Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Fritz Lemmermayer. Menschenopfer. Originalbeitrag. Man sagt, die Jugend selbst sei Glück. Ich hab' es nicht erfahren. Mir waren niemals hold gesinnt Die dachnistenden Laren. Mir fehlte, was die Jugend braucht, Des Frohsinns Wohlbehagen; Des Kummers bleiche Wange schon Als Kind ich mußte tragen. Die Rebe, die kein Stäblein hat, Muß bald zu Grunde gehen; Ich war die Rebe, ward zerwühlt In wilden Sturmes Wehen. Nach dir, nach dir, mein Jesu Christ, Ich jugendlich mich sehnte; Das grause Schicksal mich und dich Frevelnd und frech verhöhnte. Der Pöbelhaß, der Pöbelwahn Hat dich an's Kreuz geschlagen; Das Schicksal thut das Gleiche noch Mit uns an allen Tagen. Das alte blut'ge Opfer du Unblutig hast erneuert: Das Schicksal opfert blutig fort -- Kein Gott, kein Gott ihm steuert! Es schichtet Stein an Stein empor Mit riesenkräft'gen Armen; Ich lieg, ein Mensch, auf dem Altar -- Es gibt, gibt kein Erbarmen. Es rieselt heiß mein Blut herab Vom kalten Opfersteine, Bis daß der letzte Tropfen stockt Im frierenden Gebeine. Fritz Lemmermayer. Menſchenopfer. Originalbeitrag. Man ſagt, die Jugend ſelbſt ſei Glück. Ich hab’ es nicht erfahren. Mir waren niemals hold geſinnt Die dachniſtenden Laren. Mir fehlte, was die Jugend braucht, Des Frohſinns Wohlbehagen; Des Kummers bleiche Wange ſchon Als Kind ich mußte tragen. Die Rebe, die kein Stäblein hat, Muß bald zu Grunde gehen; Ich war die Rebe, ward zerwühlt In wilden Sturmes Wehen. Nach dir, nach dir, mein Jeſu Chriſt, Ich jugendlich mich ſehnte; Das grauſe Schickſal mich und dich Frevelnd und frech verhöhnte. Der Pöbelhaß, der Pöbelwahn Hat dich an’s Kreuz geſchlagen; Das Schickſal thut das Gleiche noch Mit uns an allen Tagen. Das alte blut’ge Opfer du Unblutig haſt erneuert: Das Schickſal opfert blutig fort — Kein Gott, kein Gott ihm ſteuert! Es ſchichtet Stein an Stein empor Mit rieſenkräft’gen Armen; Ich lieg, ein Menſch, auf dem Altar — Es gibt, gibt kein Erbarmen. Es rieſelt heiß mein Blut herab Vom kalten Opferſteine, Bis daß der letzte Tropfen ſtockt Im frierenden Gebeine. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0096" n="78"/> <fw place="top" type="header">Fritz Lemmermayer.</fw><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Menſchenopfer.</hi> </head><lb/> <p> <hi rendition="#c">Originalbeitrag.</hi> </p><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Man ſagt, die Jugend ſelbſt ſei Glück.</l><lb/> <l>Ich hab’ es nicht erfahren.</l><lb/> <l>Mir waren niemals hold geſinnt</l><lb/> <l>Die dachniſtenden Laren.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Mir fehlte, was die Jugend braucht,</l><lb/> <l>Des Frohſinns Wohlbehagen;</l><lb/> <l>Des Kummers bleiche Wange ſchon</l><lb/> <l>Als Kind ich mußte tragen.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Die Rebe, die kein Stäblein hat,</l><lb/> <l>Muß bald zu Grunde gehen;</l><lb/> <l>Ich war die Rebe, ward zerwühlt</l><lb/> <l>In wilden Sturmes Wehen.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Nach dir, nach dir, mein Jeſu Chriſt,</l><lb/> <l>Ich jugendlich mich ſehnte;</l><lb/> <l>Das grauſe Schickſal mich und dich</l><lb/> <l>Frevelnd und frech verhöhnte.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Der Pöbelhaß, der Pöbelwahn</l><lb/> <l>Hat dich an’s Kreuz geſchlagen;</l><lb/> <l>Das Schickſal thut das Gleiche noch</l><lb/> <l>Mit uns an allen Tagen.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Das alte blut’ge Opfer du</l><lb/> <l>Unblutig haſt erneuert:</l><lb/> <l>Das Schickſal opfert blutig fort —</l><lb/> <l>Kein Gott, kein Gott ihm ſteuert!</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Es ſchichtet Stein an Stein empor</l><lb/> <l>Mit rieſenkräft’gen Armen;</l><lb/> <l>Ich lieg, ein Menſch, auf dem Altar —</l><lb/> <l>Es gibt, gibt kein Erbarmen.</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Es rieſelt heiß mein Blut herab</l><lb/> <l>Vom kalten Opferſteine,</l><lb/> <l>Bis daß der letzte Tropfen ſtockt</l><lb/> <l>Im frierenden Gebeine.</l> </lg> </lg> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [78/0096]
Fritz Lemmermayer.
Menſchenopfer.
Originalbeitrag.
Man ſagt, die Jugend ſelbſt ſei Glück.
Ich hab’ es nicht erfahren.
Mir waren niemals hold geſinnt
Die dachniſtenden Laren.
Mir fehlte, was die Jugend braucht,
Des Frohſinns Wohlbehagen;
Des Kummers bleiche Wange ſchon
Als Kind ich mußte tragen.
Die Rebe, die kein Stäblein hat,
Muß bald zu Grunde gehen;
Ich war die Rebe, ward zerwühlt
In wilden Sturmes Wehen.
Nach dir, nach dir, mein Jeſu Chriſt,
Ich jugendlich mich ſehnte;
Das grauſe Schickſal mich und dich
Frevelnd und frech verhöhnte.
Der Pöbelhaß, der Pöbelwahn
Hat dich an’s Kreuz geſchlagen;
Das Schickſal thut das Gleiche noch
Mit uns an allen Tagen.
Das alte blut’ge Opfer du
Unblutig haſt erneuert:
Das Schickſal opfert blutig fort —
Kein Gott, kein Gott ihm ſteuert!
Es ſchichtet Stein an Stein empor
Mit rieſenkräft’gen Armen;
Ich lieg, ein Menſch, auf dem Altar —
Es gibt, gibt kein Erbarmen.
Es rieſelt heiß mein Blut herab
Vom kalten Opferſteine,
Bis daß der letzte Tropfen ſtockt
Im frierenden Gebeine.
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