Was soll ich Dir denn schreiben, da ich traurig bin und nichts neues freundliches zu sagen weiß? lieber mögt' ich Dir gleich das weiße Blatt schicken, statt daß ich's erst mit Buchstabe beschreibe, die doch immer nicht sagen, was ich will, und Du fülltest es zu deinen Zeit- vertreib aus, und machtest mich überglücklich und schick- test es an mich zurück, und wenn ich denn den blauen Umschlag sähe und riß ihn auf: Neugierig eilig, wie die Sehnsucht immer der Seeligkeit gegenwärtig ist, und ich lese nun, was mich aus deinem Mund' einst entzückte: Lieb' Kind, mein artig Herz, mein einzig Liebchen, klein Mäuschen, die süßen Worte mit denen Du mich verwöhntest, so freundlich mich be- schwichtigend; -- ach! mehr wollt' ich nicht, alles hätt' ich wieder, sogar dein Lispeln würde ich mitlesen, mit dem Du mir leise das lieblichste in die Seele ergossen und mich auf ewig vor mir selbst verherrlichst hast *). --
*)
Wenn ich nun gleich das weiße Blatt dir schickte, Anstatt daß ich's mit Lettern erst beschreibe, Ausfülltest du's vielleicht zum Zeitvertreibe Und sendetest's an mich, die Hochbeglückte.
An Goethe.
Was ſoll ich Dir denn ſchreiben, da ich traurig bin und nichts neues freundliches zu ſagen weiß? lieber mögt' ich Dir gleich das weiße Blatt ſchicken, ſtatt daß ich's erſt mit Buchſtabe beſchreibe, die doch immer nicht ſagen, was ich will, und Du füllteſt es zu deinen Zeit- vertreib aus, und machteſt mich überglücklich und ſchick- teſt es an mich zurück, und wenn ich denn den blauen Umſchlag ſähe und riß ihn auf: Neugierig eilig, wie die Sehnſucht immer der Seeligkeit gegenwärtig iſt, und ich leſe nun, was mich aus deinem Mund' einſt entzückte: Lieb' Kind, mein artig Herz, mein einzig Liebchen, klein Mäuschen, die ſüßen Worte mit denen Du mich verwöhnteſt, ſo freundlich mich be- ſchwichtigend; — ach! mehr wollt' ich nicht, alles hätt' ich wieder, ſogar dein Liſpeln würde ich mitleſen, mit dem Du mir leiſe das lieblichſte in die Seele ergoſſen und mich auf ewig vor mir ſelbſt verherrlichſt haſt *). —
*)
Wenn ich nun gleich das weiße Blatt dir ſchickte, Anſtatt daß ich's mit Lettern erſt beſchreibe, Ausfüllteſt du's vielleicht zum Zeitvertreibe Und ſendeteſt's an mich, die Hochbeglückte.
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An Goethe.
Was ſoll ich Dir denn ſchreiben, da ich traurig bin
und nichts neues freundliches zu ſagen weiß? lieber
mögt' ich Dir gleich das weiße Blatt ſchicken, ſtatt daß
ich's erſt mit Buchſtabe beſchreibe, die doch immer nicht
ſagen, was ich will, und Du füllteſt es zu deinen Zeit-
vertreib aus, und machteſt mich überglücklich und ſchick-
teſt es an mich zurück, und wenn ich denn den blauen
Umſchlag ſähe und riß ihn auf: Neugierig eilig, wie
die Sehnſucht immer der Seeligkeit gegenwärtig iſt,
und ich leſe nun, was mich aus deinem Mund' einſt
entzückte: Lieb' Kind, mein artig Herz, mein
einzig Liebchen, klein Mäuschen, die ſüßen Worte
mit denen Du mich verwöhnteſt, ſo freundlich mich be-
ſchwichtigend; — ach! mehr wollt' ich nicht, alles hätt'
ich wieder, ſogar dein Liſpeln würde ich mitleſen, mit
dem Du mir leiſe das lieblichſte in die Seele ergoſſen
und mich auf ewig vor mir ſelbſt verherrlichſt haſt *). —
*) Wenn ich nun gleich das weiße Blatt dir ſchickte,
Anſtatt daß ich's mit Lettern erſt beſchreibe,
Ausfüllteſt du's vielleicht zum Zeitvertreibe
Und ſendeteſt's an mich, die Hochbeglückte.
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/222>, abgerufen am 05.02.2025.
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