Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.Warum die Menschen keine Geister sehen? -- Keiner Sonntag, ganz allein im einsamen großen Haus Bettine. So stand ich einst vor dir, dich anzuschauen Und sagte nichts. Was hätt' ich sagen sollen? Mein ganzes Wesen war in sich vollendet. (Goethes Werke 2ter Band Seite 11.) Warum die Menſchen keine Geiſter ſehen? — Keiner Sonntag, ganz allein im einſamen großen Haus Bettine. So ſtand ich einſt vor dir, dich anzuſchauen Und ſagte nichts. Was hätt' ich ſagen ſollen? Mein ganzes Weſen war in ſich vollendet. (Goethes Werke 2ter Band Seite 11.) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0208" n="176"/> Warum die Menſchen keine Geiſter ſehen? — Keiner<lb/> konnt es rathen, ich ſagte: weil ſie ſich vor Geſpenſter<lb/> fürchten. — Wer? — Die Menſchen? — Nein die Gei-<lb/> ſter. — Ja ſo grauſamlich kamen mir dieſe Geſichter<lb/> vor, und ſo fremd, und unverſtändlich, aus denen nichts<lb/> zu mir ſprach wie aus deinen geliebten Zügen, vor de-<lb/> nen ſich die Geiſter gewiß nicht fürchten; nein es iſt<lb/> deine Schönheit, daß die Geiſter mit deinen Mienen<lb/> ſpielen, und dies iſt der unwiederſtehliche Reiz für den<lb/> Liebenden, daß der Geiſt ewig dein Geſicht umſtrömt.</p><lb/> <p>Sonntag, ganz allein im einſamen großen Haus<lb/> alles iſt ausgefahren und geritten und gegangen, und<lb/> deine Mutter iſt vor dem Bockenheimer Thor im Gar-<lb/> ten, weil heute die Birn geſchüttelt werden von dem<lb/> Baum der bei deiner Geburt gepflanzt wurde.</p><lb/> <closer> <salute> <hi rendition="#et">Bettine.</hi> </salute> </closer> </div><lb/> <div n="2"> <note xml:id="note-0208" prev="#note-0207" place="foot" n="*)"> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>So ſtand ich einſt vor dir, dich anzuſchauen</l><lb/> <l>Und ſagte nichts. Was hätt' ich ſagen ſollen?</l><lb/> <l>Mein ganzes Weſen war in ſich vollendet.</l> </lg> </lg><lb/> <hi rendition="#et">(Goethes Werke 2ter Band Seite 11.)</hi> </note> </div><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [176/0208]
Warum die Menſchen keine Geiſter ſehen? — Keiner
konnt es rathen, ich ſagte: weil ſie ſich vor Geſpenſter
fürchten. — Wer? — Die Menſchen? — Nein die Gei-
ſter. — Ja ſo grauſamlich kamen mir dieſe Geſichter
vor, und ſo fremd, und unverſtändlich, aus denen nichts
zu mir ſprach wie aus deinen geliebten Zügen, vor de-
nen ſich die Geiſter gewiß nicht fürchten; nein es iſt
deine Schönheit, daß die Geiſter mit deinen Mienen
ſpielen, und dies iſt der unwiederſtehliche Reiz für den
Liebenden, daß der Geiſt ewig dein Geſicht umſtrömt.
Sonntag, ganz allein im einſamen großen Haus
alles iſt ausgefahren und geritten und gegangen, und
deine Mutter iſt vor dem Bockenheimer Thor im Gar-
ten, weil heute die Birn geſchüttelt werden von dem
Baum der bei deiner Geburt gepflanzt wurde.
Bettine.
*)
*) So ſtand ich einſt vor dir, dich anzuſchauen
Und ſagte nichts. Was hätt' ich ſagen ſollen?
Mein ganzes Weſen war in ſich vollendet.
(Goethes Werke 2ter Band Seite 11.)
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