Der Kronprinz von Baiern ist die angenehmste un- befangenste Jugend, ist so edler natur, daß ihn Betrug nie verletzt, so wie den gehörnten Siegfried nie die Lan- zenstiche verletzten. Er ist eine Blüthe auf welcher der Morgenthau noch ruht, er schwimmt noch in seiner eig- nen Atmosphäre, das heißt: seine besten Kräfte sind noch in ihm. Wenn es so fort ginge und daß keine bö- sen Mächte seiner Meister würden? -- Wie gut hatten's doch jene Ritter, die von geneigten Feen mit kräftigen Talismanen versehen wurden, wenn sie zwischen feuri- gen Drachen und ungeschlachten Riesen nach dem tan- zenden Wasser des Lebens oder nach goldnen Liebes- äpfel ausgesandt waren, und eine in Marmor ver- wünschte Prinzessin, so roth wie Blut, so weiß wie Schnee, schön wie das ausgespannte Himmelszelt über dem Frühlingsgarten, als ihrer Erlösung Lohn ihnen zu Theil wurde. -- Jetzt ist die Aufgabe anders: die un- bewachten Äpfelbäume hängen ihre fruchtbeladenen Zweige über den Weg, und Liebchen lauscht hinter der Hecke um den Ritter selbst zu fangen, und diesem allem soll
An Goethe.
18. Mai.
Der Kronprinz von Baiern iſt die angenehmſte un- befangenſte Jugend, iſt ſo edler natur, daß ihn Betrug nie verletzt, ſo wie den gehörnten Siegfried nie die Lan- zenſtiche verletzten. Er iſt eine Blüthe auf welcher der Morgenthau noch ruht, er ſchwimmt noch in ſeiner eig- nen Atmoſphäre, das heißt: ſeine beſten Kräfte ſind noch in ihm. Wenn es ſo fort ginge und daß keine bö- ſen Mächte ſeiner Meiſter würden? — Wie gut hatten's doch jene Ritter, die von geneigten Feen mit kräftigen Talismanen verſehen wurden, wenn ſie zwiſchen feuri- gen Drachen und ungeſchlachten Rieſen nach dem tan- zenden Waſſer des Lebens oder nach goldnen Liebes- äpfel ausgeſandt waren, und eine in Marmor ver- wünſchte Prinzeſſin, ſo roth wie Blut, ſo weiß wie Schnee, ſchön wie das ausgeſpannte Himmelszelt über dem Frühlingsgarten, als ihrer Erlöſung Lohn ihnen zu Theil wurde. — Jetzt iſt die Aufgabe anders: die un- bewachten Äpfelbäume hängen ihre fruchtbeladenen Zweige über den Weg, und Liebchen lauſcht hinter der Hecke um den Ritter ſelbſt zu fangen, und dieſem allem ſoll
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An Goethe.
18. Mai.
Der Kronprinz von Baiern iſt die angenehmſte un-
befangenſte Jugend, iſt ſo edler natur, daß ihn Betrug
nie verletzt, ſo wie den gehörnten Siegfried nie die Lan-
zenſtiche verletzten. Er iſt eine Blüthe auf welcher der
Morgenthau noch ruht, er ſchwimmt noch in ſeiner eig-
nen Atmoſphäre, das heißt: ſeine beſten Kräfte ſind
noch in ihm. Wenn es ſo fort ginge und daß keine bö-
ſen Mächte ſeiner Meiſter würden? — Wie gut hatten's
doch jene Ritter, die von geneigten Feen mit kräftigen
Talismanen verſehen wurden, wenn ſie zwiſchen feuri-
gen Drachen und ungeſchlachten Rieſen nach dem tan-
zenden Waſſer des Lebens oder nach goldnen Liebes-
äpfel ausgeſandt waren, und eine in Marmor ver-
wünſchte Prinzeſſin, ſo roth wie Blut, ſo weiß wie
Schnee, ſchön wie das ausgeſpannte Himmelszelt über
dem Frühlingsgarten, als ihrer Erlöſung Lohn ihnen zu
Theil wurde. — Jetzt iſt die Aufgabe anders: die un-
bewachten Äpfelbäume hängen ihre fruchtbeladenen Zweige
über den Weg, und Liebchen lauſcht hinter der Hecke
um den Ritter ſelbſt zu fangen, und dieſem allem ſoll
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/69>, abgerufen am 21.12.2024.
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