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Allgemeine Zeitung. Nr. 109. Augsburg, 18. April 1840.

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Ali gewesen: sie gesteht ihm die Erblichkeit in Aegypten zu. Ist er wirklich der Mann, die Theilung des Reichs nicht zu wollen, so wird er sich mit diesem Zugeständnisse begnügen."

Diejenigen nun, welche in redlicher oder unredlicher Absicht diese Ansicht verwerfen und das Heil des Reichs in Versöhnung des Sultans mit Mehemed Ali sehen, führen Nachstehendes für ihre Meinung an: "Ehrgeiz ist ein weites Wort. Wir hören heute allerorts die Franzosen Abd-El-Kader einen ehrgeizigen Häuptling schelten, weil er, der Mohammedaner, sich ihrer fremden Suprematie nicht unterwerfen will, und diejenigen Christen, welche früher Griechenland dem Sultan zu entreißen suchten, ehe es noch den europäischen Mächten gefallen ihr fiat dazu zu geben, wurden eben so genannt. Was heißt das, und wo ist derjenige, der sich berufen fühlte zu sagen: ich habe keinen Ehrgeiz? Es gibt gar keinen Grund, warum ein Mann von dem Schlage Mehemed Ali's ohne Ehrgeiz seyn solle. Es fragt sich nur, ob dieser Ehrgeiz dem Reiche dienlich oder demselben schädlich sey. Allerdings trat Mehemed Ali zuerst als Häuptling von Soldaten auf, die ihren Sold mit den Waffen in der Hand forderten; aber der Sultan nannte diese That nicht Aufruhr; er, dem allein der Ausspruch darüber zustand, belohnte sie mit dem Paschalik von Aegypten. Als Mehemed Ali die Engländer im Namen und Auftrag des Sultans vom ägyptischen Boden vertrieb, als er die Mameluken, diese dreihundertjährigen Aufrührer, vertilgte, als er die heiligen Städte den Wehabiten aus den Händen riß, und für die Religion gegen die Reformatoren glücklicher focht, als einst die Generale des Kaisers in Deutschland - als er seine ganze Kraft für den Sultan unter das Messer der Mächte bei Navarin legte - dreißig Jahre lang ward sein Ehrgeiz gebilligt. Heute, weil er mit demjenigen Chosrew Paschas um die Wette läuft, soll er verworfen seyn?"

"Wer mit einiger Kenntniß der Verhältnisse ausgerüstet das Verträgniß von Kiutahia betrachtete, konnte daraus keine Dauer des Friedens, kein Heil für das türkische Reich erwarten. Europäische Ansichten, europäische Bedürfnisse hatten es zu dem gemacht, was es war, zu einem Waffenstillstand zwischen dem durch Leidenschaft verblendeten Sultan und dem an Kraft ihm überlegenen, zur Selbstvertheidigung aufgeforderten, ja, wie ehemals Wallenstein, wenn dieser dem Mordstahl entgangen wäre, gezwungenen Vasallen. Die Verlegenheiten, welche aus der Eifersucht der europäischen Mächte für Konstantinopel hervorgegangen waren, hatten beide Theile, den einen aus Noth, den andern aus Bekümmerniß über die Schmach und Gefahr des Reichs, zu dem Verträgnisse geführt, in welchem der eine nur seine Demühigung sah, und an das der andere eben deßhalb nicht glaubte. Ein Mann von größerer Einsicht auf dem Thron von Konstantinopel hätte es freilich in eine innige Verbindung umwandeln können, die des Reiches wichtigstes Bedürfniß war, aber wie die Verhältnisse nun einmal standen, und wie die Männer beschaffen waren, die diese Verhältnisse machten, war kein dauernder Friede möglich. Der Charakter des Sultans, der Einfluß des Chosrew Pascha, das Wirken der Minister der Mächte, die Nacht und Verblendung, die wie ein Verhängniß über Allem lag, mußten zum Kriege führen: der Charakter des Sultans - denn er war in Ueberschätzung seiner Macht und in blutigen Mitteln aufgewachsen; der Einfluß des Chosrew Pascha - denn dessen Aufgabe war seit vierzig Jahren die Vernichtung Mehemed Ali's; das Wirken der Minister der Mächte - denn England brauchte die Erneuerung des Krieges, um die Nicht-Erneuerung des Tractates von Hunkiar-Skelessi vor den Augen der Welt darzuthun, und Rußland ließ sie eben so gern zu als die Schlacht von Navarin - Alles führte als Resultat herbei, daß die Elemente des Todes für die des Lebens ausgegeben, oder wirklich dafür gehalten wurden. Man sah von nun an in Mehemed Ali positiv nichts mehr als einen übermüthigen Vasallen, der dem Sultan nach Thron und Reich trachte, oder sich doch gewaltsam von ihm abreißen wolle; man errieth nirgends, was der Mann eigentlich war und wolle, wozu er dienen könne. Steiniget ihn! das war der einzige Rath, den die Minister der Mächte zu geben verstanden. Kaum irgendwo, vielleicht nur auf einer einzigen Stelle in dem ganzen erleuchteten Europa, war auch nur die einfachste orientalische Idee begriffen worden. Man sah das Klarste nicht, und was kein Beduine der Wüste und kein türkischer Dorfbewohner ignorirte, das wußten in mehr als einer europäischen Hauptstadt weder Minister noch ihre Räthe.

"Der Krieg brach aus, unnöthig, frevelhaft, wie der erste. Die Pforte begann ihn auch dießmal, und wurde geschlagen, wie vormals, nachdem sie die einzige ihr günstige Epoche, die der Insurrection in Syrien - welche wirklich Mehemed Ali's Macht in hohem Grade compromittirte, glücklich beendet aber, seine Kraft nur vermehrte - versäumt hatte. Doch der Sultan starb; die Flotte zog dem Sieger zu. Dieser hielt, trotz dieses doppelten Sieges, an, und huldigte dem unmündigen Abdul-Medschid, obwohl er ihn in den Händen seiner Feinde wußte. Dadurch ließ er noch einmal den europäischen Mächten, die sich mit der Rettung von Reich und Sultan befassen wollten, die Zeit und die Gelegenheit, dieß nothwendige und heilsame Werk zu thun. Seine Mäßigung, man mag sie beurtheilen wie man will, bleibt ein großes Verdienst, wenn man hunderttausend Mann, eine active Bilanz von mehreren Millionen, den Rücken frei und die öffentliche Meinung in allen muselmännischen Ländern für sich hat. Mehemed Ali will vielleicht die Regierung des ganzen Reiches in seinen Händen sehen, um sie wieder stark zu machen. Er will aber dann nur, was Oesterreich, was Preußen, was Rußland selbst wollen, wenn anders deren Wünsche ihren Worten entsprechen, woran Niemand zweifeln kann. Mehemed Ali glaubt nur, als Muselmann, als vielerfahrener Greis von 75 Jahren, als Statthalter der größten und reichsten Provinzen des Reichs, das Wie besser zu verstehen, als Christen und Europäer. Er hat sein Musterstück auch schon zum Theil geliefert, das ihm, wenn auch nicht die Billigung Europa's, doch das allgemeine Vertrauen seiner Nation erwarb. Denn nicht diese Nation war es, welche seine Reformen mit denen des Sultans Mahmud in einen Wust zusammen warf; solch oberflächliches Urtheil überläßt sie europäischen Beurtheilern. Was unter den Muselmännern noch religiöses und nationales Gefühl, was Achtung für Sitten und Recht besitzt, blickt auf Mehemed Ali als auf den vom Himmel bezeichneten Mann, um den Jahrhunderte alten Fluch des Himmels endlich zu lösen, um das Reich und den Sultan wieder zu Ehren zu bringen.

"Was ihm die Erblichkeit sey oder diene, kann uns, die wir nur das türkische Reich, nicht ihn, in Betracht ziehen, gleichgültig seyn. Genug, daß hier ein Mittel ist, ihn zum Reich zurückzuführen und seine Kräfte zu denen des Reichs zu machen. - Daß er sich zum unabhängigen Souverän, wohl gar zum Sultan machen wolle, kann nur von Personen geäußert werden, die ihre europäische Denkweise auf den Orient übertragen. Zum Sultan machen kann sich Mehemed Ali eben so wenig als ein Katholik sich zum Papst. Sich unabhängig machen, das kann er freilich, aber daß er es wolle, darf man nach einer ganzen Handlungsweise bezweifeln. Er kann allerdings

Ali gewesen: sie gesteht ihm die Erblichkeit in Aegypten zu. Ist er wirklich der Mann, die Theilung des Reichs nicht zu wollen, so wird er sich mit diesem Zugeständnisse begnügen.“

Diejenigen nun, welche in redlicher oder unredlicher Absicht diese Ansicht verwerfen und das Heil des Reichs in Versöhnung des Sultans mit Mehemed Ali sehen, führen Nachstehendes für ihre Meinung an: „Ehrgeiz ist ein weites Wort. Wir hören heute allerorts die Franzosen Abd-El-Kader einen ehrgeizigen Häuptling schelten, weil er, der Mohammedaner, sich ihrer fremden Suprematie nicht unterwerfen will, und diejenigen Christen, welche früher Griechenland dem Sultan zu entreißen suchten, ehe es noch den europäischen Mächten gefallen ihr fiat dazu zu geben, wurden eben so genannt. Was heißt das, und wo ist derjenige, der sich berufen fühlte zu sagen: ich habe keinen Ehrgeiz? Es gibt gar keinen Grund, warum ein Mann von dem Schlage Mehemed Ali's ohne Ehrgeiz seyn solle. Es fragt sich nur, ob dieser Ehrgeiz dem Reiche dienlich oder demselben schädlich sey. Allerdings trat Mehemed Ali zuerst als Häuptling von Soldaten auf, die ihren Sold mit den Waffen in der Hand forderten; aber der Sultan nannte diese That nicht Aufruhr; er, dem allein der Ausspruch darüber zustand, belohnte sie mit dem Paschalik von Aegypten. Als Mehemed Ali die Engländer im Namen und Auftrag des Sultans vom ägyptischen Boden vertrieb, als er die Mameluken, diese dreihundertjährigen Aufrührer, vertilgte, als er die heiligen Städte den Wehabiten aus den Händen riß, und für die Religion gegen die Reformatoren glücklicher focht, als einst die Generale des Kaisers in Deutschland – als er seine ganze Kraft für den Sultan unter das Messer der Mächte bei Navarin legte – dreißig Jahre lang ward sein Ehrgeiz gebilligt. Heute, weil er mit demjenigen Chosrew Paschas um die Wette läuft, soll er verworfen seyn?“

„Wer mit einiger Kenntniß der Verhältnisse ausgerüstet das Verträgniß von Kiutahia betrachtete, konnte daraus keine Dauer des Friedens, kein Heil für das türkische Reich erwarten. Europäische Ansichten, europäische Bedürfnisse hatten es zu dem gemacht, was es war, zu einem Waffenstillstand zwischen dem durch Leidenschaft verblendeten Sultan und dem an Kraft ihm überlegenen, zur Selbstvertheidigung aufgeforderten, ja, wie ehemals Wallenstein, wenn dieser dem Mordstahl entgangen wäre, gezwungenen Vasallen. Die Verlegenheiten, welche aus der Eifersucht der europäischen Mächte für Konstantinopel hervorgegangen waren, hatten beide Theile, den einen aus Noth, den andern aus Bekümmerniß über die Schmach und Gefahr des Reichs, zu dem Verträgnisse geführt, in welchem der eine nur seine Demühigung sah, und an das der andere eben deßhalb nicht glaubte. Ein Mann von größerer Einsicht auf dem Thron von Konstantinopel hätte es freilich in eine innige Verbindung umwandeln können, die des Reiches wichtigstes Bedürfniß war, aber wie die Verhältnisse nun einmal standen, und wie die Männer beschaffen waren, die diese Verhältnisse machten, war kein dauernder Friede möglich. Der Charakter des Sultans, der Einfluß des Chosrew Pascha, das Wirken der Minister der Mächte, die Nacht und Verblendung, die wie ein Verhängniß über Allem lag, mußten zum Kriege führen: der Charakter des Sultans – denn er war in Ueberschätzung seiner Macht und in blutigen Mitteln aufgewachsen; der Einfluß des Chosrew Pascha – denn dessen Aufgabe war seit vierzig Jahren die Vernichtung Mehemed Ali's; das Wirken der Minister der Mächte – denn England brauchte die Erneuerung des Krieges, um die Nicht-Erneuerung des Tractates von Hunkiar-Skelessi vor den Augen der Welt darzuthun, und Rußland ließ sie eben so gern zu als die Schlacht von Navarin – Alles führte als Resultat herbei, daß die Elemente des Todes für die des Lebens ausgegeben, oder wirklich dafür gehalten wurden. Man sah von nun an in Mehemed Ali positiv nichts mehr als einen übermüthigen Vasallen, der dem Sultan nach Thron und Reich trachte, oder sich doch gewaltsam von ihm abreißen wolle; man errieth nirgends, was der Mann eigentlich war und wolle, wozu er dienen könne. Steiniget ihn! das war der einzige Rath, den die Minister der Mächte zu geben verstanden. Kaum irgendwo, vielleicht nur auf einer einzigen Stelle in dem ganzen erleuchteten Europa, war auch nur die einfachste orientalische Idee begriffen worden. Man sah das Klarste nicht, und was kein Beduine der Wüste und kein türkischer Dorfbewohner ignorirte, das wußten in mehr als einer europäischen Hauptstadt weder Minister noch ihre Räthe.

„Der Krieg brach aus, unnöthig, frevelhaft, wie der erste. Die Pforte begann ihn auch dießmal, und wurde geschlagen, wie vormals, nachdem sie die einzige ihr günstige Epoche, die der Insurrection in Syrien – welche wirklich Mehemed Ali's Macht in hohem Grade compromittirte, glücklich beendet aber, seine Kraft nur vermehrte – versäumt hatte. Doch der Sultan starb; die Flotte zog dem Sieger zu. Dieser hielt, trotz dieses doppelten Sieges, an, und huldigte dem unmündigen Abdul-Medschid, obwohl er ihn in den Händen seiner Feinde wußte. Dadurch ließ er noch einmal den europäischen Mächten, die sich mit der Rettung von Reich und Sultan befassen wollten, die Zeit und die Gelegenheit, dieß nothwendige und heilsame Werk zu thun. Seine Mäßigung, man mag sie beurtheilen wie man will, bleibt ein großes Verdienst, wenn man hunderttausend Mann, eine active Bilanz von mehreren Millionen, den Rücken frei und die öffentliche Meinung in allen muselmännischen Ländern für sich hat. Mehemed Ali will vielleicht die Regierung des ganzen Reiches in seinen Händen sehen, um sie wieder stark zu machen. Er will aber dann nur, was Oesterreich, was Preußen, was Rußland selbst wollen, wenn anders deren Wünsche ihren Worten entsprechen, woran Niemand zweifeln kann. Mehemed Ali glaubt nur, als Muselmann, als vielerfahrener Greis von 75 Jahren, als Statthalter der größten und reichsten Provinzen des Reichs, das Wie besser zu verstehen, als Christen und Europäer. Er hat sein Musterstück auch schon zum Theil geliefert, das ihm, wenn auch nicht die Billigung Europa's, doch das allgemeine Vertrauen seiner Nation erwarb. Denn nicht diese Nation war es, welche seine Reformen mit denen des Sultans Mahmud in einen Wust zusammen warf; solch oberflächliches Urtheil überläßt sie europäischen Beurtheilern. Was unter den Muselmännern noch religiöses und nationales Gefühl, was Achtung für Sitten und Recht besitzt, blickt auf Mehemed Ali als auf den vom Himmel bezeichneten Mann, um den Jahrhunderte alten Fluch des Himmels endlich zu lösen, um das Reich und den Sultan wieder zu Ehren zu bringen.

„Was ihm die Erblichkeit sey oder diene, kann uns, die wir nur das türkische Reich, nicht ihn, in Betracht ziehen, gleichgültig seyn. Genug, daß hier ein Mittel ist, ihn zum Reich zurückzuführen und seine Kräfte zu denen des Reichs zu machen. – Daß er sich zum unabhängigen Souverän, wohl gar zum Sultan machen wolle, kann nur von Personen geäußert werden, die ihre europäische Denkweise auf den Orient übertragen. Zum Sultan machen kann sich Mehemed Ali eben so wenig als ein Katholik sich zum Papst. Sich unabhängig machen, das kann er freilich, aber daß er es wolle, darf man nach einer ganzen Handlungsweise bezweifeln. Er kann allerdings

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[0866/0010] Ali gewesen: sie gesteht ihm die Erblichkeit in Aegypten zu. Ist er wirklich der Mann, die Theilung des Reichs nicht zu wollen, so wird er sich mit diesem Zugeständnisse begnügen.“ Diejenigen nun, welche in redlicher oder unredlicher Absicht diese Ansicht verwerfen und das Heil des Reichs in Versöhnung des Sultans mit Mehemed Ali sehen, führen Nachstehendes für ihre Meinung an: „Ehrgeiz ist ein weites Wort. Wir hören heute allerorts die Franzosen Abd-El-Kader einen ehrgeizigen Häuptling schelten, weil er, der Mohammedaner, sich ihrer fremden Suprematie nicht unterwerfen will, und diejenigen Christen, welche früher Griechenland dem Sultan zu entreißen suchten, ehe es noch den europäischen Mächten gefallen ihr fiat dazu zu geben, wurden eben so genannt. Was heißt das, und wo ist derjenige, der sich berufen fühlte zu sagen: ich habe keinen Ehrgeiz? Es gibt gar keinen Grund, warum ein Mann von dem Schlage Mehemed Ali's ohne Ehrgeiz seyn solle. Es fragt sich nur, ob dieser Ehrgeiz dem Reiche dienlich oder demselben schädlich sey. Allerdings trat Mehemed Ali zuerst als Häuptling von Soldaten auf, die ihren Sold mit den Waffen in der Hand forderten; aber der Sultan nannte diese That nicht Aufruhr; er, dem allein der Ausspruch darüber zustand, belohnte sie mit dem Paschalik von Aegypten. Als Mehemed Ali die Engländer im Namen und Auftrag des Sultans vom ägyptischen Boden vertrieb, als er die Mameluken, diese dreihundertjährigen Aufrührer, vertilgte, als er die heiligen Städte den Wehabiten aus den Händen riß, und für die Religion gegen die Reformatoren glücklicher focht, als einst die Generale des Kaisers in Deutschland – als er seine ganze Kraft für den Sultan unter das Messer der Mächte bei Navarin legte – dreißig Jahre lang ward sein Ehrgeiz gebilligt. Heute, weil er mit demjenigen Chosrew Paschas um die Wette läuft, soll er verworfen seyn?“ „Wer mit einiger Kenntniß der Verhältnisse ausgerüstet das Verträgniß von Kiutahia betrachtete, konnte daraus keine Dauer des Friedens, kein Heil für das türkische Reich erwarten. Europäische Ansichten, europäische Bedürfnisse hatten es zu dem gemacht, was es war, zu einem Waffenstillstand zwischen dem durch Leidenschaft verblendeten Sultan und dem an Kraft ihm überlegenen, zur Selbstvertheidigung aufgeforderten, ja, wie ehemals Wallenstein, wenn dieser dem Mordstahl entgangen wäre, gezwungenen Vasallen. Die Verlegenheiten, welche aus der Eifersucht der europäischen Mächte für Konstantinopel hervorgegangen waren, hatten beide Theile, den einen aus Noth, den andern aus Bekümmerniß über die Schmach und Gefahr des Reichs, zu dem Verträgnisse geführt, in welchem der eine nur seine Demühigung sah, und an das der andere eben deßhalb nicht glaubte. Ein Mann von größerer Einsicht auf dem Thron von Konstantinopel hätte es freilich in eine innige Verbindung umwandeln können, die des Reiches wichtigstes Bedürfniß war, aber wie die Verhältnisse nun einmal standen, und wie die Männer beschaffen waren, die diese Verhältnisse machten, war kein dauernder Friede möglich. Der Charakter des Sultans, der Einfluß des Chosrew Pascha, das Wirken der Minister der Mächte, die Nacht und Verblendung, die wie ein Verhängniß über Allem lag, mußten zum Kriege führen: der Charakter des Sultans – denn er war in Ueberschätzung seiner Macht und in blutigen Mitteln aufgewachsen; der Einfluß des Chosrew Pascha – denn dessen Aufgabe war seit vierzig Jahren die Vernichtung Mehemed Ali's; das Wirken der Minister der Mächte – denn England brauchte die Erneuerung des Krieges, um die Nicht-Erneuerung des Tractates von Hunkiar-Skelessi vor den Augen der Welt darzuthun, und Rußland ließ sie eben so gern zu als die Schlacht von Navarin – Alles führte als Resultat herbei, daß die Elemente des Todes für die des Lebens ausgegeben, oder wirklich dafür gehalten wurden. Man sah von nun an in Mehemed Ali positiv nichts mehr als einen übermüthigen Vasallen, der dem Sultan nach Thron und Reich trachte, oder sich doch gewaltsam von ihm abreißen wolle; man errieth nirgends, was der Mann eigentlich war und wolle, wozu er dienen könne. Steiniget ihn! das war der einzige Rath, den die Minister der Mächte zu geben verstanden. Kaum irgendwo, vielleicht nur auf einer einzigen Stelle in dem ganzen erleuchteten Europa, war auch nur die einfachste orientalische Idee begriffen worden. Man sah das Klarste nicht, und was kein Beduine der Wüste und kein türkischer Dorfbewohner ignorirte, das wußten in mehr als einer europäischen Hauptstadt weder Minister noch ihre Räthe. „Der Krieg brach aus, unnöthig, frevelhaft, wie der erste. Die Pforte begann ihn auch dießmal, und wurde geschlagen, wie vormals, nachdem sie die einzige ihr günstige Epoche, die der Insurrection in Syrien – welche wirklich Mehemed Ali's Macht in hohem Grade compromittirte, glücklich beendet aber, seine Kraft nur vermehrte – versäumt hatte. Doch der Sultan starb; die Flotte zog dem Sieger zu. Dieser hielt, trotz dieses doppelten Sieges, an, und huldigte dem unmündigen Abdul-Medschid, obwohl er ihn in den Händen seiner Feinde wußte. Dadurch ließ er noch einmal den europäischen Mächten, die sich mit der Rettung von Reich und Sultan befassen wollten, die Zeit und die Gelegenheit, dieß nothwendige und heilsame Werk zu thun. Seine Mäßigung, man mag sie beurtheilen wie man will, bleibt ein großes Verdienst, wenn man hunderttausend Mann, eine active Bilanz von mehreren Millionen, den Rücken frei und die öffentliche Meinung in allen muselmännischen Ländern für sich hat. Mehemed Ali will vielleicht die Regierung des ganzen Reiches in seinen Händen sehen, um sie wieder stark zu machen. Er will aber dann nur, was Oesterreich, was Preußen, was Rußland selbst wollen, wenn anders deren Wünsche ihren Worten entsprechen, woran Niemand zweifeln kann. Mehemed Ali glaubt nur, als Muselmann, als vielerfahrener Greis von 75 Jahren, als Statthalter der größten und reichsten Provinzen des Reichs, das Wie besser zu verstehen, als Christen und Europäer. Er hat sein Musterstück auch schon zum Theil geliefert, das ihm, wenn auch nicht die Billigung Europa's, doch das allgemeine Vertrauen seiner Nation erwarb. Denn nicht diese Nation war es, welche seine Reformen mit denen des Sultans Mahmud in einen Wust zusammen warf; solch oberflächliches Urtheil überläßt sie europäischen Beurtheilern. Was unter den Muselmännern noch religiöses und nationales Gefühl, was Achtung für Sitten und Recht besitzt, blickt auf Mehemed Ali als auf den vom Himmel bezeichneten Mann, um den Jahrhunderte alten Fluch des Himmels endlich zu lösen, um das Reich und den Sultan wieder zu Ehren zu bringen. „Was ihm die Erblichkeit sey oder diene, kann uns, die wir nur das türkische Reich, nicht ihn, in Betracht ziehen, gleichgültig seyn. Genug, daß hier ein Mittel ist, ihn zum Reich zurückzuführen und seine Kräfte zu denen des Reichs zu machen. – Daß er sich zum unabhängigen Souverän, wohl gar zum Sultan machen wolle, kann nur von Personen geäußert werden, die ihre europäische Denkweise auf den Orient übertragen. Zum Sultan machen kann sich Mehemed Ali eben so wenig als ein Katholik sich zum Papst. Sich unabhängig machen, das kann er freilich, aber daß er es wolle, darf man nach einer ganzen Handlungsweise bezweifeln. Er kann allerdings

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 109. Augsburg, 18. April 1840, S. 0866. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_109_18400418/10>, abgerufen am 26.04.2024.