Augsburg, 29. April 1840, S. 0955. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_120_18400429/11>, abgerufen am 26.04.2024.