Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Julius Hart. Anna. Originalbeitrag. Die Drossel ruft vom Lindenbaum, die Sonne steigt herauf mit Lust, Laß einmal noch mein blasses Haupt sich lehnen müd' an deine Brust. Noch einmal laß mich deine Hand inbrünstig küssen heiß und schwer, -- Nicht deinen Mund -- nicht deinen Mund! ich ließe dich sonst nimmermehr. Maimorgenwind lacht heimlich leis' und raunt im grünenden Spalier, Doch wenn der Abend niederfällt, dann bist du, Heinrich, nicht mehr hier! Nein, nein, dein Mund und Auge lügt: Es weiß dein Herz so gut wie ich, Und wenn Du einst auch heimwärts kehrst, nie wieder schaut mein Auge dich. Sonst logst du nie, ich weiß es wohl, sprachst niemals von dem gold'nen Ring, Du, Heinrich, bist so klug und ich ein arm unwissend häßlich Ding. Ich wußt' es wohl, ich würde nie dir dienen treu und still als Frau, -- Denn deine Hand ist weich und zart, und meine ganz von Arbeit rauh. Ich weiß es wohl, wie du dich stolz verzehrst nach Ruhm und Sonnenschein, -- Und in der Reichen helles Schloß, ich Arme, darf nicht mit hinein. Ich wußt' es wohl, ich wußt' es wohl vom ersten Anfang an, daß du -- Mein Unglück, Schmach und ew'gen Tod, -- ach alles fügtest du mir zu! Ich wußt' es wohl, daß so es kam, Elend und Schande über mich, Und dennoch, dennoch kam's, denn ach! ich liebte gar zu innig dich! Die Drossel ruft vom Lindenbaum, die Sonne kommt herauf mit Lust, Laß einmal noch mein blasses Haupt sich lehnen müd' an deine Brust. Weh, meinen Busen preßt und sprengt's, ein Feuer lodert schwül und heiß, Und unter meinem Herzen quillt und regt es sich und athmet leis'. Und fällt hernieder jene Nacht, und lieg' ich blaß und leidenswund, Dann Heinrich bist du fern und küß'st -- ach, küß'st wohl einen schön'ren Mund. Julius Hart. Anna. Originalbeitrag. Die Droſſel ruft vom Lindenbaum, die Sonne ſteigt herauf mit Luſt, Laß einmal noch mein blaſſes Haupt ſich lehnen müd’ an deine Bruſt. Noch einmal laß mich deine Hand inbrünſtig küſſen heiß und ſchwer, — Nicht deinen Mund — nicht deinen Mund! ich ließe dich ſonſt nimmermehr. Maimorgenwind lacht heimlich leiſ’ und raunt im grünenden Spalier, Doch wenn der Abend niederfällt, dann biſt du, Heinrich, nicht mehr hier! Nein, nein, dein Mund und Auge lügt: Es weiß dein Herz ſo gut wie ich, Und wenn Du einſt auch heimwärts kehrſt, nie wieder ſchaut mein Auge dich. Sonſt logſt du nie, ich weiß es wohl, ſprachſt niemals von dem gold’nen Ring, Du, Heinrich, biſt ſo klug und ich ein arm unwiſſend häßlich Ding. Ich wußt’ es wohl, ich würde nie dir dienen treu und ſtill als Frau, — Denn deine Hand iſt weich und zart, und meine ganz von Arbeit rauh. Ich weiß es wohl, wie du dich ſtolz verzehrſt nach Ruhm und Sonnenſchein, — Und in der Reichen helles Schloß, ich Arme, darf nicht mit hinein. Ich wußt’ es wohl, ich wußt’ es wohl vom erſten Anfang an, daß du — Mein Unglück, Schmach und ew’gen Tod, — ach alles fügteſt du mir zu! Ich wußt’ es wohl, daß ſo es kam, Elend und Schande über mich, Und dennoch, dennoch kam’s, denn ach! ich liebte gar zu innig dich! Die Droſſel ruft vom Lindenbaum, die Sonne kommt herauf mit Luſt, Laß einmal noch mein blaſſes Haupt ſich lehnen müd’ an deine Bruſt. Weh, meinen Buſen preßt und ſprengt’s, ein Feuer lodert ſchwül und heiß, Und unter meinem Herzen quillt und regt es ſich und athmet leiſ’. Und fällt hernieder jene Nacht, und lieg’ ich blaß und leidenswund, Dann Heinrich biſt du fern und küß’ſt — ach, küß’ſt wohl einen ſchön’ren Mund. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0087" n="69"/> <fw place="top" type="header">Julius Hart.</fw><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Anna</hi>.</hi> </head><lb/> <p> <hi rendition="#c">Originalbeitrag.</hi> </p><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Die Droſſel ruft vom Lindenbaum, die Sonne ſteigt herauf mit Luſt,</l><lb/> <l>Laß einmal noch mein blaſſes Haupt ſich lehnen müd’ an deine Bruſt.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Noch einmal laß mich deine Hand inbrünſtig küſſen heiß und ſchwer, —</l><lb/> <l>Nicht deinen Mund — nicht deinen Mund! ich ließe dich ſonſt nimmermehr.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Maimorgenwind lacht heimlich leiſ’ und raunt im grünenden Spalier,</l><lb/> <l>Doch wenn der Abend niederfällt, dann biſt du, Heinrich, nicht mehr hier!</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Nein, nein, dein Mund und Auge lügt: Es weiß dein Herz ſo gut wie ich,</l><lb/> <l>Und wenn Du einſt auch heimwärts kehrſt, nie wieder ſchaut mein Auge dich.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Sonſt logſt du nie, ich weiß es wohl, ſprachſt niemals von dem gold’nen Ring,</l><lb/> <l>Du, Heinrich, biſt ſo klug und ich ein arm unwiſſend häßlich Ding.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Ich wußt’ es wohl, ich würde nie dir dienen treu und ſtill als Frau, —</l><lb/> <l>Denn deine Hand iſt weich und zart, und meine ganz von Arbeit rauh.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Ich weiß es wohl, wie du dich ſtolz verzehrſt nach Ruhm und Sonnenſchein, —</l><lb/> <l>Und in der Reichen helles Schloß, ich Arme, darf nicht mit hinein.</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Ich wußt’ es wohl, ich wußt’ es wohl vom erſten Anfang an, daß du —</l><lb/> <l>Mein Unglück, Schmach und ew’gen Tod, — ach alles fügteſt du mir zu!</l> </lg><lb/> <lg n="9"> <l>Ich wußt’ es wohl, daß ſo es kam, Elend und Schande über mich,</l><lb/> <l>Und dennoch, dennoch kam’s, denn ach! ich liebte gar zu innig dich!</l> </lg><lb/> <lg n="10"> <l>Die Droſſel ruft vom Lindenbaum, die Sonne kommt herauf mit Luſt,</l><lb/> <l>Laß einmal noch mein blaſſes Haupt ſich lehnen müd’ an deine Bruſt.</l> </lg><lb/> <lg n="11"> <l>Weh, meinen Buſen preßt und ſprengt’s, ein Feuer lodert ſchwül und heiß,</l><lb/> <l>Und unter meinem Herzen quillt und regt es ſich und athmet leiſ’.</l> </lg><lb/> <lg n="12"> <l>Und fällt hernieder jene Nacht, und lieg’ ich blaß und leidenswund,</l><lb/> <l>Dann Heinrich biſt du fern und küß’ſt — ach, küß’ſt wohl einen ſchön’ren Mund.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [69/0087]
Julius Hart.
Anna.
Originalbeitrag.
Die Droſſel ruft vom Lindenbaum, die Sonne ſteigt herauf mit Luſt,
Laß einmal noch mein blaſſes Haupt ſich lehnen müd’ an deine Bruſt.
Noch einmal laß mich deine Hand inbrünſtig küſſen heiß und ſchwer, —
Nicht deinen Mund — nicht deinen Mund! ich ließe dich ſonſt nimmermehr.
Maimorgenwind lacht heimlich leiſ’ und raunt im grünenden Spalier,
Doch wenn der Abend niederfällt, dann biſt du, Heinrich, nicht mehr hier!
Nein, nein, dein Mund und Auge lügt: Es weiß dein Herz ſo gut wie ich,
Und wenn Du einſt auch heimwärts kehrſt, nie wieder ſchaut mein Auge dich.
Sonſt logſt du nie, ich weiß es wohl, ſprachſt niemals von dem gold’nen Ring,
Du, Heinrich, biſt ſo klug und ich ein arm unwiſſend häßlich Ding.
Ich wußt’ es wohl, ich würde nie dir dienen treu und ſtill als Frau, —
Denn deine Hand iſt weich und zart, und meine ganz von Arbeit rauh.
Ich weiß es wohl, wie du dich ſtolz verzehrſt nach Ruhm und Sonnenſchein, —
Und in der Reichen helles Schloß, ich Arme, darf nicht mit hinein.
Ich wußt’ es wohl, ich wußt’ es wohl vom erſten Anfang an, daß du —
Mein Unglück, Schmach und ew’gen Tod, — ach alles fügteſt du mir zu!
Ich wußt’ es wohl, daß ſo es kam, Elend und Schande über mich,
Und dennoch, dennoch kam’s, denn ach! ich liebte gar zu innig dich!
Die Droſſel ruft vom Lindenbaum, die Sonne kommt herauf mit Luſt,
Laß einmal noch mein blaſſes Haupt ſich lehnen müd’ an deine Bruſt.
Weh, meinen Buſen preßt und ſprengt’s, ein Feuer lodert ſchwül und heiß,
Und unter meinem Herzen quillt und regt es ſich und athmet leiſ’.
Und fällt hernieder jene Nacht, und lieg’ ich blaß und leidenswund,
Dann Heinrich biſt du fern und küß’ſt — ach, küß’ſt wohl einen ſchön’ren Mund.
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