Wenn das Volk beym Einzuge seines Helden die Pferde vom Wagen spannt, so thut es das wohl nicht, weil es besser ihn zu ziehen meint, eben so spreche ich von Volksliedern im All- gemeinen nur darum, einen guten Sinn zu bewähren nicht aber die wichtigen Untersuchungen über Einzelne derselben zu verdrängen oder aufzugeben; daß ich zu Ihnen spreche, findet in unsrer Befreundung sein Recht und in der Sache seinen Grund. Haben Sie doch Selbst mehr gethan für alten deutschen Volksgesang, als einer der lebenden Musiker, haben Sie ihn doch nach seiner Würdigkeit den lesenden Ständen mitgetheilt, haben Sie ihn doch sogar auf die Bühne gebracht, in allem Hohen ist kein Ueberdruß, so werden Sie Sich gern wieder mit mir zu einer hohen und herrlichen guten Sache hinwenden -- Ich führe ihnen manche Beobachtung vor, aus verschiedenen Zeiten, aus verschiedenen Gegenden, alle einig in dem Glauben, daß nur Volkslieder erhört werden, daß alles andre vom Ohre aller Zeit überhört wird. -- Was ist erhort? -- Alles was
Von Volksliedern.
An Herrn Kapellmeiſter Reichardt.
Wenn das Volk beym Einzuge ſeines Helden die Pferde vom Wagen ſpannt, ſo thut es das wohl nicht, weil es beſſer ihn zu ziehen meint, eben ſo ſpreche ich von Volksliedern im All- gemeinen nur darum, einen guten Sinn zu bewaͤhren nicht aber die wichtigen Unterſuchungen uͤber Einzelne derſelben zu verdraͤngen oder aufzugeben; daß ich zu Ihnen ſpreche, findet in unſrer Befreundung ſein Recht und in der Sache ſeinen Grund. Haben Sie doch Selbſt mehr gethan fuͤr alten deutſchen Volksgeſang, als einer der lebenden Muſiker, haben Sie ihn doch nach ſeiner Wuͤrdigkeit den leſenden Staͤnden mitgetheilt, haben Sie ihn doch ſogar auf die Buͤhne gebracht, in allem Hohen iſt kein Ueberdruß, ſo werden Sie Sich gern wieder mit mir zu einer hohen und herrlichen guten Sache hinwenden — Ich fuͤhre ihnen manche Beobachtung vor, aus verſchiedenen Zeiten, aus verſchiedenen Gegenden, alle einig in dem Glauben, daß nur Volkslieder erhoͤrt werden, daß alles andre vom Ohre aller Zeit uͤberhoͤrt wird. — Was iſt erhort? — Alles was
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0444"n="[435]"/><divn="2"><head><hirendition="#g">Von Volksliedern</hi>.</head><lb/><prendition="#c"><hirendition="#g">An<lb/>
Herrn Kapellmeiſter Reichardt</hi>.</p><lb/><p><hirendition="#in">W</hi>enn das Volk beym Einzuge ſeines Helden die Pferde vom<lb/>
Wagen ſpannt, ſo thut es das wohl nicht, weil es beſſer ihn<lb/>
zu ziehen meint, eben ſo ſpreche ich von Volksliedern im All-<lb/>
gemeinen nur darum, einen guten Sinn zu bewaͤhren nicht<lb/>
aber die wichtigen Unterſuchungen uͤber Einzelne derſelben zu<lb/>
verdraͤngen oder aufzugeben; daß ich zu Ihnen ſpreche, findet<lb/>
in unſrer Befreundung ſein Recht und in der Sache ſeinen<lb/>
Grund. Haben Sie doch Selbſt mehr gethan fuͤr alten deutſchen<lb/>
Volksgeſang, als einer der lebenden Muſiker, haben Sie ihn<lb/>
doch nach ſeiner Wuͤrdigkeit den leſenden Staͤnden mitgetheilt,<lb/>
haben Sie ihn doch ſogar auf die Buͤhne gebracht, in allem<lb/>
Hohen iſt kein Ueberdruß, ſo werden Sie Sich gern wieder mit<lb/>
mir zu einer hohen und herrlichen guten Sache hinwenden —<lb/>
Ich fuͤhre ihnen manche Beobachtung vor, aus verſchiedenen<lb/>
Zeiten, aus verſchiedenen Gegenden, alle einig in dem Glauben,<lb/>
daß nur Volkslieder erhoͤrt werden, daß alles andre vom Ohre<lb/>
aller Zeit uͤberhoͤrt wird. — Was iſt erhort? — Alles was<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[[435]/0444]
Von Volksliedern.
An
Herrn Kapellmeiſter Reichardt.
Wenn das Volk beym Einzuge ſeines Helden die Pferde vom
Wagen ſpannt, ſo thut es das wohl nicht, weil es beſſer ihn
zu ziehen meint, eben ſo ſpreche ich von Volksliedern im All-
gemeinen nur darum, einen guten Sinn zu bewaͤhren nicht
aber die wichtigen Unterſuchungen uͤber Einzelne derſelben zu
verdraͤngen oder aufzugeben; daß ich zu Ihnen ſpreche, findet
in unſrer Befreundung ſein Recht und in der Sache ſeinen
Grund. Haben Sie doch Selbſt mehr gethan fuͤr alten deutſchen
Volksgeſang, als einer der lebenden Muſiker, haben Sie ihn
doch nach ſeiner Wuͤrdigkeit den leſenden Staͤnden mitgetheilt,
haben Sie ihn doch ſogar auf die Buͤhne gebracht, in allem
Hohen iſt kein Ueberdruß, ſo werden Sie Sich gern wieder mit
mir zu einer hohen und herrlichen guten Sache hinwenden —
Ich fuͤhre ihnen manche Beobachtung vor, aus verſchiedenen
Zeiten, aus verſchiedenen Gegenden, alle einig in dem Glauben,
daß nur Volkslieder erhoͤrt werden, daß alles andre vom Ohre
aller Zeit uͤberhoͤrt wird. — Was iſt erhort? — Alles was
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806, S. [435]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806/444>, abgerufen am 30.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.