Adieu! vieles hole ich noch nach im böhmischen Schloß Bukowan.
Bettine.
An Goethe.
Bukowan im Praginer Kreis: Juli.
Wie bequem ist's, wie lieblich an Dich zu denken, unter diesem Dach von Tannen und Birken, die den heißen Mittag in hoher Ferne halten. Die schweren Tannzapfen glänzen und funkeln mit ihrem Harze, wie tausend kleine Tagsterne, machen's droben nur noch hei- ßer und hier unten kühler. Der blaue Himmel deckt mein hohes enges Haus; ich messe rücklings seine Ferne wie er unerreichbar scheint, doch trug mancher schon den Himmel in der Brust; ist mir doch als hab auch ich ihn in mir fest gehalten einen Augenblick, diesen weitgedehn- ten über Berg und Thal hinziehenden: über alle Ströme, Brücken; durch alle Felsen, Höhlen; über Stock und Stein in einem Strich fort der Himmel über mir, bis dort an dein Herz, da sinkt er mit mir zusammen.
Liegt es denn nur in der Jugend, daß sie so innig wolle, was sie will? -- bist Du nicht so? -- begehrst
Adieu! vieles hole ich noch nach im böhmiſchen Schloß Bukowan.
Bettine.
An Goethe.
Bukowan im Praginer Kreis: Juli.
Wie bequem iſt's, wie lieblich an Dich zu denken, unter dieſem Dach von Tannen und Birken, die den heißen Mittag in hoher Ferne halten. Die ſchweren Tannzapfen glänzen und funkeln mit ihrem Harze, wie tauſend kleine Tagſterne, machen's droben nur noch hei- ßer und hier unten kühler. Der blaue Himmel deckt mein hohes enges Haus; ich meſſe rücklings ſeine Ferne wie er unerreichbar ſcheint, doch trug mancher ſchon den Himmel in der Bruſt; iſt mir doch als hab auch ich ihn in mir feſt gehalten einen Augenblick, dieſen weitgedehn- ten über Berg und Thal hinziehenden: über alle Ströme, Brücken; durch alle Felſen, Höhlen; über Stock und Stein in einem Strich fort der Himmel über mir, bis dort an dein Herz, da ſinkt er mit mir zuſammen.
Liegt es denn nur in der Jugend, daß ſie ſo innig wolle, was ſie will? — biſt Du nicht ſo? — begehrſt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0217"n="207"/><p>Adieu! vieles hole ich noch nach im böhmiſchen<lb/>
Schloß Bukowan.</p><lb/><closer><salute><hirendition="#et">Bettine.</hi></salute></closer></div><lb/><divn="2"><opener><salute>An Goethe.</salute><lb/><dateline><hirendition="#et">Bukowan im Praginer Kreis: Juli.</hi></dateline></opener><lb/><p>Wie bequem iſt's, wie lieblich an Dich zu denken,<lb/>
unter dieſem Dach von Tannen und Birken, die den<lb/>
heißen Mittag in hoher Ferne halten. Die ſchweren<lb/>
Tannzapfen glänzen und funkeln mit ihrem Harze, wie<lb/>
tauſend kleine Tagſterne, machen's droben nur noch hei-<lb/>
ßer und hier unten kühler. Der blaue Himmel deckt<lb/>
mein hohes enges Haus; ich meſſe rücklings ſeine Ferne<lb/>
wie er unerreichbar ſcheint, doch trug mancher ſchon den<lb/>
Himmel in der Bruſt; iſt mir doch als hab auch ich ihn<lb/>
in mir feſt gehalten einen Augenblick, dieſen weitgedehn-<lb/>
ten über Berg und Thal hinziehenden: über alle Ströme,<lb/>
Brücken; durch alle Felſen, Höhlen; über Stock und<lb/>
Stein in einem Strich fort der Himmel über mir, bis<lb/>
dort an dein Herz, da ſinkt er mit mir zuſammen.</p><lb/><p>Liegt es denn nur in der Jugend, daß ſie ſo innig<lb/>
wolle, was ſie will? — biſt Du nicht ſo? — begehrſt<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[207/0217]
Adieu! vieles hole ich noch nach im böhmiſchen
Schloß Bukowan.
Bettine.
An Goethe.
Bukowan im Praginer Kreis: Juli.
Wie bequem iſt's, wie lieblich an Dich zu denken,
unter dieſem Dach von Tannen und Birken, die den
heißen Mittag in hoher Ferne halten. Die ſchweren
Tannzapfen glänzen und funkeln mit ihrem Harze, wie
tauſend kleine Tagſterne, machen's droben nur noch hei-
ßer und hier unten kühler. Der blaue Himmel deckt
mein hohes enges Haus; ich meſſe rücklings ſeine Ferne
wie er unerreichbar ſcheint, doch trug mancher ſchon den
Himmel in der Bruſt; iſt mir doch als hab auch ich ihn
in mir feſt gehalten einen Augenblick, dieſen weitgedehn-
ten über Berg und Thal hinziehenden: über alle Ströme,
Brücken; durch alle Felſen, Höhlen; über Stock und
Stein in einem Strich fort der Himmel über mir, bis
dort an dein Herz, da ſinkt er mit mir zuſammen.
Liegt es denn nur in der Jugend, daß ſie ſo innig
wolle, was ſie will? — biſt Du nicht ſo? — begehrſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/217>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.