Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Berthold Auerbach, geboren zu Nordstetten auf dem Schwarzwalde den 28. Februar 1812, jüdischer Abkunft und zum Rabbiner bestimmt, besuchte die Schule in Hechingen, dann die Gymnasien in Karlsruhe und Stuttgart, studirte 1832 -- 1835 in Tübingen (wo er in die Untersuchung gegen die Burschenschaft verwickelt wurde), München und Heidelberg; nach Vollendung seiner akademischen Studien widmete er sich ganz der Literatur; nahm seinen Wohnsitz abwechselnd an verschiedenen Orten Deutschlands, neuerdings in Berlin. Wir haben hier weder die reiche literarische Thätigkeit Auerbach's zu schildern, noch die Stellung zu bezeichnen, welche die Dorfgeschichte hauptsächlich durch sein Verdienst in unserer Dichtung eingenommen hat. Auch ist die ergreifende Erzählung, die wir ausgewählt haben, ohne jeden Commentar ihrer Wirkung gewiß. Daß wir aber gerade ihr vor so vielen den Vorzug gegeben haben, geschah aus dem Grunde, weil sie besonders glücklich zwei Gefahren, die im Charakter der Gattung liegen, theils schon durch ihr Thema, nicht minder aber durch die meisterhafte Behandlung entgangen ist. Im fünften Buch seines "Münchhausen" sagt der Vater der Dorfgeschichten über den Charakter der Bauern: "Der Bauer ist zwar viel im Freien, aber nichts weniger als ein Naturmensch. Er hängt so sehr von Convenienz, Herkommen, Standesbegriffen und Standesvorurtheilen ab, wie nur die höchste Classe der Gesellschaft. Im Mittelstande allein gilt die Freiheit des Individuums, in diesem Stande fließt einzig der Strom der Selbstbestimmung nach Charakter, Talent, Laune und Willkür. Der Bauer denkt, handelt, empfindet standesmäßig und hergebrachter Weise." Dieses Ueberwiegen eines einförmigen, unverbrüchlichen Herkommens bringt es mit sich, daß der Dichter, wenn er den Kreis der Hauptereignisse eines so eingeschränkten Lebens durchlaufen und die typischen Grundzüge nach ihren localen Besonderheiten geschildert hat, seinen Stoff unerwartet schnell erschöpft sieht. Da er dem Boden, der so gleichgeartete Charaktere trägt, wie die Halme eines Kornfeldes, zwischen denen Blumen und Berthold Auerbach, geboren zu Nordstetten auf dem Schwarzwalde den 28. Februar 1812, jüdischer Abkunft und zum Rabbiner bestimmt, besuchte die Schule in Hechingen, dann die Gymnasien in Karlsruhe und Stuttgart, studirte 1832 — 1835 in Tübingen (wo er in die Untersuchung gegen die Burschenschaft verwickelt wurde), München und Heidelberg; nach Vollendung seiner akademischen Studien widmete er sich ganz der Literatur; nahm seinen Wohnsitz abwechselnd an verschiedenen Orten Deutschlands, neuerdings in Berlin. Wir haben hier weder die reiche literarische Thätigkeit Auerbach's zu schildern, noch die Stellung zu bezeichnen, welche die Dorfgeschichte hauptsächlich durch sein Verdienst in unserer Dichtung eingenommen hat. Auch ist die ergreifende Erzählung, die wir ausgewählt haben, ohne jeden Commentar ihrer Wirkung gewiß. Daß wir aber gerade ihr vor so vielen den Vorzug gegeben haben, geschah aus dem Grunde, weil sie besonders glücklich zwei Gefahren, die im Charakter der Gattung liegen, theils schon durch ihr Thema, nicht minder aber durch die meisterhafte Behandlung entgangen ist. Im fünften Buch seines „Münchhausen“ sagt der Vater der Dorfgeschichten über den Charakter der Bauern: „Der Bauer ist zwar viel im Freien, aber nichts weniger als ein Naturmensch. Er hängt so sehr von Convenienz, Herkommen, Standesbegriffen und Standesvorurtheilen ab, wie nur die höchste Classe der Gesellschaft. Im Mittelstande allein gilt die Freiheit des Individuums, in diesem Stande fließt einzig der Strom der Selbstbestimmung nach Charakter, Talent, Laune und Willkür. Der Bauer denkt, handelt, empfindet standesmäßig und hergebrachter Weise.“ Dieses Ueberwiegen eines einförmigen, unverbrüchlichen Herkommens bringt es mit sich, daß der Dichter, wenn er den Kreis der Hauptereignisse eines so eingeschränkten Lebens durchlaufen und die typischen Grundzüge nach ihren localen Besonderheiten geschildert hat, seinen Stoff unerwartet schnell erschöpft sieht. Da er dem Boden, der so gleichgeartete Charaktere trägt, wie die Halme eines Kornfeldes, zwischen denen Blumen und <TEI> <text> <front> <pb facs="#f0005"/> <div type="preface"> <p>Berthold Auerbach, geboren zu Nordstetten auf dem Schwarzwalde den 28. Februar 1812, jüdischer Abkunft und zum Rabbiner bestimmt, besuchte die Schule in Hechingen, dann die Gymnasien in Karlsruhe und Stuttgart, studirte 1832 — 1835 in Tübingen (wo er in die Untersuchung gegen die Burschenschaft verwickelt wurde), München und Heidelberg; nach Vollendung seiner akademischen Studien widmete er sich ganz der Literatur; nahm seinen Wohnsitz abwechselnd an verschiedenen Orten Deutschlands, neuerdings in Berlin.</p><lb/> <p>Wir haben hier weder die reiche literarische Thätigkeit Auerbach's zu schildern, noch die Stellung zu bezeichnen, welche die Dorfgeschichte hauptsächlich durch sein Verdienst in unserer Dichtung eingenommen hat. Auch ist die ergreifende Erzählung, die wir ausgewählt haben, ohne jeden Commentar ihrer Wirkung gewiß. Daß wir aber gerade ihr vor so vielen den Vorzug gegeben haben, geschah aus dem Grunde, weil sie besonders glücklich zwei Gefahren, die im Charakter der Gattung liegen, theils schon durch ihr Thema, nicht minder aber durch die meisterhafte Behandlung entgangen ist.</p><lb/> <p>Im fünften Buch seines „Münchhausen“ sagt der Vater der Dorfgeschichten über den Charakter der Bauern: „Der Bauer ist zwar viel im Freien, aber nichts weniger als ein Naturmensch. Er hängt so sehr von Convenienz, Herkommen, Standesbegriffen und Standesvorurtheilen ab, wie nur die höchste Classe der Gesellschaft. Im Mittelstande allein gilt die Freiheit des Individuums, in diesem Stande fließt einzig der Strom der Selbstbestimmung nach Charakter, Talent, Laune und Willkür. Der Bauer denkt, handelt, empfindet standesmäßig und hergebrachter Weise.“</p><lb/> <p>Dieses Ueberwiegen eines einförmigen, unverbrüchlichen Herkommens bringt es mit sich, daß der Dichter, wenn er den Kreis der Hauptereignisse eines so eingeschränkten Lebens durchlaufen und die typischen Grundzüge nach ihren localen Besonderheiten geschildert hat, seinen Stoff unerwartet schnell erschöpft sieht. Da er dem Boden, der so gleichgeartete Charaktere trägt, wie die Halme eines Kornfeldes, zwischen denen Blumen und<lb/></p> </div> </front> </text> </TEI> [0005]
Berthold Auerbach, geboren zu Nordstetten auf dem Schwarzwalde den 28. Februar 1812, jüdischer Abkunft und zum Rabbiner bestimmt, besuchte die Schule in Hechingen, dann die Gymnasien in Karlsruhe und Stuttgart, studirte 1832 — 1835 in Tübingen (wo er in die Untersuchung gegen die Burschenschaft verwickelt wurde), München und Heidelberg; nach Vollendung seiner akademischen Studien widmete er sich ganz der Literatur; nahm seinen Wohnsitz abwechselnd an verschiedenen Orten Deutschlands, neuerdings in Berlin.
Wir haben hier weder die reiche literarische Thätigkeit Auerbach's zu schildern, noch die Stellung zu bezeichnen, welche die Dorfgeschichte hauptsächlich durch sein Verdienst in unserer Dichtung eingenommen hat. Auch ist die ergreifende Erzählung, die wir ausgewählt haben, ohne jeden Commentar ihrer Wirkung gewiß. Daß wir aber gerade ihr vor so vielen den Vorzug gegeben haben, geschah aus dem Grunde, weil sie besonders glücklich zwei Gefahren, die im Charakter der Gattung liegen, theils schon durch ihr Thema, nicht minder aber durch die meisterhafte Behandlung entgangen ist.
Im fünften Buch seines „Münchhausen“ sagt der Vater der Dorfgeschichten über den Charakter der Bauern: „Der Bauer ist zwar viel im Freien, aber nichts weniger als ein Naturmensch. Er hängt so sehr von Convenienz, Herkommen, Standesbegriffen und Standesvorurtheilen ab, wie nur die höchste Classe der Gesellschaft. Im Mittelstande allein gilt die Freiheit des Individuums, in diesem Stande fließt einzig der Strom der Selbstbestimmung nach Charakter, Talent, Laune und Willkür. Der Bauer denkt, handelt, empfindet standesmäßig und hergebrachter Weise.“
Dieses Ueberwiegen eines einförmigen, unverbrüchlichen Herkommens bringt es mit sich, daß der Dichter, wenn er den Kreis der Hauptereignisse eines so eingeschränkten Lebens durchlaufen und die typischen Grundzüge nach ihren localen Besonderheiten geschildert hat, seinen Stoff unerwartet schnell erschöpft sieht. Da er dem Boden, der so gleichgeartete Charaktere trägt, wie die Halme eines Kornfeldes, zwischen denen Blumen und
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910/5 |
Zitationshilfe: | Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910/5>, abgerufen am 22.02.2025. |