Liebe, liebe Tochter! Nenne mich für alle Tage, für alle Zukunft mit dem einen Namen, der mein Glück umfaßt; mein Sohn sei Dein Freund, Dein Bruder, der Dich gewiß liebt etc.
Solche Worte schreibt mir Goethe's Mutter; zu was berechtigen mich diese? -- Auch brach es los wie ein Damm in meinem Herzen; -- ein Menschenkind, einsam auf einem Fels, von Stürmen umbraus't, seiner selbst ungewiß, hin- und herschwankend, wie Dornen und Disteln um es her -- so bin ich; so war ich da ich meinen Herrn noch nicht erkannt hatte. Nun wend' ich mich wie die Sonnenblume nach meinem Gott, und kann ihm mit dem von seinen Strahlen glühenden An- gesicht beweisen, daß er mich durchdringt. O Gott! darf ich auch? -- und bin ich nicht allzu kühn?
An Goethe.
Kaſſel, den 15. Mai 1807.
Liebe, liebe Tochter! Nenne mich für alle Tage, für alle Zukunft mit dem einen Namen, der mein Glück umfaßt; mein Sohn ſei Dein Freund, Dein Bruder, der Dich gewiß liebt ꝛc.
Solche Worte ſchreibt mir Goethe's Mutter; zu was berechtigen mich dieſe? — Auch brach es los wie ein Damm in meinem Herzen; — ein Menſchenkind, einſam auf einem Fels, von Stürmen umbrauſ't, ſeiner ſelbſt ungewiß, hin- und herſchwankend, wie Dornen und Diſteln um es her — ſo bin ich; ſo war ich da ich meinen Herrn noch nicht erkannt hatte. Nun wend' ich mich wie die Sonnenblume nach meinem Gott, und kann ihm mit dem von ſeinen Strahlen glühenden An- geſicht beweiſen, daß er mich durchdringt. O Gott! darf ich auch? — und bin ich nicht allzu kühn?
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An Goethe.
Kaſſel, den 15. Mai 1807.
Liebe, liebe Tochter! Nenne mich für alle Tage,
für alle Zukunft mit dem einen Namen, der mein Glück
umfaßt; mein Sohn ſei Dein Freund, Dein Bruder,
der Dich gewiß liebt ꝛc.
Solche Worte ſchreibt mir Goethe's Mutter; zu
was berechtigen mich dieſe? — Auch brach es los wie
ein Damm in meinem Herzen; — ein Menſchenkind,
einſam auf einem Fels, von Stürmen umbrauſ't, ſeiner
ſelbſt ungewiß, hin- und herſchwankend, wie Dornen
und Diſteln um es her — ſo bin ich; ſo war ich da
ich meinen Herrn noch nicht erkannt hatte. Nun wend'
ich mich wie die Sonnenblume nach meinem Gott, und
kann ihm mit dem von ſeinen Strahlen glühenden An-
geſicht beweiſen, daß er mich durchdringt. O Gott!
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. [115]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/147>, abgerufen am 21.12.2024.
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