Es ging ein Hirt gar früh austreiben, Er hört' ein kleines Kindlein schreien. Kindelein ich hör' dich und seh dich nicht. "Ich bin in einem hohlen Baum "Und mit eichenen Rüthlein g'deckt. "Ach Alter nimm mich mit zu Haus, "Mein' Mutter hat Hochzeit zu Haus." Als er das Kind zur Thür nein bracht: "Grüß euch Gott ihr Hochzeitgäst, "Dieweil die Braut mein Mutter ist." Wie soll ich denn dein Mutter sein, Ich trage ja ein Kränzelein? "Tragst du ein Kränzelein rosenroth, "Du hast schon drei Kinder todt. "'s erst hast ins Wasser geschmissen, "'s ander hast in Mist vergraben, "'s dritt' in einen holen Baum, "Und mit eichenen Rüthlein zugedeckt." Ach wie kann das möglich seyn! Kam der Teuffel zum Fenster hinein, Und nahm sie bei ihrer schneeweissen Hand, Thut mit ihr den Ehrentanz Und führt sie in die höllische Pein.
Hoͤlliſches Recht.
(Muͤndlich.)
Es ging ein Hirt gar fruͤh austreiben, Er hoͤrt' ein kleines Kindlein ſchreien. Kindelein ich hoͤr' dich und ſeh dich nicht. „Ich bin in einem hohlen Baum „Und mit eichenen Ruͤthlein g'deckt. „Ach Alter nimm mich mit zu Haus, „Mein' Mutter hat Hochzeit zu Haus.“ Als er das Kind zur Thuͤr nein bracht: „Gruͤß euch Gott ihr Hochzeitgaͤſt, „Dieweil die Braut mein Mutter iſt.“ Wie ſoll ich denn dein Mutter ſein, Ich trage ja ein Kraͤnzelein? „Tragſt du ein Kraͤnzelein roſenroth, „Du haſt ſchon drei Kinder todt. „'s erſt haſt ins Waſſer geſchmiſſen, „'s ander haſt in Miſt vergraben, „'s dritt' in einen holen Baum, „Und mit eichenen Ruͤthlein zugedeckt.“ Ach wie kann das moͤglich ſeyn! Kam der Teuffel zum Fenſter hinein, Und nahm ſie bei ihrer ſchneeweiſſen Hand, Thut mit ihr den Ehrentanz Und fuͤhrt ſie in die hoͤlliſche Pein.
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Hoͤlliſches Recht.
(Muͤndlich.)
Es ging ein Hirt gar fruͤh austreiben,
Er hoͤrt' ein kleines Kindlein ſchreien.
Kindelein ich hoͤr' dich und ſeh dich nicht.
„Ich bin in einem hohlen Baum
„Und mit eichenen Ruͤthlein g'deckt.
„Ach Alter nimm mich mit zu Haus,
„Mein' Mutter hat Hochzeit zu Haus.“
Als er das Kind zur Thuͤr nein bracht:
„Gruͤß euch Gott ihr Hochzeitgaͤſt,
„Dieweil die Braut mein Mutter iſt.“
Wie ſoll ich denn dein Mutter ſein,
Ich trage ja ein Kraͤnzelein?
„Tragſt du ein Kraͤnzelein roſenroth,
„Du haſt ſchon drei Kinder todt.
„'s erſt haſt ins Waſſer geſchmiſſen,
„'s ander haſt in Miſt vergraben,
„'s dritt' in einen holen Baum,
„Und mit eichenen Ruͤthlein zugedeckt.“
Ach wie kann das moͤglich ſeyn!
Kam der Teuffel zum Fenſter hinein,
Und nahm ſie bei ihrer ſchneeweiſſen Hand,
Thut mit ihr den Ehrentanz
Und fuͤhrt ſie in die hoͤlliſche Pein.
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Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 2. Heidelberg, 1808, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn02_1808/214>, abgerufen am 03.03.2025.
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