Freund, ich bin allein; alles schläft, und mich hält's wach, daß es kaum ist, wie ich noch mit Dir zusammen war. Vielleicht, Göthe, war dies das höchste Ereigniß meines Lebens; vielleicht war es der reichste, der seligste Augenblick; schönere Tage sollen mir nicht kommen, ich würde sie abweisen.
Es war freilich ein letzter Kuß, mit dem ich schei- den mußte, da ich glaubte, ich müsse ewig an Deinen Lippen hängen, und wie ich so dahin fuhr durch die Gänge unter den Bäumen, unter denen wir zusammen gegangen waren, da glaubte ich, an jedem Stamme müsse ich mich festhalten, -- aber sie verschwanden, die grünen wohlbekannten Räume, sie wichen in die Ferne, die geliebten Auen und Deine Wohnung war längst hinabgesunken, und die blaue Ferne schien allein mir meines Lebens Räthsel zu bewachen; -- doch die mußt' auch noch scheiden, und nun hatt' ich nichts mehr als mein heiß' Verlangen, und meine Thränen flossen die- sem Scheiden; ach, da besann ich mich auf alles, wie Du mit mir gewandelt bist in nächtlichen Stunden, und hast mir gelächelt, daß ich Dir die Wolkenge-
An Goethe.
Wartburg, den 1. Auguſt in der Nacht.
Freund, ich bin allein; alles ſchläft, und mich hält's wach, daß es kaum iſt, wie ich noch mit Dir zuſammen war. Vielleicht, Göthe, war dies das höchſte Ereigniß meines Lebens; vielleicht war es der reichſte, der ſeligſte Augenblick; ſchönere Tage ſollen mir nicht kommen, ich würde ſie abweiſen.
Es war freilich ein letzter Kuß, mit dem ich ſchei- den mußte, da ich glaubte, ich müſſe ewig an Deinen Lippen hängen, und wie ich ſo dahin fuhr durch die Gänge unter den Bäumen, unter denen wir zuſammen gegangen waren, da glaubte ich, an jedem Stamme müſſe ich mich feſthalten, — aber ſie verſchwanden, die grünen wohlbekannten Räume, ſie wichen in die Ferne, die geliebten Auen und Deine Wohnung war längſt hinabgeſunken, und die blaue Ferne ſchien allein mir meines Lebens Räthſel zu bewachen; — doch die mußt' auch noch ſcheiden, und nun hatt' ich nichts mehr als mein heiß' Verlangen, und meine Thränen floſſen die- ſem Scheiden; ach, da beſann ich mich auf alles, wie Du mit mir gewandelt biſt in nächtlichen Stunden, und haſt mir gelächelt, daß ich Dir die Wolkenge-
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0178"n="146"/><divn="2"><opener><salute>An Goethe.</salute><lb/><dateline><hirendition="#et">Wartburg, den 1. Auguſt in der Nacht.</hi></dateline></opener><lb/><p>Freund, ich bin allein; alles ſchläft, und mich<lb/>
hält's wach, daß es <hirendition="#g">kaum</hi> iſt, wie ich noch mit Dir<lb/>
zuſammen war. Vielleicht, Göthe, war dies das höchſte<lb/>
Ereigniß meines Lebens; vielleicht war es der reichſte,<lb/>
der ſeligſte Augenblick; ſchönere Tage ſollen mir nicht<lb/>
kommen, ich würde ſie abweiſen.</p><lb/><p>Es war freilich ein letzter Kuß, mit dem ich ſchei-<lb/>
den mußte, da ich glaubte, ich müſſe ewig an Deinen<lb/>
Lippen hängen, und wie ich ſo dahin fuhr durch die<lb/>
Gänge unter den Bäumen, unter denen wir zuſammen<lb/>
gegangen waren, da glaubte ich, an jedem Stamme<lb/>
müſſe ich mich feſthalten, — aber ſie verſchwanden, die<lb/>
grünen wohlbekannten Räume, ſie wichen in die Ferne,<lb/>
die geliebten Auen und Deine Wohnung war längſt<lb/>
hinabgeſunken, und die blaue Ferne ſchien allein mir<lb/>
meines Lebens Räthſel zu bewachen; — doch die mußt'<lb/>
auch noch ſcheiden, und nun hatt' ich nichts mehr als<lb/>
mein heiß' Verlangen, und meine Thränen floſſen die-<lb/>ſem Scheiden; ach, da beſann ich mich auf alles, wie<lb/>
Du mit mir gewandelt biſt in nächtlichen Stunden,<lb/>
und haſt mir gelächelt, daß ich Dir die Wolkenge-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[146/0178]
An Goethe.
Wartburg, den 1. Auguſt in der Nacht.
Freund, ich bin allein; alles ſchläft, und mich
hält's wach, daß es kaum iſt, wie ich noch mit Dir
zuſammen war. Vielleicht, Göthe, war dies das höchſte
Ereigniß meines Lebens; vielleicht war es der reichſte,
der ſeligſte Augenblick; ſchönere Tage ſollen mir nicht
kommen, ich würde ſie abweiſen.
Es war freilich ein letzter Kuß, mit dem ich ſchei-
den mußte, da ich glaubte, ich müſſe ewig an Deinen
Lippen hängen, und wie ich ſo dahin fuhr durch die
Gänge unter den Bäumen, unter denen wir zuſammen
gegangen waren, da glaubte ich, an jedem Stamme
müſſe ich mich feſthalten, — aber ſie verſchwanden, die
grünen wohlbekannten Räume, ſie wichen in die Ferne,
die geliebten Auen und Deine Wohnung war längſt
hinabgeſunken, und die blaue Ferne ſchien allein mir
meines Lebens Räthſel zu bewachen; — doch die mußt'
auch noch ſcheiden, und nun hatt' ich nichts mehr als
mein heiß' Verlangen, und meine Thränen floſſen die-
ſem Scheiden; ach, da beſann ich mich auf alles, wie
Du mit mir gewandelt biſt in nächtlichen Stunden,
und haſt mir gelächelt, daß ich Dir die Wolkenge-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/178>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.