Der letzte Act der Blüthezeit ist, daß sie ihren be- fruchtenden Staub mit dem Saamen in ihrem Kelch mische, dann tragen die Lüfte sich spielend mit ihren ge- lösten Blättern und gaukeln eine Weile mit dem Schmuck der Begeistrung. Bald sieht kein Auge mehr von ihrem Glanz, ihre Zeit ist vorüber; der Saame aber quillt und offenbart in der Frucht das Geheimniß der Erzeu- gung. Vielleicht wenn diese Blätter der Begeistrung vom Stamme gelöst dahin wirbeln und wie jene kleinen Blüthenkronen, nachdem sie ihren Duft ausgehaucht, vom irdischen Staub beschwert, flügellahm sich endlich unter die Erde betten, daß es dann in dem Herzen des Freundes, dem sie duften, auch quillt und der Segen dieser schönen Liebe zwischen dem Dichter und dem Kinde sich an seinem Geist bewähre und ihn zu der Schönheit befruchte, deren Abbild in seinen edlen Zügen sich malt.
An Goethe.
Wie begierig nach Liebe warst Du! wie begierig warst Du geliebt zu sein! -- "Nicht wahr, du liebst mich? nicht wahr, es ist dein Ernst, du betrügst mich nicht?" -- so fragtest Du, und ich sah Dich an und
Der letzte Act der Blüthezeit iſt, daß ſie ihren be- fruchtenden Staub mit dem Saamen in ihrem Kelch miſche, dann tragen die Lüfte ſich ſpielend mit ihren ge- löſten Blättern und gaukeln eine Weile mit dem Schmuck der Begeiſtrung. Bald ſieht kein Auge mehr von ihrem Glanz, ihre Zeit iſt vorüber; der Saame aber quillt und offenbart in der Frucht das Geheimniß der Erzeu- gung. Vielleicht wenn dieſe Blätter der Begeiſtrung vom Stamme gelöſt dahin wirbeln und wie jene kleinen Blüthenkronen, nachdem ſie ihren Duft ausgehaucht, vom irdiſchen Staub beſchwert, flügellahm ſich endlich unter die Erde betten, daß es dann in dem Herzen des Freundes, dem ſie duften, auch quillt und der Segen dieſer ſchönen Liebe zwiſchen dem Dichter und dem Kinde ſich an ſeinem Geiſt bewähre und ihn zu der Schönheit befruchte, deren Abbild in ſeinen edlen Zügen ſich malt.
An Goethe.
Wie begierig nach Liebe warſt Du! wie begierig warſt Du geliebt zu ſein! — „Nicht wahr, du liebſt mich? nicht wahr, es iſt dein Ernſt, du betrügſt mich nicht?“ — ſo fragteſt Du, und ich ſah Dich an und
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Der letzte Act der Blüthezeit iſt, daß ſie ihren be-
fruchtenden Staub mit dem Saamen in ihrem Kelch
miſche, dann tragen die Lüfte ſich ſpielend mit ihren ge-
löſten Blättern und gaukeln eine Weile mit dem Schmuck
der Begeiſtrung. Bald ſieht kein Auge mehr von ihrem
Glanz, ihre Zeit iſt vorüber; der Saame aber quillt
und offenbart in der Frucht das Geheimniß der Erzeu-
gung. Vielleicht wenn dieſe Blätter der Begeiſtrung
vom Stamme gelöſt dahin wirbeln und wie jene kleinen
Blüthenkronen, nachdem ſie ihren Duft ausgehaucht,
vom irdiſchen Staub beſchwert, flügellahm ſich endlich
unter die Erde betten, daß es dann in dem Herzen des
Freundes, dem ſie duften, auch quillt und der Segen
dieſer ſchönen Liebe zwiſchen dem Dichter und dem Kinde
ſich an ſeinem Geiſt bewähre und ihn zu der Schönheit
befruchte, deren Abbild in ſeinen edlen Zügen ſich malt.
An Goethe.
Wie begierig nach Liebe warſt Du! wie begierig
warſt Du geliebt zu ſein! — „Nicht wahr, du liebſt
mich? nicht wahr, es iſt dein Ernſt, du betrügſt mich
nicht?“ — ſo fragteſt Du, und ich ſah Dich an und
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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/219>, abgerufen am 22.02.2025.
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