und die Seele Dich zu empfinden, und den Geist Dich zu fassen und zu bekennen, alles wie Du bist in Deiner innern Wesenheit.
Und wenn dies alles wahr ist was ich hier sage, und wir werden einst uns wiedersehen in einem höheren Leben, dann denke, daß mein Genie Deinem Geist ge- wachsen sein werde.
An Goethe. *)
22. März 1832.
Hier aus den Bergesschluchten hervor wag' ich's und komme ungerufen, unerwartet, wie manchmal sonst auf Deinen Wegen. Im Böhmer Gebirg wo ich wie ein Stoßvogel auf dem vorragenden Gefels über Dir hing, weißt Du noch? -- und wie ich dann nieder klet- terte ganz erhitzt, daß mir alle Adern im Kopf klopf- ten, und wie Deine Hand meine Augenwimper vom Staub reinigte, und die kleinen Reiser und Moose aus meinen Flechten sammeltest, und legtest es sanft neben Dich auf den Sitz? Du weißt's nicht mehr. Schaaren sind an Dir vorübergezogen, die Dich begrüßten mit lautem Ehrenruf, Kränze haben sie vor Dir hergetra-
*) Mit einer Gebirgslandschaft als Vignette.
und die Seele Dich zu empfinden, und den Geiſt Dich zu faſſen und zu bekennen, alles wie Du biſt in Deiner innern Weſenheit.
Und wenn dies alles wahr iſt was ich hier ſage, und wir werden einſt uns wiederſehen in einem höheren Leben, dann denke, daß mein Genie Deinem Geiſt ge- wachſen ſein werde.
An Goethe. *)
22. März 1832.
Hier aus den Bergesſchluchten hervor wag' ich's und komme ungerufen, unerwartet, wie manchmal ſonſt auf Deinen Wegen. Im Böhmer Gebirg wo ich wie ein Stoßvogel auf dem vorragenden Gefels über Dir hing, weißt Du noch? — und wie ich dann nieder klet- terte ganz erhitzt, daß mir alle Adern im Kopf klopf- ten, und wie Deine Hand meine Augenwimper vom Staub reinigte, und die kleinen Reiſer und Mooſe aus meinen Flechten ſammelteſt, und legteſt es ſanft neben Dich auf den Sitz? Du weißt's nicht mehr. Schaaren ſind an Dir vorübergezogen, die Dich begrüßten mit lautem Ehrenruf, Kränze haben ſie vor Dir hergetra-
*) Mit einer Gebirgslandſchaft als Vignette.
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und die Seele Dich zu empfinden, und den Geiſt Dich
zu faſſen und zu bekennen, alles wie Du biſt in Deiner
innern Weſenheit.
Und wenn dies alles wahr iſt was ich hier ſage,
und wir werden einſt uns wiederſehen in einem höheren
Leben, dann denke, daß mein Genie Deinem Geiſt ge-
wachſen ſein werde.
An Goethe. *)
22. März 1832.
Hier aus den Bergesſchluchten hervor wag' ich's
und komme ungerufen, unerwartet, wie manchmal ſonſt
auf Deinen Wegen. Im Böhmer Gebirg wo ich wie
ein Stoßvogel auf dem vorragenden Gefels über Dir
hing, weißt Du noch? — und wie ich dann nieder klet-
terte ganz erhitzt, daß mir alle Adern im Kopf klopf-
ten, und wie Deine Hand meine Augenwimper vom
Staub reinigte, und die kleinen Reiſer und Mooſe aus
meinen Flechten ſammelteſt, und legteſt es ſanft neben
Dich auf den Sitz? Du weißt's nicht mehr. Schaaren
ſind an Dir vorübergezogen, die Dich begrüßten mit
lautem Ehrenruf, Kränze haben ſie vor Dir hergetra-
*) Mit einer Gebirgslandſchaft als Vignette.
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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/207>, abgerufen am 22.02.2025.
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